Ewige Fruchtbarkeit: Warum Nacktmulle nicht in die Wechseljahre kommen

Im Gegensatz zu Menschen und anderen Säugetieren nimmt die Fruchtbarkeit beim Nacktmull mit dem Alter nicht ab. Jetzt wurden die Prozesse entschlüsselt, die dafür verantwortlich sind.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 28. Feb. 2023, 10:29 MEZ
Ein Nacktmull vor einem weißen Hintergrund.

Wundertier Nacktmull: Die Nagetiere werden bis zu 30 Jahre alt, bleiben aber bis ans Ende ihres Lebens oft kerngesund.

Foto von Eric Isselée / Adobe Stock

Sie mögen nicht besonders niedlich aussehen, doch aus wissenschaftlicher Sicht sind Nacktmulle wahre Wundertiere: Sie haben kein Schmerzempfinden wie andere Säugetiere, eine für Nagetiere außergewöhnlich hohe Lebenserwartung und erkranken fast nie an Krebs. Für Miguel Brieño-Enríquez, Assistenzprofessor für Geburtshilfe, Gynäkologie und Reproduktionswissenschaften an der University of Pittsburgh in Pennsylvania, ist ihre erstaunlichste Fähigkeit jedoch, dass die Fruchtbarkeit der Weibchen mit dem Alter nicht abnimmt. „Sie hören nie auf, Babys zu bekommen“, sagt er. 

Das ist darum faszinierend, weil weibliche Säugetiere diese Fähigkeit in der Regel ab einem gewissen Alter verlieren. Sie verfügen über einen begrenzten Vorrat an Eizellen, die sich vor oder kurz nach der Geburt in den Eierstöcken bilden. Mit der Zeit wird diese Reserve durch Eisprung und vor allem Absterben aufgebraucht, bis sich irgendwann Unfruchtbarkeit einstellt. Brieño-Enríquez und sein Team haben im Rahmen einer Studie erforscht, warum das bei den in Ostafrika heimischen Nacktmullen anders ist. Ihre Ergebnisse wurden in der Zeitschrift Nature Communications veröffentlicht. 

Rätselhafte Eizellen

Für Brieño-Enríquez kamen drei Szenarien als Erklärung dieser Eigenheit in Frage. „Entweder werden die Weibchen mit außergewöhnlich vielen Eizellen geboren, die Absterberate ist niedrig, oder es werden auch später im Leben neue Eizellen produziert“, sagt er.

Tatsächlich fanden er und sein Team für alle drei Prozesse Beweise. Dabei half der Vergleich mit Mäusen, die ebenfalls Nagetiere und ähnlich groß sind wie Nacktmulle. Im Schnitt ist bei ihnen jedoch bereits nach neun Monaten ein Rückgang der Fruchtbarkeit zu beobachten. Nacktmulle können 30 Jahre und älter werden und sind ebenso lang fruchtbar. Ein gewaltiger Unterschied.

Mutterfreuden bis ins hohe Alter: Eine Nacktmullkönigin, hier mit einem Neugeborenen, ist ihr Leben lang uneingeschränkt fruchtbar.

Foto von belizar / Adobe Stock

Der Vergleich von Nacktmull-Eierstöcken mit denen von Mäusen verschiedener Entwicklungsstadien zeigte, dass Nacktmullweibchen etwa 95-mal mehr Eizellen in sich tragen als weibliche Mäuse. Die Rate, mit der diese Zellen absterben, ist beim Nacktmull deutlich niedriger. Ihr Vorrat ist also größer und wird langsamer aufgebraucht.

Jedes Mädchen kann Königin werden

Ein besonders bemerkenswertes Ergebnis der Studie ist, dass die Oogenese – also die Entwicklung der Eier in den Eierstöcken – bei Nacktmullen postnatal stattfindet. Allerdings bedarf es dazu eines Auslösers.

Nacktmulle leben in großen, unterirdischen Kolonien, die aus mehreren Dutzenden bis Hunderten Tieren bestehen. Die Organisation der Kolonie erinnert hinsichtlich der Aufgabenverteilung an einen Ameisen- oder Bienenstaat. Eine andere Gemeinsamkeit ist, dass es auch bei den Nacktmullen eine Königin, also nur ein einziges dominantes Weibchen gibt, das sich fortpflanzen darf. Solange sie regiert, sind alle anderen Weibchen unfruchtbar. Das ändert sich jedoch nach ihrem Tod.

„Wenn die Königin stirbt oder aus der Kolonie entfernt wird, konkurrieren untergeordnete Weibchen um ihren Platz und die Fähigkeit zur Fortpflanzung”, erklärt Brieño-Enríquez. „Ein Nacktmullweibchen wird nicht als Königin geboren, darum kann jedes Mädchen Königin werden.“

Die Forschenden fanden in den Eierstöcken der untergeordneten Weibchen Vorläuferzellen für Eier. Diese begannen erst mit der Teilung, nachdem das Weibchen Königin geworden war. In drei Monate alten Tieren sind diese Vorläuferzellen genauso vorhanden und zur Teilung fähig wie in zehnjährigen Tieren, jedes Weibchen ist also grundlegend für die Rolle als Königin ausgestattet. Das Auffinden der Vorläuferzellen in Tieren verschiedenen Alters ist zudem ein Zeichen dafür, dass die Bildung neuer Eizellen in Nacktmullweibchen ein Leben lang stattfinden kann.

„Der Eierstock ist mehr als eine Babyfabrik“

Studienautor Ned Place, Professor am Cornell University College of Veterinary Medicine in New York, nennt den Befund der Studie außergewöhnlich. „Er stellt ein vor fast 70 Jahren aufgestelltes Dogma in Frage, demnach weibliche Säugetiere mit einer endlichen Anzahl von Eiern ausgestattet sind, die später nicht mehr erweitert wird.“

BELIEBT

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    Im Fall des Nacktmulls trifft dieses Prinzip nun erwiesenermaßen nicht zu – und das könnte auch für die Gesundheit von Menschen relevant werden. „Obwohl wir immer älter werden, findet die Menopause weiterhin etwa im gleichen Alter statt wie früher“, sagt Brieño-Enríquez. „Wir hoffen, dass wir die Erkenntnisse aus der Studie nutzen können, um Medikamente oder Techniken zu entwickeln, die die Funktion der Eierstöcke und die Fruchtbarkeit im späteren Leben schützen.“

    Dabei geht es ihm nicht nur um die Fähigkeit zur Fortpflanzung. „Der Eierstock ist mehr als nur eine Babyfabrik“, sagt er. „Seine Gesundheit beeinflusst das Krebsrisiko, die Herzgesundheit und sogar die Lebenserwartung.“ Ein besseres Verständnis der untersuchten Prozesse könnte demnach zur Verbesserung der allgemeinen Gesundheit beitragen.

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