Erst nach Helgoland, dann um Hawaii: Die Pläne des Extremschwimmers André Wiersig

Der Paderborner André Wiersig ist 18 Stunden am Stück die 48,5 Kilometer bis nach Helgoland geschwommen. Nun plant er sein nächstes großes Ziel: Die Umrundung Hawaiis.

Von Marius Rautenberg
Veröffentlicht am 13. März 2023, 12:35 MEZ
André Wiersig schwimmt nach Helgoland

Der Paderborner André Wiersig ist 18 Stunden am Stück die 48,5 Kilometer bis nach Helgoland geschwommen. Nun plant er sein nächstes großes Ziel: Die Umrundung Hawaiis.

Foto von Dennis Daletzki

Die Nordsee ist eines der gefährlichsten Gewässer der Erde. Durch Strömungen und Winde können sich innerhalb von Minuten vier bis fünf Meter hohe Wellen auftürmen. Diesem Risiko hat sich der in Oldenburg lebende André Wiersig bewusst ausgesetzt. Am 20. August 2021 schwamm er fast 50 Kilometer von St. Peter Ording bis nach Helgoland. 

16 Grad hatte das Wasser gerade mal, als er sich mitternachts mit dem Einsetzen der Ebbe in die Nordsee begab, bekleidet gerade mal mit Badehose, Badekappe, Schwimmbrille und einem Glücksstein von Helgoland, den er dorthin wieder zurückbrachte. „Man taucht in das Meer – dem Ursprung allen Lebens – und entflieht der gewohnten menschlichen Perspektive“ In der sonst völligen Dunkelheit der Nordsee leuchteten um ihn herum die Ohrenquallen und Algen, die bei Berührung grün und blau schimmerten. „Ich schwimme mit dem Meer und nicht dagegen. Als Mensch bin ich nur ein Gast im Ozean, mehr nicht.“ 

Auf dem Weg nach Helgoland trieb er stundenlang in den Strömungen, sodass er kaum einen Meter weiterkam. Da heißt es Nerven behalten und Ruhe bewahren, so Wiersig. Angst sei ein schlechter Begleiter, wie er im Interview mit dem Fotojournalisten Florian Sturm äußerst: „Respekt und Achtsamkeit öffnen die Sinne und lassen recht großen Spielraum für Handlung. Angst hingegen lähmt und geht oft mit irrationalen Annahmen einher. Das ist das Letzte, was ich da draußen gebrauchen kann. Man muss loslassen können.“ Auch wenn Wiersig für sich selbst schwimmt, ganz allein ist er doch nicht: Mit Kajak und Börteboot begleitete ihn ein Team aus seinem Schwager, der ihm jede halbe Stunde Nahrung und Wasser reichte, einem Nautiker, einem Experten für Meeresströmungen und einem Fotografen.

Hohe Wellen, Haie und schroffe Felsen machen das Schwimmen vor Hawaii zu einer nicht ungefährlichen Angelegenheit. André Wiersig (rechts im Bild) bereitet sich dennoch auf eine Umrundung vor. 

Foto von Robby Seeger

​Für Helgoland: Vorbereitung mit Kegelrobben und Quallen

Selbst wer trainiert genug ist, um 50 Kilometer zu schwimmen, kann nicht einfach für eine solche Tour ins offene Meer steigen. Es brauchte monatelange Vorbereitungen, Berechnungen von Strömungen und Wetterverhältnissen, Gespräche mit Behörden, dem Bürgermeister und der Bevölkerung Helgolands sowie diszipliniertes Training: Nicht allein nur im Trockenbecken, Wiersig schwamm zur Übung auch bewusst mit den Tieren der Gegend. Dazu zählt die Kegelrobbe, mit 300 Kilogramm die schwerste Raubtier Deutschlands, aber auch Quallenschwärme, die er gezielt durchschwamm, um sich auf die Schmerzen einstellen zu können. Er wollte auf alle Eventualitäten vorbereitet sein, weil derlei Zwischenfälle bei seinem 18-Stunden-Versuch sonst zum Abbruch hätten führen können. 

Schließlich schaffte es Wiersig als bisher erster Mensch schwimmend vom Festland aus Helgoland – und das gleich im ersten Anlauf. Dabei war es nicht seine erste spektakuläre Aktion. Zuvor schwamm er schon durch die Ocean’s Seven, die sieben am schwierigsten zu passierenden Meerengen, darunter die Straße von Gibraltar, den Nordkanal zwischen Irland und Schottland sowie den Ärmelkanal. 

Neben gefräßigen Tieren wie Haien vor Japan und Hawaii und den teils unberechenbaren Wetterbedingungen waren die größte Herausforderungen die Temperaturen. Gerade mal 13 Grad betrugen diese im Nordkanal. Für untrainierte Menschen ist dies nach einer Stunde bereits lebensgefährlich. Wiersig schwamm zwölf Stunden. Jahrelang bereitete er sich auf die Kälte vor, in Eistonnen und in kalten Seen – für ihn am Ende vor allem eine Frage der Einstellung.

BELIEBT

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    Buchtipp: „Ein Leben für den Ozean. 10 Geschichten über die Helden der Meere“.

     

     

    Foto von H4O - Heroes for the Ocean

    Im Buch „Ein Leben für den Ozean. 10 Geschichten über die Helden der Meere“ findet sich ein umfangreiches Interview mit André Wiersig über seine Freiwasser-Expeditionen und seine Faszination für den Ozean. Die Autoren, der freie Journalist und National-Geographic-Reporter Florian Sturm und der Podcast-Moderator Christian Weigand, veröffentlichen ihr Buch im Eigenverlag und suchen derzeit Unterstützung für ihre Crowdfunding-Kampagne.

    ​Nächstes Ziel: Die Umrundung Hawaiis

    Was treibt jemanden an, solche Anstrengungen, Entbehrungen und Schmerzen auf sich zu nehmen? Wenn er schwimmt, ist er voll im Moment, so Wiersig. Er versuche sich nicht mit anderen Gedanken abzulenken, sondern verschmelze für diese Stunden völlig mit dem Meer: „Man ist eins zu eins in der Situation, in der die Tiere dort draußen sind.“ In dieser Zeit fühlt er sich verbunden mit den Meeresbewohnern, spürt ihr Leben in einem Naturraum, der durch den Menschen bedroht ist. 

    Als er bei seiner ersten Station der Ocean’s Seven, dem Ärmelkanal, ins Wasser stieg, hatte er bald eine Plastiktüte im Gesicht. Bei jeder seiner Abenteuer ist er mit Müll, Überfischung und Klimawandel konfrontiert. „Es ist erstaunlich wie der Mensch in wenigen Jahrzehnten einen so großen und alten Organismus und selbst die entlegensten Orte verschmutzen kann“, so Wiersig. Bei seinen Touren sei ihm schnell klar geworden wie wichtig es sei, damit ein Bewusstsein für die Umwelt zu schaffen. Er wolle den Menschen einen „Perspektivenwechsel ermöglichen“

    Wiersigs nächstes großes Projekt soll die Umrundung von Hawaii sein, geplant für Sommer 2023. 250 Kilometer gilt es zu schwimmen, acht bis zehn Stunden täglich. Dafür rechnet er mit einer Dauer von acht bis zwölf Tagen. Wie bei seinen anderen Touren wird Wiersig auch diesmal ein großes Risiko für sich aufnehmen. Die Wellen um Hawaii sind oft fünf bis sechs Meter hoch, Strömungen können jemanden in die Weiten des Pazifiks hinausziehen oder gegen die schroffen Klippen prallen lassen.

    Auf Hawaii hat sich das Vorhaben bereits herumgesprochen. Involviert sind die dortige Universität und auch Prominente werden erwartet, darunter Hollywood-Schauspieler oder der auf der Insel geborene frühere US-Präsident Barack Obama. Einige der Gäste wollen einen Teil der Strecke mit Wiersig mitschwimmen, doch für den Großteil wird er auch bei der Hawaii-Umrundung wieder mit dem Meer ganz für sich sein.

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    Foto von National Geographic

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