Das Wunder von Hawaii

Oahu ist die Insel der Surfer. Aber nicht nur. Jetzt erweisen viele Menschen ihr endlich das, was die Hawaiianer malama ’āina nennen: Respekt vor der Erde.

Von Christopher Hall
Veröffentlicht am 7. Dez. 2018, 10:34 MEZ
Oahu
Der Koolau Bergkamm trennt die Windward Küste Oahus vom Binnenland.
Foto von Hawaii Tourism Authority HTA, Tor Johnson

Die hellroten Litschis an dem Baum vor mir sehen aus wie stachelige Golfbälle. Auf dem hügeligen Gelände der Poamoho Organic Farm reifen auch Mangos, im leichten Wind schaukeln Zitronen, Papayas und Feigen. Ein wahrer Garten Eden. Ich blicke aus der Ferne auf den grünblauen Ozean, der an der Nordküste der Hawaii-Insel Oahu an die Strände rauscht. „Ein paar Stunden auf dieser Insel geben dir Energie für die nächsten 20 Jahre“, sagt Wendy Gady, die mir die weiten Obsthaine der Farm zeigt. Ich pflücke eine Litschi und koste: Sie ist saftig, mit sü.en und blumigen Noten – schmeckt so das Paradies?

Oahu, 64 Kilometer lang und 42 Kilometer breit, ist eine der acht größten Inseln des hawaiianischen Archipels, der den nördlichsten Punkt Polynesiens bildet. Und die wirtschaftlich bedeutsamste. Auf ihr liegt die Hauptstadt Honolulu mit Waikiki Beach: Hotel reiht sich an Hotel, in den Strandbars wetteifern die Gäste um den besten Platz, von dem aus sie die Sonne im Stillen Ozean versinken sehen. Wer die Metropole aber hinter sich lässt, findet ein anderes Oahu – und die üppige Pracht der Tropen. Lange Zeit wurde die fruchtbare Erde von Hawaii, die die Menschen hier ’āina nennen, durch Zuckerrohrplantagen ausgelaugt. Doch jetzt scheint es, als werde dieses sattgrüne Fleckchen Erde im Pazifik von Menschen wie Wendy Gady durch Entschlossenheit und harte Arbeit endlich zurückerobert – mit dem Ziel, es gesunden zu lassen.

Das Gelände der Poamoho-Farm ist keine drei Hektar groß, die Erzeugnisse werden an Gemüseladen wie auch an gehobene

Restaurants geliefert. Die Farm ist eine Erfolgsgeschichte für das Leben an der Nordküste und ein Beispiel für das, was die Hawaiianer malama ’āina nennen: Respekt vor der Erde. Wendy Gady lebt erst seit Kurzem hier, seit sie einen Mann aus der Gegend geheiratet hat. Aber sie ist auf einer Farm im US-Bundesstaat Iowa aufgewachsen und weiß, wie wichtig es ist, die Natur zu achten: „Mir geht es darum, das Land für künftige Generationen zu bewahren“, sagt sie.

Die Sonne ist am nächsten Tag kaum aufgegangen, als ich mit einem Becher Kaffee in der Hand den Strand entlangschlendere. Ich genieße die friedliche Stimmung. Der zarte Duft blühender Tempelbäume hängt in der Luft, und in den Spuren, die Krebse im Sand hinterlassen haben, glitzern kleine Tautropfen.

Eigentlich wollte ich nach den Honu Ausschau halten, den grünen hawaiianischen Seeschildkröten, die hier oft durchs Wasser paddeln, aber mein Blick wandert immer wieder zurück zu den Waianae-Bergen. Die Gipfel erheben sich strahlend im Morgenlicht, die tiefen Furchen ihrer Flanken sind gefüllt mit leuchtendem Grün. Über ihnen erhebt sich der Kaala, mit 1227 Metern der höchste Berg der Insel.

Auch beim Mittagessen in Waialuas Nachbarort Haleiwa kann ich ihn sehen. Bob Marley klingt aus Geschäften, in denen Surfbretter verkauft werden. In den Cafés gibt es Leckereien wie Smoothies aus Açai-Beeren. Ich sitze am Verkaufsstand der Red Barn Farm und unterhalte mich mit den Besitzern Milton Agader, 74, und Al Medrano, 62. Beide haben einen großen Teil ihres Arbeitslebens auf der Plantage des amerikanischen Obst- und Gemüsekonzerns Dole Food Company in Waialua verbracht. „Die ganze Wirtschaft hing am Zucker“, erklärt Agader, der auf der Hawaii-Insel Kauai geboren wurde. „Wir haben gepflügt, gepflanzt, Wasserrohre repariert, Zuckerrohr geschnitten und die Ernte zu den Fabriken gefahren. Es war harte Arbeit.“ Sein Kumpel Medrano lacht. „Na ja, wir waren jünger und stärker damals“, sagt er.

Heute ist aus Agaders und Medranos Parzellen die Twin Bridge Farm geworden. Sie erstreckt sich mittlerweile über mehr als 120 Hektar. Dort bauen die beiden Männer Mais an, versuchen sich für Firmen vom amerikanischen Festland im Anbau von verschiedensten Kartoffelsorten und ziehen überdies feinsten Spargel für Restaurants auf Oahu heran.

Die Red Barn Farm ist ihr neuestes Projekt. Sie verkaufen nicht nur Produkte von Twin Bridge Farms, sondern auch von vielen anderen Landwirten der Umgebung. „Wir möchten die Gemeinschaft der Nordküste stärken“, sagt Agader.

Es tut sich einiges unter den Landwirten der Insel. In Haleiwa bin ich mit dem Kakaofarmer Seneca Klassen verabredet. Wir fahren über eine Schotterpiste zu seinem Anwesen rund 150 Meter oberhalb der Stadt. Dort hängen gelbe und rote Behälter in den Bäumen. Klassen öffnet einen davon: Große, feuchte Kakaobohnen trocknen und fermentieren darin, bevor Klassen sie in einer Fabrik in Honolulu rösten und zu Schokolade seiner Marke Lonohana verarbeiten lässt. „Als ich hier 2009 anfing, habe ich das Konzept von malama ’āina kaum verstanden, ich wollte vor allem Kakao anbauen“, sagt er. Doch die Erde war erschöpft, Klassen und seine Mitarbeiter pflügten Tonnen von natürlichem Dünger unter den Boden, bis er sich wieder erholte. „Im Laufe der Zeit habe ich erkannt, dass es auch meine Aufgabe ist, für dieses Fleckchen Erde zu sorgen“, sagt er. „Wir produzieren Kakao, aber wir erschaffen auch wieder einen Wald, wie er hier früher stand.“

Am nächsten Tag ziehe ich mit Kahokulei’a Haiku weiter, einem spirituellen Heiler, der als Wanderführer arbeitet. Er wurde an Oahus Nordküste geboren und kennt hier alle Pfade und versteckten Wasserfälle. Wir starten oberhalb der Waimea Bay an den Überresten des Puu o Mahuka Heiau, Oahus ältestem polynesischen Tempel. Schwarzes Vulkangestein umrahmt die rechteckige Plattform. „Waialua war ein wichtiger Ort für die Herrschenden des alten Hawaii“, erzählt Haiku. „Die meisten Stammesführer hatten hier einen Platz, und im Tal lebten mächtige Priester.“ Bevor wir zurück gehen, bittet Haiku mich, an einer traditionellen Segnung teilzunehmen. Ich spreche ihm nach, als er zu seinen Vorfahren und zu den Göttinnen und Göttern spricht und ihnen sagt, dass wir ihnen von Herzen danken. Wir schließen mit der hawaiianischen Formel, die „mit Liebe“ bedeutet, wir sagen sie dreimal, für die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft: Aloha e, Aloha e, Aloha e.

Dieser Artikel wurde gekürzt. Lesen Sie die ganze Geschichte in Ausgabe 4/2018 des National Geographic-Traveler. Jetzt ein Abo abschließen!

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