Expedition Feuerberg

Die einzigartige Natur lockte Alexander von Humboldt im Jahr 1802 nach Ecuador. Seine größte Herausforderung: die mächtigen Gipfel der Anden. Was erlebt man dort heute?

Von Charles Runnette
Veröffentlicht am 7. März 2019, 22:31 MEZ
Ecuador Andenpanorama
Das Anden-Panorama an der von Humboldt
 so bezeichneten „Straße der Vulkane“.
Foto von Colour Box

Es ist zwei Uhr morgens, wir sind in 4 700 Meter Höhe auf dem Iliniza Sur in Ecuador, und draußen wütet ein Schneesturm. Die anderen 15 Bergsteiger und unsere Führer stört das kein bisschen, sie schnarchen auf ihren Matratzen. Ich finde keine Ruhe. Draußen schreien unsere Maultiere, als stünden sie kurz vor dem Tod durch Erfrieren. Vor allem macht mir die Höhenkrankheit zu schaffen. Mein Herz rast, ich bekomme kaum Luft, spüre Panik aufsteigen.

Freunde haben mich vor dieser Reise gewarnt. Wussten sie, was mich erwarten würde? Ich bin hier auf den Spuren des Naturforschers Alexander von Humboldt (1769–1859). Wie er will ich die großen Vulkane Ecuadors besteigen. Allein die Namen dieser Berge faszinierten mich schon lange: Pichincha, Cayambe, Cotopaxi, Illiniza. Allerdings bin ich nicht wie Humboldt auf mehrmonatiger Expedition, sondern habe gerade mal eine Woche Zeit. Wenn Humboldt die Feuerberge damals ohne moderne Funktionskleidung erklimmen konnte, würde ich mit meiner Ausrüstung die Route allemal schaffen. Dachte ich.

In dieser Höhe wächst zwischen den grauschwarzen Brocken Vulkangesteins fast nur dürres Gras, aber weiter unten gleicht Ecuador einem Garten Eden. Mehr als 4000 Orchideenarten gedeihen in diesem Land, es gibt etwa 1600 verschiedene Vogelarten – fast so viele wie in Nordamerika und Europa zusammen – und 435 Säugetier­ sowie 500 Amphibienarten.

Humboldt berichtete über Hochtäler und von atemraubenden Vulkanen, die man damals für die höchsten Berge der Welt hielt. Um die Veränderungen der Gletschermasse zu bestimmen, bedienen sich Glaziologen noch heute gern Humboldts detaillierten Naturgemäldes der Anden und weiterer Illustrationen, die unter anderem den Chimborazo beschreiben: den mit 6264 Metern höchsten Berg des Landes. Die Erkenntnisse der Forscher sind wenig ermutigend: Die Eismassen in den Anden schrumpfen – dabei sichern sie nicht unerheblich die Wasserversorgung der Region. Den Gletscher auf dem Cayambe, eine meiner Stationen, wird es in 20 Jahren wohl nicht mehr geben.

Wenige Tage vor dem Schneesturm: Meine Reise auf Humboldts Spuren beginnt voller Vorfreude in der Hauptstadt Quito auf 2850 Meter Höhe, wo ich den Bergführer Oswaldo Freire treffe. Zwanzig Minuten lang fahren wir mit der Seilbahn weitere gut 800 Meter hinauf, vom Stadtrand bis zur Basis des Pichincha, einem aktiven Stratovulkan mit zwei Gipfeln. Der kleinere der beiden, knapp 4700 Meter hoch, soll der erste der vier Vulkane auf meiner Reise sein. Mein Körper hat sich noch nicht an die Höhe angepasst. In der dünnen Luft gerate ich trotz der nur sanften Steigung außer Atem und habe pochende Kopfschmerzen. „Wenn du der Höhe oft genug ausgesetzt bist, gewöhnt sich dein Körper daran. Wenn er jedoch das Gefühl hat, er sei in Gefahr, dann versucht er alles, um dich zum Abstieg zu bewegen“, erklärt Freire und sieht mich prüfend an. Wir ziehen weiter und stehen tatsächlich eine Weile später auf dem Gipfel von Quitos „Hausberg“.

Nachdem ich den Pichincha geschafft habe, fahre ich mit Freire durch sattgrüne Täler auf die Anden-Kordilleren zu, einen Gebirgszug, in dem Humboldt die „Straße der Vulkane“ verortete. Heute verbindet hier die Panamericana Quito mit der Kolonialstadt Cuenca. Die Route führt entlang von mehreren Dutzend Feuerbergen, von denen viele noch aktiv sind. Unser nächstes Ziel: der Cayambe, Ecuadors dritthöchster Gipfel. Freires 13-jährige Tochter Nikita begleitet uns. „Was ist denn an diesem Humboldt so toll?“, will sie wissen. Ich überlege, wie ich sie begeistern kann. „Vater der modernen Umweltbewegung“ klingt langweilig. Also beschließe ich, ihr von seinem Einfluss zu erzählen. Etwa, dass seine Schriften und Zeichnungen Grundlage für bahnbrechende Leistungen anderer Wissenschaftler und von Künstlern waren, darunter Charles Darwin, der amerikanische Dichter Walt Whitman und der Maler Frederic Edwin Church.

Nachdem ich später nach stundenlangem Aufstieg und harter Eispickel-Arbeit den mehr als 5000 Meter hoch gelegenen Cayambe-Gletscher erreiche, entfaltet sich unter einzelnen Wolken ein Meer aus braunschwarzen Bergen, wie der Rücken eines schlafenden Drachens.

Hier oben kann ich nachfühlen, warum Humboldt all die Anstrengungen auf sich nahm, um Ecuadors Berge zu erklimmen. Und was er ertrug. Krank von der dünnen Luft, brach er auf dem Pichincha zusammen. Auf dem Chimborazo, schon auf 4750 Meter, wollten seine Träger auf keinen Fall mehr weitergehen. Humboldt und sein Begleiter, der Botaniker Aimé Bonpland, kletterten unbeirrt voran, mit blutenden Füßen, nachdem scharfe Steine ihnen die Schuhe aufgeschlitzt hatten.

Ein paar Tage nach meinem Aufstieg auf den Cayambe treffe ich mich unweit des Vulkans Cotopaxi mit Jorge Pérez und seiner Frau, der Anthropologin María José Andrade. Die beiden betreiben ein Reiseunternehmen und zwei Haciendas – auch, um die Natur ihrer Heimat zu erhalten: Wenn für die Einheimischen Arbeitsplätze sowie ein Markt für ihre Feldfrüchte und ihr Kunsthandwerk geschaffen werden, so die Idee, kann der Tourismus ihnen als Anreiz dienen, die Region zu schützen. „Allen, die in dieser schönen Landschaft leben, wollen wir bewusst machen, dass der Naturschutz große Vorteile bringt“, sagt Pérez.

Am nächsten Tag reite ich mit María José Andrade in die Hochebene am Fuß des Cotopaxi. Dieses Land gehörte vor langer Zeit den Inka, die den Westen Südamerikas von Peru bis nach Chile beherrschten. Sie schufen ein ausgeklügeltes Wegesystem, auf dem Boten wichtige Informationen binnen weniger Tage von einem zum anderen Ende des Reiches überbrachten. Und sie verehrten die Berge und die Vulkane, denen sich auch María José Andrade so nahe fühlt. „Sie machen uns Menschen bewusst, wie klein wir sind“, sagt sie.

Am Schluss meiner Reise zeigen die Anden mir ihre dramatisch wilde Seite. Auf dem Iliniza Sur verbringe ich die schlimmste Nacht meines Lebens. Es ist die Höhenkrankheit. Mir ist übel, ich atme schwer, mein Kopf scheint platzen zu wollen. Wird mein Bergführer enttäuscht sein, wenn ich auf den Gipfelaufstieg verzichte? Ist er nicht. Sondern wirkt erleichtert. Ich tröste mich damit, dass selbst Humboldt einen der Gipfel nie bezwang: Auf dem Chimborazo mussten er und Bonpland auf rund 5 800 Meter Höhe wegen einer nicht zu überwindenden Felsspalte umkehren.

Einige Zeit später besuche ich in New York das Metropolitan Museum of Art, wo Frederic Churchs „Herz der Anden“ hängt – das Werk ist von Humboldts Beschreibungen inspiriert. Ich bin ganz allein in der Ausstellung und fühle mich in die Stille, den Sturm und das Wunder von Humboldts Straße der Vulkane zurück. Selbst hier, Tausende Kilometer entfernt, versprühen die Feuerberge noch ihre Magie.

Diese Reportage wurde gekürzt und bearbeitet. Lesen Sie den vollständigen Text in Heft 1/2019 des National Geographic-Travelers!

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