Invasion der Bettwanzen: Warum die Populationen weltweit explodieren

Nicht nur Paris hat ein Problem mit der Bettwanze: Überall auf der Welt werden die Parasiten zur Plage. Warum das so ist und was man über den Feind in unseren Betten wissen muss.

Von Kiley Price
Veröffentlicht am 13. Okt. 2023, 16:37 MESZ
Bettwanze auf einem weißen Untergrund.

Die gewöhnliche Bettwanze Cimex lectularius ist ein Parasit, der den Menschen befällt und überall auf der Welt zu finden ist.

Foto von Rudolf KONIG, Getty Images

Während der Pariser Fashion Week versammelten sich Designer, Models und Stars in der französischen Hauptstadt – doch sie waren nicht die einzigen, die dort Schlagzeilen machten. Während auf den Runways die neuesten Modekreationen präsentiert wurden, sah man auf Social Media und in den Nachrichten ganz andere Bilder aus dem Umfeld des schillernden Events: Bettwanzen, die in Scharen über die Polster der Stadt – von U-Bahn-Sitzen bis hin zu Kinosesseln – krabbelten.  

Die Sorge ist groß. Paris ist – nicht nur zur Fashion Week – Magnet für Touristen, in deren Gepäck die kleinen Blutsauger per Anhalter die ganze Welt bereisen können. „Niemand ist sicher“, so Emmanuel Grégoire, stellvertretender Bürgermeister der Stadt.

Lästig sind die kleinen Parasiten zweifellos. Weil Bettwanzen aber keine Krankheiten übertragen, sind sie in der Regel oft nicht mehr als ein juckendes Ärgernis. Durch den verstärkten Einsatz von Insektiziden war das Problem von den Vierziger- bis in die späten Neunzigerjahre unter Kontrolle. In den vergangenen Jahren erlebte die Bettwanze jedoch ein wahres Comeback. In fast allen Großstädten der Erde, darunter auch New York und Hongkong, wurden explodierende Zahlen gemeldet. Bei der Situation in Paris handelt es sich also nicht um einen isolierten Ausbruch, sondern um einen weiteren Beleg für ein Problem, das schon lange besteht.

„Meine Vermutung ist, dass wir schon lange ein unterschwelliges Bettwanzen-Problem haben, das nicht erst bei Fashion Week aufgetaucht ist“, sagt Zachary DeVries, urbaner Entomologe an der University of Kentucky in Lexington. „Es hat jetzt einfach viel Aufmerksamkeit bekommen. Am richtigen Ort zur richtigen Zeit, sozusagen. Oder aus Sicht der Bettwanzen: zur falschen Zeit am falschen Ort.“

Der Parasit in deinem Bett
In jedem Spalt und Winkel unserer Häuser verstecken sich Milben und Wanzen. Die kleinen Parasiten haben es auf unser Blut abgesehen. Szenen aus Tierische Freaks.

Wer schon einmal mit Bettwanzen in Kontakt gekommen ist, weiß, dass ihre Bisse starken Juckreiz auslösen können. Wer einen Befall im eigenen Haus hatte, hat zudem erlebt, wie schwer es ist, die Parasiten wieder loszuwerden, wenn sie sich erst einmal in Textilien und Polstern eingenistet haben.

Eine einzelne Bettwanze hat eine Lebensspanne von wenigen Monaten bis zu einem Jahr. Laut DeVries ist das mehr als genug Zeit, um Populationen zahlenmäßig explodieren zu lassen. „Es reicht ein einziges Weibchen, das gerade befruchtet wurde. Innerhalb weniger Wochen und Monate kann daraus eine Population entstehen, deren Wachstum komplett außer Kontrolle gerät“, sagt er.

Was sind Bettwanzen?

Bettwanzen gehören der Familie der Plattwanzen (Cimicidae) an. Diese umfasst etwa einhundert Spezies kleiner parasitischer Wanzen, die sich von dem Blut warmblütiger Tiere ernähren. Nur drei dieser Spezies befallen auch Menschen. Die bekannteste unter ihnen ist die gewöhnliche Bettwanze (Cimex lectularius).

Ausgewachsene Bettwanzen sind zwischen 3,8 und 5,5 Millimeter lang – etwa so groß wie ein Apfelkern –, flügellos und von rotbrauner Farbe. Oft werden sie mit anderen Blutsaugern wie Flöhen verwechselt, ihr flacher, ovaler Körper ist jedoch ein hilfreiches Unterscheidungsmerkmal.

„Seit Beginn der Geschichtsschreibung kennt man das Problem mit den Bettwanzen“, sagt DeVries. Ihre winzigen Überreste wurden zum Beispiel in 3.500 Jahre alten ägyptischen Gräbern gefunden. Doch wo liegt ihr Ursprung? Über die Evolution der Parasiten sind Forschende sich uneinig. Eine der führenden Theorien ist, dass sich moderne Bettwanzen im Zusammenhang mit Fledertieren entwickelt haben.

„Vor rund 200.000 Jahren bewohnten Menschen und Fledertiere gemeinsam Höhlen. So entwickelte sich vermutlich eine Linie von Bettwanzen, die sich auf Menschen spezialisierte“, sagt Coby Schal, Urbaner Entomologe an der North Carolina State University in Raleigh. „Als die Menschen die Höhlen verließen, folgten ihnen die Parasiten.“

BELIEBT

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    Eine Bettwanze trinkt menschliches Blut. Bei manchen Personen entstehen durch die Bisse der Insekten juckende Stellen, bei anderen hinterlassen sie gar keine Spuren.

    Foto von Edwin Remsburg, VW Pics, Getty Images

    Appetit auf Blut

    Seit nun schon über 35 Jahren begeht Lou Sorkin alle paar Monate dasselbe Ritual: Er sitzt kaffeetrinkend in seiner Küche und füttert Bettwanzen. Der Insektenforscher aus New Jersey hat seine Karriere den kleinen Blutsaugern gewidmet, sie studiert und Tausende von ihnen aufgezogen. Eigenen Schätzungen zufolge hat er in den vergangenen Jahrzehnten über 200.000 Bettwanzen seinen Arm für Mahlzeiten zur Verfügung gestellt.

    „Das ist keine große Sache, weil ich nicht schlimm auf die Bisse reagiere“, sagt Sorkin, der derzeit für eine Firma arbeitet, die Betroffenen hilft, Ungezieferbefall in ihrem Haus zu identifizieren und zu behandeln.

    Bevor es ans Fressen geht, atmet Sorkin zunächst in das Glasgefäß, in dem die Bettwanzen hinter einem dünnen Netz sitzen. Anders als Kakerlaken zeigen Bettwanzen kein Interesse an Brotkrümeln oder Essensresten auf dreckigem Geschirr. Laut einer Studie aus dem Jahr 2017 werden sie vom Kohlendioxid im menschlichen Atem angezogen, von Körperwärme und Körpergeruch – auch dem, der dreckiger Wäsche im Wäschekorb anhaftet.

    Hat die Bettwanze ihr Ziel gefunden, durchsticht sie die Haut des Wirts mit einer nadelartigen Röhre, die an ihrem Kopf sitzt, und saugt das warme Blut. Gleichzeitig injiziert sie an der Stichstelle eine Reihe von Proteinen, darunter eine Art Betäubungs- und ein Antigerinnungsmittel.

    Während einer Mahlzeit kann eine Bettwanze das Sechsfache ihres Körpergewichts an Blut aufnehmen. Schal zufolge ähnelt das zuvor flache Insekt vollgefressen eher einer Christbaumkugel. Bettwanzen sind – soweit bekannt – keine Überträger von Krankheiten. Ihr Speichel kann bei manchen Personen jedoch allergische Reaktionen hervorrufen und große, juckende Schwellungen entstehen lassen. Andere Menschen würden hingegen gar nicht bemerken, dass sie sich das Haus mit Bettwanzen teilen, weil ihre Haut auf die Bisse nicht reagiert, so Schal.

    Brutale Paarung, hungrige Larven

    Die Fortpflanzung findet bei Bettwanzen durch einen Prozess statt, der als „traumatische Insemination“ bezeichnet wird. Dabei durchsticht das Männchen die Haut des weiblichen Abdomens an einer beliebigen Stelle mit seinem sichelförmigen Penis und injiziert Sperma direkt in den Körper. Über den Kreislauf des Weibchens gelangt das Ejakulat in die Eierstöcke, wo es die Eizellen befruchtet.

    „Die Weibchen verfügen über einen voll ausgebildeten Genitaltrakt, den die Männchen geflissentlich ignorieren“, sagt William Hentley, Ökologe an der University of Sheffield in England. „Warum sie diese gewaltsame Form der Begattung bevorzugen, ist uns ehrlich gesagt ein Rätsel.“

    Im Laufe der Zeit hat sich im Abdomen weiblicher Bettwanzen das sogenannte Ribagasche Organ entwickelt, in dem zahlreiche Immunzellen sitzen. Sie verhindern, dass sich die Stelle, an der der Penis die Haut verletzt hat, entzündet. Nach der brutalen Paarung legen Bettwanzenweibchen im Schnitt ein bis sieben Eier pro Tag, aus denen die Larven schlüpfen. Bevor sie das Erwachsenenalter erreichen, durchlaufen sie fünf verschiedene Wachstums- und Häutungsstadien. Vor Abschluss jeder Häutung müssen sie eine Blutmahlzeit einnehmen.

    Um die Verbreitung von Bettwanzen zu verhindern, werden die Matratzen in den Baracken der U.S.-Armee während des Zweiten Weltkriegs mit dem Insektizid DDT besprüht.

    Foto von Bettmann, Getty Images

    Was hilft gegen Bettwanzen?

    In der Geschichte gab es unzählige Versuche, Bettwanzen-Befall unter Kontrolle zu bringen. Einer der erfolgreichsten fand während des Zweiten Weltkriegs statt. Damals wurde das inzwischen verbotene Insektizid DDT eingesetzt, das sich bei der Bekämpfung als konkurrenzlos effektiv herausstellte – zunächst. In den Neunzigerjahren entwickelten und verbreiteten sich dann jedoch neue Bettwanzen-Populationen, die gegen DDT immun waren.

    „Das ist das Problem mit Insektiziden“, sagt DeVries. „Man tötet große Mengen Ungeziefer, doch wenn nur ein paar überleben, entstehen resistente Populationen.“ Ein Effekt, der ihm zufolge mit Krankheitserregern vergleichbar ist, gegen die Antibiotika nicht mehr helfen.

    Zusätzlich erschwert wird die Situation dadurch, dass der weltweite Tourismus in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen hat, was die weitläufige Verbreitung der Parasiten begünstigt. Viele von ihnen sind zudem in hohem Maße gegen eine ganze Bandbreite von verfügbaren Insektiziden immun, sodass die Populationen gerade in jüngerer Zeit stark gewachsen sind. Kammerjäger*innen nutzen inzwischen häufig Hitze, um die Schädlinge zu vertreiben: Bettwanzen sterben ab, wenn sie mindestens 90 Minuten lang Temperaturen von über 43 Grad Celsius ausgesetzt werden.

    „Der beste Weg, um dem Befall mit Bettwanzen vorzubeugen, ist es, in eine einsame Hütte im Wald zu ziehen und diese nie wieder zu verlassen“, sagt DeVries. „Aber dann würde man all die schönen Seiten des Lebens verpassen.“ Er warnt davor, paranoid zu werden. „Das hilft letztendlich niemandem“, sagt er. „Es sind einfach nur Wanzen und wir können mit ihnen fertigwerden.“

     

    Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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