Orca-Großmütter sichern das Überleben ihrer Enkel

Schwertwalkühe durchleben die Menopause und werden bis zu 90 Jahre alt. Lange war der Grund dafür unklar.

Von Carrie Arnold
Veröffentlicht am 11. Dez. 2019, 17:00 MEZ
Orcafamilie
Eine Orcafamilie im Pazifischen Nordwesten der USA und Kanada. Die größten Vertreter aus der Familie der Delfine arbeiten bei der Jagd zusammen.
Foto von Kenneth Balcomb, Center For Whale Research

Orcas zählen zu den wenigen Säugetieren, die eine Menopause durchleben. Der Grund dafür war lange unklar, aber nun scheinen aktuelle Forschungen eine Antwort zu liefern: Die Großmütter der Art erhöhen die Überlebenschancen ihrer Enkel.

Forscher analysierten die Orcapopulationen im Pazifischen Nordwesten jahrzehntelang. Sie fanden heraus, dass junge Orcas mit Großmüttern mit größerer Wahrscheinlichkeit überlebten. Kälber, deren Großmütter starben, hatten in den nachfolgenden zwei Jahren außerdem eine deutlich verringerte Überlebenschance. Da Orcas sozial matrilinear organisiert sind, ist den alten Kühen vermutlich großes Wissen über Nahrungsressourcen zu eigen, das für ihre Gruppe über Leben und Tod entscheiden kann.

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„Das überlegene Wissen [der Orca-Großmütter] und ihre Führungsqualitäten, besonders in schwierigen Zeiten, helfen den Kälbern“, sagt der Studienautor Dan Franks. Der Evolutionsökologe forscht an der britischen University of York.

Von den Polargebieten bis zum Äquator leben Orcas oder Schwertwale in engen Familienverbänden von bis zu 40 Individuen. Die Raubtiere koordinieren ihre Jagd, um gemeinsam Fische, Robben, Wale und andere Tiere zu erbeuten. Für gewöhnlich bleiben sowohl Männchen als auch Weibchen ein Leben lang bei jener Gruppe, in der sie geboren wurden. Um Inzucht zu vermeiden, suchen beide Geschlechter aber nach fremden Artgenossen, um sich zu paaren. Weibliche Orcas verlieren ihre Fortpflanzungsfähigkeit um das 40. Lebensjahr herum, können aber bis zu 90 Jahre alt werden. Männchen hingegen werden oft nur um die 50.

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    Von der Weltnaturschutzunion werden Orcas derzeit als data deficient eingestuft – es gibt also nicht genügend Daten, um ihnen eine Gefährdungskategorie auf der Roten Liste zuzuordnen. Bekannt ist aber, dass ihr Bestand rückläufig ist. Das gilt auch für die Schwertwale des Pazifischen Nordwestens, die zu den am besten erforschten Orcas der Welt zählen. Die Hauptgründe für ihren Rückgang sind die Belastung mit toxischen Chemikalien (PCBs), der Rückgang ihrer wichtigsten Beutetiere (Lachse) und die Lärmbelastung durch den Schiffsverkehr.

    In diesem Kontext liefert die Studie, die in „Proceedings of the National Academy of Sciences“ erschien, einen wichtigen Beleg für den Schutz vor solchen Bedrohungen, sagt Franks.

    „Der Tod einer Orca-Großmutter, die ihre Menopause hinter sich hat, wirkt sich übermäßig stark auf ihren Familienverband aus“, sagt er. „Deshalb ist das ein wichtiges Werkzeug für den Artenschutz.“

    „Das ist sehr wichtige Arbeit“, findet auch Janet Mann, eine Verhaltensforscherin an der Georgetown University in Washington, D.C. Sie selbst war an der Studie nicht beteiligt. „Wir kratzen bisher nur an der Oberfläche dessen, was diese Großmütter vollbringen.“

    Evolution und Menopause

    Das Phänomen der Menopause fasziniert Wissenschaftler schon seit Langem. Die Lebenserwartung einer Frau ist bei ihrer Geburt im Allgemeinen höher als bei Männern, obwohl sie bereits Jahrzehnte vor ihrem Tod keine Kinder mehr bekommen kann. Männer hingegen können bis zu ihrem Tod Nachkommen produzieren.

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    „Männer haben keine Wechseljahre. Sie haben bis zum Ende hin immer noch ein paar Spermien“, sagt Mann.

    Von einem evolutionären Standpunkt aus macht das Sinn. Aber eine Frau, die noch 40 Jahre weiterlebt, nachdem sie ihr letztes Kind bekommen hat – eher weniger, so Mann.

    Im Rahmen der natürlichen Selektion sollte es doch eigentlich von Vorteil sein, so lange wie möglich so viele gesunden Nachkommen wie möglich zur Welt zu bringen, könnte man meinen.

    Evolutionsbiologen haben mehrere Hypothesen entwickelt, die dieses Dilemma erklären könnten. Zum einen kann die Menopause dafür sorgen, dass Mütter und Großmütter nicht um knappe Ressourcen für ihre Kinder konkurrieren. Außerdem kann die Geburt mit steigendem Alter zunehmend riskant sein. Das bringt nicht nur Mutter und Baby in Gefahr, sondern auch die anderen Kinder der Mutter.

    Dann gibt es da noch die Großmutter-Hypothese, die unter anderem durch die Arbeit der amerikanischen Anthropologin Kristen Hawkes an Bekanntheit gewann. Sie erforschte die Hadza, eine Gruppe moderner Jäger und Sammler in Tansania. Hawkes argumentierte, dass Großmütter die Überlebenschancen ihrer Enkel erhöhen, indem sie Zeit darauf verwenden, auf sie aufzupassen und ihnen bei der Nahrungssuche zu helfen.

    Diese Vermutung wird durch diverse Studien gestützt. Eine davon erschien 2004 und untersuchte vorindustrielle Gesellschaften finnischer und kanadischer Ureinwohner. Auch dort zeigte sich, dass Kinder mit Großmüttern bessere Chancen hatten, bis ins Erwachsenenalter zu überleben.

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    Fasziniert von den Forschungsergebnissen, wollten Franks und seine Kollegen herausfinden, ob bei den Orcas ein vergleichbarer Effekt auftritt. Sie werteten Daten aus insgesamt 40 Jahren zu Geburten, Todesfällen und anderen Ereignissen im Leben von zwei Orcagruppen an der Westküste aus.

    Insgesamt analysierte das Team die Überlebensraten von 378 „Orca-Enkeln“ und entdeckte, dass das Sterberisiko für ein Kalb sank, wenn seine Großmutter die Menopause erreichte – und wenn das Kalb männlich war. Frank zufolge können alte Orcaweibchen nach der Menopause mehr Ressourcen auf ihre Enkel verwenden. Gerade deshalb ist der Tod solcher Kühe so verheerend. Warum das Geschlecht des Kalbs eine Rolle spielt, ist noch unklar.

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    Am höchsten war das Risiko für Kälber zu Zeiten, in denen der Lachsbestand mittelmäßig oder gering ausfiel. Auch das deutet darauf hin, dass die alten Kühe in Zeiten der Nahrungsknappheit besonders nützlich sind.

    „Wir wissen, dass sie ihren Familienverband zwischen den Nahrungsgründen umherführen, besonders in Notzeiten. Und wir wissen, dass sie ihre Beute mit ihren jüngeren Verwandten teilen“, so Franks. „Wir vermuten aber, dass noch mehr dahintersteckt“ und es noch mehr darüber zu lernen gibt, wie die Großmütter ihren Familien helfen.

    Da die Populationen im Pazifischen Nordwesten schrumpfen, werden wir das aber vielleicht nie herausfinden, befürchtet Mann.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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