Artgerecht oder altmodisch: Wie zeitgemäß sind Zoos?

Ein Besuch im Tierpark ist für die meisten Deutschen selbstverständlich. Doch über die Vertretbarkeit von Zoos wird außerhalb der Gehege heftig diskutiert.

Von Julia Kainz
Veröffentlicht am 16. Apr. 2022, 08:08 MESZ, Aktualisiert am 19. Apr. 2022, 08:33 MESZ
Die Vertretbarkeit von Zoos ist ein stark diskutiertes Thema.

Die Vertretbarkeit von Zoos ist ein stark diskutiertes Thema.

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Wer Tiere liebt, geht gerne in Zoos. Das ist zumindest die Auffassung vieler Deutscher. Einer Umfrage des Instituts Forsa aus dem Jahr 2020 zufolge befürworten 82 Prozent der Befragten Zoos, zwölf Prozent lehnen sie ab. Während die Besucher vor den Gehegen einen Blick auf die Tiere werfen, läuft im Hintergrund seit Jahren eine Debatte zwischen Tierschützern und Zoobetreibern, in wie weit die Haltung von Wildtieren noch zu rechtfertigen ist. Wir gehen den Argumenten für und gegen Zoos auf den Grund. Die Meinungen der Experten könnten nicht unterschiedlicher sein.

Zoos in der Vergangenheit: Völkerschau und viel Beton

Bereits vor 5.000 Jahren wurden im alten Ägypten Antilopen, Giraffen und Elefanten gehalten. Der chinesische Herrscher Wen-Wang stellte in seinem „Park der Intelligenz“ um 1150 v. Chr. Tiger, Nashörner, Schlangen und Co. aus. Später hielten Adelige in Europa Wildtiere in sogenannten Menagerien am Hof.

Der erste Zoologische Garten eröffnete 1828 in London. Ziel war es, wissenschaftliche Studien durchzuführen. 1844 folgte der erste deutsche Zoo in Berlin. Mit den Zoos von heute hatten diese Einrichtungen wenig zu tun. Bis 1940 wurden in deutschen Zoos sogar Menschen fremder Völker zur Schau gestellt, die Entdecker von ihren Reisen mitbrachten: 1874 veranstaltete Carl Hagenbeck in Hamburg die erste Völkerschau, bei der Besucher Lappländern bei ihrem alltäglichen Leben zusehen konnten. Später wurden im Zoo Hagenbeck unter anderem auch Somalier oder Äthiopier „gezeigt“.

In der zweiten Hälfe des 20. Jahrhunderts standen Bildung und Erholung der Besucher im Fokus der deutschen Zoos. Noch immer prägten Beton, Gitter und spärliche Einrichtung die Gehege. Man hielt viele Tiere auf kleinem Raum, auch um den Besuchern einen Blick auf jedes Tier zu garantieren.

Moderne Zoos: artgerecht oder unvertretbar?

Seitdem hat sich einiges getan. Die meisten deutschen Zoos sind mit den Damaligen nicht mehr zu vergleichen. Aus Beton und Kacheln wurden strukturierte Gehege mit Wasserfällen und üppiger Bepflanzung, einigen Tieren werden auch Rückzugsmöglichkeiten geboten. Tiere eines Lebensraums, beispielsweise Zebras und Antilopen, werden gemeinsam gehalten. „Man will nicht mehr vorrangig Gitterstäbe sehen, sondern Landschaften“, erklärt Volker Homes, Geschäftsführer des Verbands der Zoologischen Gärten (VdZ), dem 70 wissenschaftlich geführte Zoos aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, sowie der Loro Parque auf Teneriffa angehören. Solche wissenschaftlichen Zoos sind gegen andere Einrichtungen, wie zum Beispiel private Vergnügungsparks, die Wildtiere halten und als Zoo bezeichnet werden können, hinsichtlich Bildung und Artenschutz abzugrenzen.

Für den Naturschützer, Naturfilmer und Meeresbiologen Robert Marc Lehmann hat die optische Veränderung von Zoos dagegen vor allem einen Grund: „Zoos werden so designt, dass sich die Besucher wohlfühlen und alles für schön und artgerecht halten“, findet er. Lehmann hat selbst mehrere Jahre in Aquarien und einem Tierpark gearbeitet. Heute hält er Zoos für nicht mehr vertretbar. Vor Jahrzehnten seien sie das für die damalige Gesellschaft womöglich gewesen. „Aber das Jahrtausende alte Konzept Zoo, das Tiere zur Schau stellt, ist heute einfach unmodern“. Seiner Meinung nach sollten Zoos ihre Tiere „in Rente schicken“, also in sogenannte „Sanctuaries“, und keine neuen mehr einführen oder nachzüchten.

Volker Homes vom VdZ sieht das anders. Da der Mensch immer weiter in die Natur vordringe und Lebensräume verloren gingen, seien Zoos „notwendiger denn je“.

Optisch sind die meisten Zoos von heute mit den Zoos vor einigen Jahrzehnten nicht mehr zu vergleichen.

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Welchen Beitrag leisten Zoos zum Artenschutz?

Mit der Biodiversitätskonvention aus dem Jahr 1993 erklärten die Vereinten Nationen den Schutz der Artenvielfalt zu einem festen Ziel. Auch der ex-sito Schutz, also der Erhalt von Tieren außerhalb ihres Lebensraums, ist darin als Maßnahme festgehalten. Zoos organisieren sich in übergreifenden Erhaltungszuchtprogrammen und tauschen ihre Tiere untereinander für die Zucht aus. Eine Studie aus dem Jahr 2020 identifizierte zwischen 28 und 48 Säugetier- und Vogelarten, die von 1993 bis 2020 vom Aussterben bewahrt werden konnten. Die ex-sito Zucht habe dabei, neben anderen Naturschutzmaßnahmen, eine wichtige Rolle gespielt.

Wie der VdZ erklärt, handelt es sich um etwa 50 Arten, die in freier Wildbahn bereits ausgestorben waren und nur in menschlicher Obhut überlebt haben. Ein Vorzeige-Beispiel ist das Europäische Wisent, von dem heute wieder mehrere tausend Vertreter in Freiheit leben. Dagegen stehen Millionen Tiere weltweit, die in Gefangenschaft leben. Allein in VdZ-Zoos leben nach eigenen Angaben rund 200.000 Wirbeltiere. Für Lehmann sind die einzelnen geretteten Arten keine Rechtfertigung für „das millionenfache Leid von Tieren“, also die Haltung von Wildtieren in Gefangenschaft, zumal die meisten davon gar nicht vom Aussterben bedroht seien.

Im Jahr 2013 untersuchten Forscher die Datenbanken der Organisation „Species360“ (früher unter dem Namen ISIS), der damals rund 840 Zoos weltweit angehörten. Sie fanden heraus, dass 2910 der 3955 in Zoos gehaltenen Säugetier-, Vogel-, Reptilien- und Amphibienarten gemäß der Roten Liste der Weltnaturschutzunion (IUCN) nicht bedroht sind, nicht einmal auf der Vorwarnliste stehen. In den vorwiegend nicht-europäischen Zoos, die der „Association of Zoos and Aquariums“ (AZA) angehören, sind nach eigenen Angaben nur 800 von 8500 gehaltenen Arten gefährdet. Für einen Großteil der Zootiere kann das Artenschutz-Argument pauschal also nicht gelten. Hier müsse man allerdings vorausschauend denken, sagt Homes, denn „die Roten Listen werden immer länger.“ Daher ist es dem VdZ zufolge wichtig, auch stabile Populationen aktuell nicht bedrohter Arten aufzubauen – falls sich ihr Gefährdungsstatus in Zukunft ändere.

Die „Königsdisziplin“ des Artenschutzes sei die Auswilderung, erklärt Homes. Aufgrund der hohen Kosten und Komplexität sei diese aber nur in bestimmten Fällen möglich. 2018 und 2019 wilderten VdZ-Zoos gut 3000 Tiere aus 46 Arten aus, darunter vor allem Amphibien und Insekten, aber auch Säugetiere wie Feldhamster und Wildkatze oder Vögel wie Gänsegeier und Waldtrapp, berichtet Homes.

Die Auswilderung exotischer Tiere ist eher selten. Von 2005 bis 2020 wurden laut Angaben des Deutschen Bundestages 149 Tiere für Auswilderungsprojekte aus deutschen Zoos ins Ausland ausgeführt. Dabei wurden nur Arten genannt, die durch die Verordnung der Europäischen Gemeinschaft zum Handel mit Wildtieren geschützt sind.

Was nützt der Zoo den einzelnen Arten also konkret? Ist er eine „Arche Noah“, die nie an ihr Ziel kommt? Homes räumt ein, dass nicht jede Tierart, die im Zoo gehalten wird, direkt einen Vorteil für ihren Erhalt in Freiheit hat. Vielmehr müsse man „das gesamte Konstrukt Zoo“ betrachten. So würden zum Beispiel viele Zoos mit Naturschutzorganisationen zusammenarbeiten oder durch den Artenschutz-Euro Geld für Erhaltungsprojekte vor Ort sammeln: An der Kasse können Besucher freiwillig einen Euro mehr für den Eintritt zahlen, der dem Artenschutz zugute kommt. Acht Millionen Euro bringen VdZ-Zoos nach eigenen Angaben jährlich für Artenschutzprojekte auf.

Für Lehmann ist es dagegen keine Option, viele Tiere zugunsten weniger einzusperren. „Artenschutz muss immer vor Ort stattfinden“, findet er und nennt den Zoo Krefeld als Beispiel. Für etwa 28 Millionen Euro wird dort nach dem Brand in der Silvesternacht 2019 ein neues Affenhaus gebaut. „Was man dafür den Orang-Utans oder Gorillas in der Natur bieten könnte, wie viele Ranger man bezahlen könnte. Stattdessen sperrt man Tiere in Deutschland ein“.

Zoos leisten einen Beitrag zum Artenschutz, wobei sehr viele Tierarten im Zoo auch keinen direkten Nutzen für ihren Erhalt in Freiheit haben.

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Lernen im Zoo

Dass viele Tierarten im Zoo gehalten werden, die gar nicht gefährdet oder für die Auswilderung vorgesehen sind, rechtfertigen Zoos durch Bildung. 1,2 der gut 45 Millionen jährlichen VdZ-Zoo-Besucher nehmen spezielle Bildungsangebote wahr. Man wolle den Menschen „Kenntnisse über die Vielfalt der Tierwelt und Einsichten in biologische und ökologische Zusammenhänge vermitteln“ und sie in einer „natürlich wirkenden Umgebung“ für die Notwendigkeit des Artenschutzes sensibilisieren, so der VdZ.

TV-Dokumentationen könnten diese Aufgabe nicht leisten, findet Volker Homes. Sie hätten „sehr wenig mit dem realen Leben zu tun.“ In Zoos hingegen könne man Tieren nah sein und bekomme „etwas geboten, was man sonst nur in der Wildnis bekommt.“ Laut Robert Marc Lehmann bekämen Kinder im Zoo hingegen ein „völlig falsches Verständnis davon, wie Tiere aussehen und wie sie sich verhalten.“ Auch die Nähe zum Tier ist für ihn kein Argument: „Man kann die Tiere weder anfassen noch mit ihnen interagieren“, sagt er. „Der Kontakt findet ja gar nicht statt. Kinder lernen etwas über Tiere bei Waldführungen, auf Schmetterlingswiesen, am Bach. Aber nicht, indem sie Tiere gegen Geld eingesperrt sehen.“ Eine Studie zum Bildungseffekt von Zoos zeigte einen Lerneffekt im Bezug auf Aussehen und Namen der Tierarten, jedoch nicht bezüglich Verhalten, Bedrohungsstatus oder Schutz.

Eine Studie aus dem Jahr 2014 untersuchte das naturschutzbiologische Lernen von Kindern durch Zoobesuche. Hier stellte sich dagegen heraus, dass es bei 41 Prozent der geführten und bei 34 Prozent der ungeführten Besuche zu naturschutzbiologischem Lernen bei Kindern kam. In einer weiteren Studie führten Zoobesuche bei den Befragten zum besseren Gesamtverständnis über Biodiversität und Schutz, vor allem in Verbindung mit informativen Grafiken und Filmen. Untersuchung aus dem Jahr 2021 zeigten positive Auswirkungen hinsichtlich Naturverbundenheit und die Einstellung zum Artenschutz. Die Ergebnisse zeigten, dass vor allem spezifische Lernangebote und Medien eine wichtige Rolle für die Vermittlung von Wissen in Zoos spielen.

Wie geht es Tieren in Zoos?

Auch wenn sich Zoos weiterentwickeln, die Gehege teilweise größer und strukturierter werden und einigen Tieren Beschäftigungsmöglichkeiten geboten werden, stellt sich trotzdem die Frage, ob hoch entwickelte Tiere in ein Zoogehege oder -becken gehören und ob es überhaupt möglich ist, sie adäquat zu halten. So sind Schwertwale, die zum Beispiel im Loro Parque Teneriffa gehalten werden, hoch intelligente Tiere, die über eigene Dialekte verfügen. Menschenaffen sind die engsten lebenden Verwandten des Menschen und viele Tiere, zum Beispiel Delfine, Elefanten oder Löwen, leben in sozialen Verbänden und zeigen ein ausgeprägtes Sozialverhalten. Jüngste Studien weisen darauf hin, dass Fische – anders als lange geglaubt – Schmerzen spüren können.

Daneben spielt der Platz, den Tiere im Zoo zur Verfügung haben, in der Debatte um Zoos immer wieder eine große Rolle. Im Gutachten des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft werden für die Haltung von einem Eisbärpaar mindestens 400 Quadratmeter empfohlen, für ein bis zwei Tiger 200 qm. In der Natur bewegen sich Eisbären im Jahresverlauf innerhalb einer Fläche von 20.000 bis 250.000 Quadratkilometern, Tiger leben – je nach Beutetierdichte – in 20 bis 400 Quadratkilometer großen Revieren, manche durchstreifen auch bis zu 1300 Quadratkilometer große Territorien. Dennoch sei für die Tiere „die Haltung in menschlicher Obhut kein Freiheitsentzug, sondern der Lebensraum“, so der VdZ. Außerdem, so der Verband, legen die Tiere in Freiheit nicht freiwillig so viele Kilometer zurück, sondern zum Beispiel zur Nahrungs- oder Partnersuche. Das müssten Zootiere schließlich nicht.

Heißt das, dass Zootiere in kleineren Gehegen zufrieden sind? Oder brauchen Wildtiere Reize wie Jagd und Partnersuche? Wie es Tieren geht, lässt sich anhand ihres Verhaltens beurteilen. Laut Volker Homes zeigen „die allermeisten Tiere, die in menschlicher Obhut leben, natürliches Verhalten.“ Damit meint er Aktionen wie schlafen, fressen, trinken und spielen. Doch einige Zootiere, zum Beispiel Menschenaffen und Elefanten, weisen in Gefangenschaft stereotype Verhaltensweisen auf, die als Zeichen für die Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit gesehen werden. In einer Untersuchung von 40 Schimpansen zeigten alle mindestens ein anormales Verhalten, zum Beispiel das Fressen von Kot, Hin- und Herwiegen oder stereotype Pflege. Die Untersuchung von 84 Asiatischen Elefanten in europäischen Zoos erfasste, dass fast Dreiviertel der Tiere Stereotypien wie Nicken, Auf- und Abgehen oder Weben aufwiesen. Letzteres bezeichnet das Hin- und Herwippen mit dem Kopf. In einer Studie zur Sterblichkeit von Raubtieren in Zoos stellte sich heraus, dass Zoos die „überlebensbezogene Haltung“ der Tiere kontinuierlich verbessert haben, da bei den untersuchten Tieren die Sterblichkeit von Jungtieren zurückging und die Lebenserwartung stieg. Ein Rückschluss auf  Verbesserung des individuellen Tierwohls sei dadurch, laut Studie, aber nicht automatisch möglich. Denn „wenn das Tierwohl zum Beispiel gering ist, könnte man argumentieren, dass ein längeres Leben einfach eine längere Zeit an geringem Tierwohl bedeutet“.

Sind Zoos heute vertretbar?

Wissenschaftlich geführte Zoos argumentieren mit ihrem Beitrag zum Artenschutz und der Vermittlung von Wissen. Während die Vertreter der Zoos von dem Ziel sprechen, den Tieren bestmögliche Lebensbedingungen und den Besuchern Naturschutzbildung zu bieten, verweisen Tierschützer auf diverse Möglichkeiten für Fortbildung und Artenschutz, die es nicht erfordern, Millionen Tiere in Gefangenschaft zu halten.

Die Debatte ist hitzig, diverse Studien liefern unterschiedliche Ergebnisse. Gesellschaften sind ständig im Wandel und mit ihnen verändert sich auch die Nutzung von Zoos. Wie vertretbar Zoos sind oder ob es auch Alternativen für den ex-sito Arterhalt gibt, wie zum Beispiel spezifische Erhaltungszuchtprogramme, muss weiter an höherer Stelle und individuell vor jedem Zoobesuch diskutiert werden.

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