Dscheladas - Kampf ums Gras

Dscheladas in Äthiopien

Von Craig Welch
bilder von Jeffrey Derby und Trevor Beck Frost
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:29 MEZ
Ein zotteliger Dschelada blickt über das Guassa-Plateau im Hochland von Äthiopien. Hier haben Hunderte Exemplare der ...
Ein zotteliger Dschelada blickt über das Guassa-Plateau im Hochland von Äthiopien. Hier haben Hunderte Exemplare der einzigen grasfressenden Affenart der Welt überlebt. Die Vegetation wird in Guassa seit Jahrhunderten von Einheimischen geschützt – und damit auch die Lebensgrundlage der Primaten.
Foto von Jeffrey Derby und Trevor Beck Frost

Im Hochland von Äthiopien bilden Mensch und Affe ein Zweckbündnis. Die Halme, die die seltenen Dscheladas fressen, sind auch ein wichtiger Rohstoff für ihre menschlichen Verwandten.

Auf einem Plateau im Hochland von Äthiopien läuft Admassu Getaneh durch blühende Kräuter und dichtes Gras. Seine Kalaschnikow glänzt in der Morgensonne. Direkt vor seinen Füßen fallen Basaltsäulen steil ab in den Ostafrikanischen Grabenbruch. Bald werden Hunderte Affen aus dem Nachtschlaf erwachen und mit einem unheimlichen Kreischen das Plateau wie ein Heer flauschiger Zirkusartisten überrennen: Willkommen im Reich der Dscheladas, Theropithecus gelada, einer sehr seltenen und faszinierenden Primatenart.

Guassa ist kein staatliches Schutzgebiet und doch eine der intaktesten Landschaften in Ostafrika. Die Einheimischen schützen und verwalten die Region selbst. Das Gras steht hier hoch und üppig, Fackellilien und äthiopische Schopfbäume gedeihen. Über ein kompliziertes gemeinschaftliches System wird festgelegt, wo das Vieh grasen und wann Gras geerntet werden darf. Fast ein Viertel der endemischen Säugetierarten des Landes leben in diesem Gebiet. Guassa ist ein Paradies für Klippspringer, afrikanische Zibetkatzen, afrikanische Goldwölfe und Tüpfelhyänen. Selbst vom äthiopischen Wolf, einem der am stärksten bedrohten Wildhunde, gibt es zwei Dutzend. Und hier leben auch 800 Dscheladas, wie schon vor vielen Tausenden von Jahren.

Guassa ist ein ökologischer Glücksfall. Wir sind deshalb nach Äthiopien gereist, um herauszufinden, ob diese Erfolgsgeschichte als Vorbild für den Naturschutz im Allgemeinen dienen kann. Und haben eine Region vorgefunden, die sich so rasch verändert, dass sich uns die Frage aufdrängt: Werden die lokalen Bauern die Herausforderungen der Zukunft bewältigen können? Und wenn nicht: Was passiert dann mit den seltenen Dscheladas?

Wir begleiten Admassu Getaneh auf Patrouille und laufen kleine Hügel rauf und runter. Wandern durchs Gestrüpp. Halten nach Dieben, die es auf das Gras abgesehen haben, Ausschau. Fast 20 Kilometer liegen noch vor uns. Getaneh leitet das Naturschutzbüro von Guassa. Das Gebiet selbst ist unbewohnt, aber in den umliegenden Dörfern leben 45.000 Menschen.

Die Bewohner bauen Gerste, Linsen, Kartoffeln und manchmal Weizen an. Sie züchten Kühe, Schafe und heizen Öfen mit Dung, um das typische äthiopische Fladenbrot injera zu backen. Kleine Genossenschaften, sogenannte kebeles, wählen Vertreter, die das Land verwalten. Manchmal sperren sie die Weidefläche monate- oder jahrelang, bis das Festuca (auch: Schwingelgras) wieder kräftig und erntereif ist. Doch nicht alle achten diese Regeln. Mit Sicheln schneiden Diebe das Gras auf den Hügeln, um es an weit entfernten Orten zu verkaufen.

Guassas Landnutzungsordnung geht auf lokale Mythen und die Kirche zurück. Der Schutz des Bodens galt als fast spirituelle Verpflichtung. Die Weidezeit endete sogar an religiösen Feiertagen. „Wenn sich Formen von Gemeinschaftseigentum an heilige Institutionen anlehnen, dann werden sie meist selbst heilig“, sagt der äthiopische Wissenschaftler Zelealem Tefera Ashenafi.

Und dann sind da noch Männer wie Getaneh. Aber seine Arbeit bringt Gefahren mit sich. Kriminelle – shifta – sind in dem Gebiet aktiv und verkaufen Waffen, die aus dem Bürgerkrieg oder dem Konflikt mit Eritrea stammen. Auf Getaneh wurde geschossen. Und in den Bars im nahen Mehal Meda schworen Betrunkene, ihn zu töten.

“Guassa hat lange von seiner Abgeschiedenheit profitiert. Aber nun steigt der Druck von allen Seiten.”

Heute wird Grasdiebstahl mit Geldbußen und Gefängnis bestraft. Früher wurden Verstöße drakonisch geahndet, um Kriminelle abzuschrecken. Weil Strafen mit Löwenfellen oder Kohlsamen beglichen werden mussten – beides gibt es in der Gegend um Guassa nicht –, wurden Diebe meist verprügelt und aus der Kirche ausgeschlossen. Illegal grasende Kühe wurden geschlachtet und ihre Häute der Kirche zur Verfügung gestellt, um damit Trommeln zu bespannen. Häuser, die mit gestohlenem Gras gedeckt waren, brannte man nieder.

Wir gehen weiter. Nach etwa einem Kilometer zeigt Getaneh auf eine frisch ausgehobene Grube.  Die Erde ist verkohlt. Jemand hat Heidekraut abgemäht und verbrannt, um Holzkohle zu machen. Wir sehen Grasschnittreste. Getaneh steigt auf eine Anhöhe und lässt den Blick über die Hochebene schweifen. Wird er die Täter schnappen?

Wenn niemand aufpasst, sagt er, würde der Grasdiebstahl wohl überhandnehmen. Die Bauern würden ihre mageren Kühe auf die gesperrten Wiesen führen. Wenn das Grasland schwindet, würden die Affen öfter Farmen plündern, was wiederum dazu führen würde, dass die Bauern verstärkt auf Dschelada-Jagd gehen. Guassas Bauern mögen die Affen ohnehin nicht besonders und vertreiben sie von ihren Pflanzungen. Aber wenn das Gras gut verwaltet wird, gibt es genug für Menschen und Affen.

Guassa hat lange von seiner hohen Lage und Abgeschiedenheit profitiert, die Neuankömmlinge fernhielten. Aber nun steigt der Druck von allen Seiten. In einigen Landesteilen herrscht erneut politische Instabilität. Bis zum Jahr 2050 könnte Äthiopiens Bevölkerungszahl auf 188 Millionen anwachsen. Zwar steigen die Einkommen, doch ein Drittel der Einwohner lebt weiterhin in äußerster Armut.

Auf der Rückfahrt nach Guassa sehe ich eine Wiese, auf der sich Dscheladas wohlfühlen würden. Gelbe Traktoren und Baumaschinen planieren am Wiesenrand einen Feldweg. In den vergangenen zehn Jahren sind hier Stromleitungen, Mobilfunktürme und eine einfache Touristenunterkunft entstanden. Und warum auch nicht?

Das Leben ist hart, und Chancen gibt es hier nur wenige. Die Erschließung des Landes, der Ökotourismus und der Zugang zu neuen Märkten könnten den Menschen aus der Armut helfen und zur Modernisierung der Wirtschaft beitragen. Doch für die Region und die seltenen Tierarten wird es eine Belastungsprobe.

Der Artikel wurde gekürzt und bearbeitet. Die ganze Reportage findest Du in der Ausgabe 4/2017 von National Geographic. Jetzt ein Magazin-Abo abschließen. 

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