„Sterben will ich natürlich nicht. Aber ich würde den Tod in gewisser Weise akzeptieren.“

Der Extrembergsteiger und Free-Solo-Kletterer Hansjörg Auer und seine Expeditionspartner David Lama und Jess Rosskelly sind am 16. April im Banff-Nationalpark in einer Lawine gestorben.

Von Andrea Henke
Veröffentlicht am 24. Apr. 2019, 12:41 MESZ
Hansjörg Auer Free solo lupgharsar
Hansjörg Auer auf dem Lupghar Sar West, Pakistan 2018. "Es geht nicht immer darum, Grenzen zu verschieben, die von anderen auferlegt werden. Letztes Jahr habe ich eine Solo-Expedition nach Pakistan auf einen Siebentausender gemacht, auf einer neuen Route. Das war keine neue Grenze für den Alpinismus, sondern eine neue Grenze für mich. Es ging hauptsächlich darum: Kann ich das auch alleine durchstehen?" Hansjörg Auer, April 2019
Foto von Auer

Vor seine Abreise nach Kanada hatte Auer noch ein Gespräch mit National Geographic geführt. Wir veröffentlichen das Interview nun im Gedenken an den großen Bergsportler.

Herr Auer, Sie sind 2007 mit der Solobegehung einer sehr schwierigen Route in der Südtiroler Marmolata als Kletterer berühmt geworden. Was ist das Besondere bei Free Solo, dem Klettern ohne Sicherung, warum gehen Sie das Risiko ein?

Die Intensität ist am höchsten, wenn man allein unterwegs ist. Es ist die Suche nach diesem Gefühl, sich nur auf sich selbst verlassen zu können, sich ein bisschen nackt vorzukommen. Es ist nicht die Jagd nach Rekorden, sondern eine sehr persönliche Geschichte. Das sieht man auch bei Alex Honnold in seinem Film „Free Solo“. Ich glaube, beim Free-Solo-Klettern und beim Extrembergsteigen ist vieles einfach Neugierde: Schafft man es? Was kommt hinter diesem Grat? Wie wird diese Wand aussehen? Wie werden die Bedingungen sein? Wenn man über diese Dinge sehr rational nachdenken würde, wäre es ein sinnloses Tun. Aber es gibt dir diese große Kraft, um im Alltag bestehen zu können, den Alltag zu überwinden.

Das Risiko beim Free-Solo ist zumindest berechenbar, aber die Konsequenzen eines Scheiterns wären enorm – ist das ein Motiv?

Dass die Konsequenz groß ist, macht den Moment natürlich besonders intensiv und ist auch ein Grund, warum man das macht. Es ist ein Moment, auf den man sich freut, der endlich eintrifft, wo endlich alles passt. Das kommt auch im Film gut heraus: Dieser Moment ist rar! Man braucht manchmal Jahre, um ihn zu finden.

Alex Honnold hat sich mehrere Jahre lang auf die Free-Solo-Besteigung der Steilwand von El Capitan vorbereitet und einen Versuch abgebrochen, weil es eben nicht der richtige Moment war. Bei Ihrem Free Solo in der Marmolata haben Sie sich die Route fünf Stunden angeguckt und sind am nächsten Tag los.

Wenn man all meine Solos im Laufe der Jahre zeitlich gesehen anschaut, liegen immer unterschiedliche Zeiträume dazwischen. Ich habe damals 2007 in der Marmolata diesen frechen Zugang gehabt, den ich brauchte. Wenn ich eine Free-Solo-Kletterei im Kopf habe und dafür tagelang die Route einstudieren muss, dann verliert es für mich an Reiz.

Ganz anders als Alex Honnold, der Bewegungspläne schreibt und jeden Griff im Vorfeld visualisiert?

Das habe ich auch schon gemacht, aber nie so lange. Ich bin eher der Typ, der auf den richtigen Moment warten kann und dann seine Chance nutzt. Das Umfeld war für Honnold natürlich viel schwieriger, weil das Kamerateam dabei war. Damit könnte ich nur schwer umgehen.

Das Kamerateam hat versucht, sich während des Aufstiegs aus seinem Gesichtsfeld heraus zu halten und Drohnen einzusetzen.

Aber das Filmprojekt war von Anfang an dabei. Für mich ist es ganz wichtig, dass an einem solchen Tag niemand dabei ist und filmt, sonst verliert es dieses Persönliche. So ein Projekt ist immer zu 100 Prozent mein eigener Wunsch oder Traum. Sonst fühle ich mich irgendwie falsch. Ich glaub, man muss sehr ehrlich gegenüber sich selbst sein, besonders in Bezug auf die Konsequenzen. Das Risiko ist ohnehin groß genug. Alex Honnold sagt im Film einmal ganz klar: Es geht so nicht mit den ganzen Kameraleuten! Da hab ich mich sehr gut wiederfinden können.

Ist das Klettern ein einsamer Sport?

Die meiste Zeit klettere ich im Team, die Soloklettereien sind die totale Ausnahme. Ich mag beides. Allein ist es viel intensiver, man ist viel fokussierter, fühlt sich stärker, muss sich ganz anders vorbereiten. Auf der anderen Seite ist es im Team natürlich viel sozialer und emotionaler, weil man alles sofort mit den Partnern teilen kann. Ich wollte mich nie als der große Solokletterer darstellen, weil ich auch sehr viel mit Partnern unterwegs bin.

Vor zweieinhalb Jahren haben Sie am Ama Dablam im Himalaya eine Expedition zum Annapurna III abgebrochen, weil Ihr Team nicht gepasst hat. Mit dem bekannten Kletterer David Lama, der damals dabei war, sind Sie inzwischen aber wieder unterwegs.

Ja, die nächsten zwei Wochen sind wir zusammen mit einem dritten Partner in Kanada. Uns hat anfangs mehr der Zweck verbunden und es war bei dieser Expedition damals nicht so einfach. Es hat sich nicht richtig angefühlt. Aber das heißt nicht, dass wir nicht mehr miteinander unterwegs sein oder nicht mehr miteinander sprechen können. Es hat einfach diese Zeit gebraucht.

Sie haben gesagt, dass Sie als Kind oft sehr einsam waren und wenig Anerkennung von anderen Mitschülern bekommen haben. Ist ein solcher Hintergrund weit verbreitet unter Extrem-Bergsteigern, vielleicht sogar innerer Antrieb? Möchte man etwas ganz Besonderes machen, um Anerkennung zu bekommen oder sich stark zu spüren?

Genauso ist es! Ich habe in den letzten Jahren ein Buch geschrieben, das heißt „Südwand“. Dabei habe ich natürlich viel darüber nachgedacht: Warum bin ich so geworden und meine Brüder nicht? Und auch meine Freunde von damals nicht? Ich glaube, dass man eine Antwort in der Kindheit finden kann. Schon als Schüler während der Hauptschule wusste ich immer, dass ich meine eigene Welt habe, in der ich gut bin. Man liest sehr oft, dass Alleingänger von Beginn an einen solchen Antrieb hatten. Ich war nie der Typ, der Bestätigung durch eine Menge an Zuschauern gesucht hat. Wir Kletterer sind schon sehr eigene Typen.

Und besonders eigen ist wohl die winzige Gruppe der Solokletterer.

Bei den langjährigen Kletterern, sind die Prozesse, die man durchmachen muss, genau gleich. Was mir so gut an dem Film Free Solo gefällt: Es wird gezeigt, was man im privaten Umfeld überwinden muss, um so etwas machen zu können. Das ist ein wesentlicher Teil des Films. Wenn es nur um den Rekord ginge, wäre das zu primitiv abgehandelt. Im Film sagt Alex’ Freundin, dass sie nicht weiß, was das alles soll. Aber der Alex ist halt nur der Alex, wenn er das macht. Ich verstehe im Gegenzug eben auch nicht, warum manche Geschäftsleute immer noch eine Null mehr auf dem Konto brauchen.

Welche Hürden muss man in seinem Umfeld überwinden?

Es ist natürlich kein Angehöriger erfreut, wenn man ihm mitteilt, dass man allein auf eine schwierige Tour aufbricht. Angehörige können nicht dahinter stehen. Je weiter die Person von einem entfernt ist, desto kleiner wird die Angst und desto größer die Bewunderung. Und: Das persönliche Umfeld wird größer und nimmt mehr Einfluss, je älter man wird. Wenn man 20 ist, ist die Unbeschwertheit noch groß, man ist geprägt von Sturm und Drang. Aber ich hatte und habe nicht das Gefühl, ständig meinen Tod zu riskieren. Dann würde ich es nicht machen.

Haben Sie eine Freundin, die das Klettern mitträgt?

Ja, seit 2014. Sie ist natürlich nicht hocherfreut, wenn ich das mache. Aber sie nimmt es in gewisser Weise an und respektiert es mehr oder weniger. Sie ist selbst auch sehr viel in den Bergen unterwegs und klettert sehr gut. Und was ganz wichtig ist: Sie ist absolut kein Fan von mir. Das wär ein Horror, wenn ich eine Freundin hätte, die mein größter Fan wäre.

Das ist vermutlich über fünf Jahre auch schwierig.

Das wäre eine Katastrophe. Jeder, der als Profisportler lebt, lebt vom Aufbau seiner eigenen Marke und die eigene Marke bist du selber. Das ist gefährlich. Da braucht man Leute, die einen immer und ständig auf den Boden zurückholen. Das Klettern ist für mich etwas extrem Wichtiges – mehr oder weniger mein Leben – aber es ist auch nicht alles.

Dieser Drang, eine besonders schwierige Route oder Wand zu bewältigen, egal wie schwerwiegend die Konsequenzen sein können: Nimmt das mit den Jahren ab?

Ja, ich glaube das ist so. Schon wegen der Familie. Meine Familie ist etwas sehr Zentrales. Und natürlich stellt sich irgendwann für jeden Menschen – auch für mich – die Frage, wie es mit einer eigenen Familie ausschaut. Solche Prozesse beeinflussen dieses Tun schon. Sie sind wichtig und sehr menschlich und man muss sie auch zulassen. Wenn man riskante Dinge wie Soloklettern macht, sticht man dauernd einem Angehörigen oder nahen Menschen mit der Nadel mitten ins Herz. Das ist ein Zwiespalt: Man will das nicht. Aber auf der anderen Seite ist der Drang immer noch stärker, diese extremen Touren zu machen.

BELIEBT

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    Kennen Sie selbst auch Angst und wenn ja, wie gehen Sie damit um?

    Es gibt schon Momente, in denen ich Angst verspüre, klar. Dieses Gefühl habe ich natürlich auch. Aber diese Momente sind eher selten. Was ich wahrscheinlich sehr gut kann, ist, diese Angst schon im Keim zu unterdrücken. Aber es ist ganz wichtig, dass man ehrlich zu sich ist, denn die Angst ist ja auch ein Schutzmechanismus. Ich bin ein Typ, der sehr aus dem Instinkt heraus handelt, aus dem Bauch. Wenn ich mich nicht hundertprozentig wohlfühle, dann schaffe ich es auch, nicht loszugehen oder wieder umzudrehen.

    Alex Honnold sagt in seinem Film, jeder Mensch könne jeden Tag sterben, beim Soloklettern fühle sich diese Gegenwart des Todes nur sehr viel direkter und präsenter an.

    Sterben will ich natürlich nicht. Es geht eigentlich soweit, dass, wenn du diese Sache unbedingt machen willst, du diese Konsequenz, den Tod, in gewisser Weise auch akzeptieren würdest. Es ist aber auf keinen Fall ein Kick.

    Dass ein solcher Tod sich sehr viel direkter und präsenter anfühlen würde, ist eine Wertung. Zieht man diese Art zu sterben einem anderen Tod vor?

    Das ist super ausgedrückt. Das ist wirklich so.

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