Diese Kakerlake bestäubt vielleicht Blumen

Im chilenischen Buschland fressen wilde Kakerlaken Pollen und könnten den Pflanzen sogar dabei helfen, sich zu vermehren.

Von Christine Dell'Amore
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:34 MEZ
Kakerlake auf einer Blume
Eine Kakerlake auf einer Blume namens Haplopappus foliosus in Chile.
Foto von Constanza Schapheer Carrasco

Viele Leute betrachten sie zwar als Geißel des städtischen Lebens, aber die meisten Kakerlaken krabbeln tatsächlich gar nicht in der Nähe von Städten herum.

Ganze 99 Prozent der 4.500 bekannten Kakerlakenarten leben in der Wildnis. Dort spielen sie eine wichtige Rolle in Ökosystemen, von brasilianischen Regenwäldern bis in die Wüsten Saudi Arabiens.

Eine neue Studie hat nun gezeigt, dass die Kakerlake Moluchia brevipennis, die in Chiles Buschland heimisch ist, Blumenpollen frisst. Eventuell bestäubt sie die Blumen sogar.

„Menschen stellen sich Kakerlaken in den Straßen oder im Müll vor, aber diese wilden Kakerlaken hängen auf den Blüten großer Blumen rum“, sagt der Koautor der Studie Christian Villagra. Der Entomologe arbeitet an der Universidad Metropolitana de Ciencias de la Educación in Santiago, Chile.

Kakerlaken, die Blumen bestäuben, sind extrem selten. Es gibt nur zwei andere bekannte Arten, eine in Französisch-Guayana und eine auf dem malaysischen Borneo. Allerdings sind auch Studien zu wilden Kakerlaken selten, wie die Wissenschaftler in ihrer Abhandlung anmerken. Sie wurde kürzlich in der Fachzeitschrift „Revista Brasileira de Entomologia“ veröffentlicht.

Zwischen 2000 und 2016 haben sich laut den Autoren nur 178 Abhandlungen mit der wissenschaftlich vernachlässigten Gruppe beschäftigt. Der Unterschied zu bekannteren Insekten wie Ameisen ist groß, da es zu diesen Arten Zehntausende wissenschaftlicher Publikationen gibt.

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    Eine junge Kakerlake ruht sich während des chilenischen Winters auf einem Baumstamm aus.
    Foto von Constanza Schapheer Carrasco

    „Kinder haben keine Angst vor Kakerlaken, aber wenn sie älter werden und schließlich erwachsen sind, flippen sie aus, wenn sie eine sehen“, sagt Villagra, der auch ein National Geographic Explorer ist. „Wir wollen Menschen die Gelegenheit geben, etwas über diese Insekten zu lernen.“

    KAKERLAKENRAZZIA

    Für ihre Studie machten Villagra und seine Kollegen die erste Bestandsaufnahme überhaupt von M. brevipennis. Dafür untersuchten sie diverse Stellen in Chiles halbtrockener Matorral-Region.

    Das Team hat herausgefunden, dass diese Kakerlaken in der Abenddämmerung herauskommen, um die Pollen einheimischer Pflanzenarten wie der Gemeinen Nachtkerze zu fressen. Sie legen ihre Eier, oder Ootheken, ausschließlich auf eine Gattung von Bromeliengewächsen namens Puya.

    Die Entomologen vermuten, dass sich die Kakerlaken evolutionär so entwickelt haben, dass sie für Nahrung und Schutz von heimischen Pflanzen abhängig sind. Dies sei sicherer, als auf nicht heimische Pflanzen zu setzen: Die endemische Flora kann das trockene, raue Klima am besten ertragen, sagt er.

    Die Insekten fressen den Blütenpollen – der quasi Pflanzensperma ist –, weil er ein „wirklich energiereicher, guter und leckerer Snack“ ist, sagt die Entomologin Katy Prudic von der Universität von Arizona.

    Während sie sich am Pollen gütlich tun, bleibt die puderige Substanz überall am Körper und Kopf der Insekten hängen. Wenn sie dann auf der nächsten Blume landen, könnte ein Teil dieser Pollen auf die weiblichen Fortpflanzungsorgane der Blume fallen und sie so bestäuben.

    Um diese Interaktion zwischen den Insekten und den Pflanzen tatsächlich beobachten zu können, sind mühsame Experimente nötig. Es gibt aber bereits Pläne, die Fragestellung zu untersuchen, ob Kakerlaken die Pflanzen wirklich bestäuben, erzählt Villagra.

    Prudic hält das für wahrscheinlich, da die Lebensweise der Kakerlaken so eng mit der Vegetation verbunden ist.

    „Was manche vielleicht als widerwärtigen Organismus ansehen, könnte eine wichtige Hilfe für die Pflanzen sein, um mehr Babys zu machen“, sagt Prudic, die an der Studie nicht beteiligt war. „Es ist ganz amüsant, sich Kakerlaken als mehr vorzustellen als nur etwas, das man zerquetschen möchte.“

    Andere weniger bekannte Bestäuber sind zum Beispiel Mücken, Mistkäfer, Bremsen und sogar Stechmücken, erklärt Prudic weiter.

    Aber auch ohne ihre Rolle als Bestäuber sind Kakerlaken extrem wichtig für die Umwelt. Viele Arten fressen große Mengen verfaulender Biomasse. Das macht sie zu natürlichen Verwertern, so Villagra.

    Er macht sich Sorgen, dass die wachsende Tourismus-Infrastruktur im Zentrum Chiles das Zuhause der Insekten gefährden könnte. Aber auch viele einheimische Pflanzen wie P. venusta wären bedroht – das Bromeliengewächs gilt bereits als gefährdet.

    „Chile hat seine Entwicklung sehr darauf ausgerichtet, die wissenschaftliche Pionierforschung durch Regierungsbehörden finanzieren zu lassen“, sagt Villagra. „Dabei hat man aber vergessen, dass es in der Naturgeschichte des Landes noch so viel zu entdecken gibt.“

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