Matriarchat im Tierreich: Bei diesen Tieren dominieren die Weibchen

Was haben Bonobos, Orcas, Hyänen, Elefanten, Lemuren, Bienen und Nacktmulle gemeinsam? An der Spitze ihrer sozialen Strukturen stehen Frauen! So sieht soziale Dominanz von Weibchen im Tierreich aus.

Von Julia Kainz
Veröffentlicht am 6. Juni 2023, 10:48 MESZ
Matriarchat im Tierreich

Die Bienenkönigin ist die Einzige unter den weiblichen, die sich fortpflanzt. 

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Im Tierreich gibt es viele verschiedene soziale Strukturen: Einzelgänger wie Eisbären streifen, abgesehen von der Paarung, allein durchs Leben. Bei den Löwen lebt ein Männchen zusammen mit mehreren Weibchen hierarchiefrei in einem Rudel. In Wolfsrudeln leben Leit-Männchen und Leit-Weibchen in einer Partnerschaft und führen gemeinsam das Rudel, das für gewöhnlich aus ihren Kindern besteht, an. Und dann gibt es Tierarten, bei denen Weibchen sozial dominieren oder matriarchale Strukturen zu finden sind. 

Unter dem Begriff Matriarchat versteht man allgemein eine soziale (oder politische) Gesellschaftsordnung, in der Frauen insbesondere in Bezug auf Entscheidungsfindung, Autorität und Erbfolge eine führende Rolle einnimmt. Klassische Beispiele für Tiere, bei denen Frauen „das Sagen haben“, sind unter anderem Bonobos, Orcas und Hyänen. Doch je nach Tierart sehen diese Strukturen sehr unterschiedlich aus. 

Matriarchat im Tierreich

Bonobo Affen leben in Kommunen, jeder Affe ist dort recht frei in seinen Entscheidungen. 

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Fission-Fusion-Systeme bei den Bonobos: Weibliche Zusammenschlüsse dominieren

Die Zwergschimpansenart Bonobo lebt in der Demokratischen Republik Kongo und gehören zu den nächsten Verwandten des Menschen: 98,7 Prozent ihrer DNA stimmt mit der menschlichen überein. Ihre sozialen Strukturen sehen im Vergleich mit den Menschen ganz anders aus: „Bonobos leben in Kommunen und praktizieren ein Fission-Fusion-System“, erklärt Dr. Gottfried Hohmann, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie. „Das heißt, die Gruppe ist kein geschlossener Verband, sondern die Individuen sind relativ frei in ihrer Entscheidung, mit wem sie gerade umherziehen." Angeführt werden Bonobo-Gruppen von Weibchen. Während die Söhne in der Kommune bleiben, verlassen weibliche Bonobo-Nachkommen die Gruppen vor der Verpaarung.

„Dementsprechend sind die weiblichen Mitglieder einer Gruppe nicht eng miteinander verwandt", so Dr. Hohmann. Dennoch würden sich die Weibchen oft zusammenschließen, zum Beispiel für den gemeinsamen Verzehr größerer Nahrung, um männliche Bonobos zu verjagen oder ihr Fehlverhalten zu „bestrafen". Männliche Bonobos sind größer und stärker als Bonobo-Weibchen. Das heißt, sie wären den Weibchen eigentlich überlegen, würden sie sich ebenfalls zusammenschließen. Doch unter Männchen finden keine Kooperationen statt. 

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    Die Clans von Tüpfelhyänen können aus bis zu hundert Tieren bestehen. 

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    Clan-Chefinnen: Weibliche Tüpfelhyänen sind größer

    Tüpfelhyänen leben in sogenannten Clans zusammen, die aus wenigen, aber auch aus bis zu hundert Tieren bestehen können. Clans bestehen dabei aus mehreren Hyänen-Familien, die jeweils von einem Weibchen angeführt werden. Hyänen praktizieren eine ähnliche Fission-Fusion-Gruppenbildung wie Bonobos, erklärt Dr. Hohmann. Ein Unterschied sei aber, dass hier die weiblichen Nachkommen in der Gruppe bleiben, während die männlichen die Gruppe wechseln.

    Eine Besonderheit bei den Hyänen ist, dass die Weibchen größer sind als die Männchen, was für Säugetiere ungewöhnlich ist. Doch neben Körpergröße gibt es noch weitere Vermutungen, warum bei Tüpfelhyänen die Weibchen dominanter sind: Wie bei den Bonobos kooperieren auch bei den Hyänen die Weibchen miteinander und helfen sich um Beispiel bei der Aufzucht des Nachwuchses. Außerdem haben die Weibchen einen sogenannten Pseudopenis: Aufgrund von bestimmten Sexualhormonen sind die Geschlechtsorgane bei den weiblichen Hyänen so gewachsen, dass sie männlichen Geschlechtsorganen sehr ähnlichsehen. Diese Anatomie weiblicher Tüpfelhyänen erschwert den Zugang für männliche Hyänen bei der Paarung. Deshalb haben die Weibchen die Kontrolle darüber, mit wem sie sich paaren, nicht die Männchen: Die Frauen müssen den Männern aktiv Zugang gewähren. „Damit verlieren Dominanzgebaren der Männer an Wirkung", sagt Dr. Hohmann.

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    An der Spitze eines Orca Rudels, auch Schule genannt, steht immer das älteste Weibchen.

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    Orcas: Familienverbände mit weiblichem Oberhaupt

    Orcas sind ein Paradebeispiel für matriarchale Strukturen im Tierreich. Die Schwertwale leben in Familienverbänden zusammen, die als Schulen oder Pods bezeichnet werden und an deren Spitze jeweils das älteste Weibchen steht. Die Gruppe bildet sich nach der Mutterlinie. Das heißt: Ein Orca- Pod besteht aus dem ältesten Weibchen, auch Leitkuh genannt, ihren Nachkommen sowie deren Kälbern. „Paarungen finden zwischen Mitgliedern verschiedener Verbände statt", erklärt Dr. Hohmann. Verwandte Mutterlinien schließen sich gelegentlich auch zu größeren Gruppen zusammen. Der Zusammenhalt und die Bindung innerhalb einer Schwertwal-Gruppe sind sehr eng. Sie verfügen teilweise über individuelle Jagdtechniken und Dialekte, die sie an ihre Nachkommen weitergeben.

    Besonders spannend: Orcas durchleben als eine von wenigen Säugetierarten eine Menopause. Diese setzt mit rund 40 Jahren ein. Weibliche Orcas können allerdings bis zu 90 Jahre alt werden. Lange war unklar, warum Schwertwale eine Menopause haben. In einer Studie aus dem Jahr 2019 fanden Forscher aber heraus, dass die Orca-Großmütter eine wichtige Bedeutung für das Überleben ihrer Enkel spielen. Hier erfahren Sie mehr zu den Ergebnissen der Studie und der Bedeutung der Orca-Omas für ihre Enkel. 

    Von Nacktmull und Bienen: Weibliche Königinnen

    Während die meisten Wildbienen solitär leben, ist von Honigbienen bekannt, dass sie in Völkern zusammenleben, an deren Spitze jeweils eine Königin steht: Sie lebt länger als die anderen Bienen und ist diejenige, die sich fortpflanzt, während die weiblichen Arbeiterbienen Futter sammeln und die Nester pflegen. Die männlichen Bienen, genannt Drohnen, haben die Aufgabe, die Königin zu befruchten.

    Doch auch unter den Säugetieren gibt es ein Tier, das in Staaten lebt: den Nacktmull. Bis zu 300 Tiere können in einem solchen Staat leben, angeführt von einer Königin. Seine Sozialstruktur erinnert viel mehr an die von Insekten als von Säugetieren. Ähnlich wie bei den Bienen ist die Königin der Nacktmulle größer und pflanzt sich als einziges Weibchen fort. Potenziell kann jedes Nacktmull-Weibchen Königin werden. Nach dem Tod der Königin gibt es unter den Weibchen heftige Kämpfe um den „Thron“, bei denen auch einzelne Tiere sterben. Die neue Königin verändert sich körperlich und wird größer, heller und fruchtbar. Noch mehr über die Sozialstruktur von Nacktmullen und wie Nacktmull-Weibchen plötzlich fruchtbar werden, wenn sie Königin sind, lesen Sie hier.

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    Die Strukturen bei den Nacktmullen erinnert viel mehr an die von Insekten, als von Säugetieren. 

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    Das National Geographic Magazin 7/23 ist seit dem 22. Juni im Handel erhältlich.

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    Noch mehr spannende Reportagen über die Wildnis lesen Sie im NATIONAL GEOGRAPHIC Magazin 6/23. Verpassen Sie keine Ausgabe mehr: Sichern Sie sich die nächsten 2 Ausgaben zum Sonderpreis! 

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