Naturschutzerfolg: Die Rückkehr des Schreikranichs

Der Erhalt der der seltenen Schreikraniche ist einer der größten Naturschutzerfolge der USA. Unser Team begleitete den Jungvogel 15 J auf seiner gefahrvollen ersten Herbstwanderung in den Süden.

Von Rene Ebersole
Veröffentlicht am 22. Mai 2024, 22:03 MESZ
Schreikraniche im Aransas National Wildlife Refuge in Texas

Im Aransas National Wildlife Refuge in Texas stolzieren Schreikraniche bei Sonnenaufgang neben einer Schar Nashornpelikane.

Foto von Michael Forsberg

250 Meter hoch in der Luft fliegen wir mit einem internationalen Forscherteam über die ausgedehnten borealen Wälder des Wood-Buffalo-Nationalparks in Kanada. Plötzlich ein Ruf: „Vogel auf neun Uhr!“ Pilot Paul Spring dreht eine Linksschleife und neigt den Hubschrauber, um eine bessere Sicht auf einen der zahllosen Wassertümpel zu erhalten, die sich bis zum Horizont erstrecken. „Da ist ein Küken“, ruft John Conkin, Wildtierbiologe am kanadischen Umweltministerium ECCC. Er richtet sein Fernglas auf einen rostbraunen Vogel, der durch das Sumpfland stelzt. Spring setzt zur Landung an. Hastig drängen Conkin, sein Kollege Mark Bidwell, gleichfalls Biologe am ECCC, und die anderen Kranichfänger aus dem Helikopter – Biologe Dave Brandt vom U.S. Geological Survey und die kanadische Wildtierärztin Sandie Black.

Ihnen bleiben nur zwölf Minuten, um das scheue Zielobjekt aufzuspüren: ein wildes Schreikranichküken, wie geschaffen für das Durchqueren von tiefem Schlamm, Dornengestrüpp und Riedgräserdickicht. Dauerte es länger, würde das Team die Jagd abblasen müssen, um den Vogel keinem übermäßigen Stress auszusetzen. Während die Forscher im Gestrüpp verschwinden, heben Spring und ich mit dem Hubschrauber wieder ab, um das Team aus der Luft zu unterstützen. Als die Kranicheltern die sich nähernden Menschen wahrnehmen, schlagen sie ein paar Mal mit ihren riesigen Flügeln und verschwinden.

Den flugunfähigen Nachwuchs lassen sie zurück, wenn auch sicher widerstrebend. „Ich habe das Junge im Blick“, teilt Spring der Gruppe auf dem Boden per Sprechfunk mit. „Es ist direkt unter dem Helikopter. Bewegt euch in unsere Richtung.“ Die Wissenschaftler preschen durchs Dickicht und versuchen, schneller voranzukommen, als das sumpfige Terrain eigentlich erlaubt. Routiniert nähert sich John Conkin dem jungen Kranich, bekommt Schnabel, Kopf und Beine zu fassen und klemmt ihn sich vorsichtig unter den Arm.

Sechs Minuten, 36 Sekunden: Vogel geschnappt. Es folgt der technische Teil. Verschwitzt und außer Atem packt das Team seine Ausrüstung aus. Der erfahrene Biologe Brandt, der in seinem Berufsleben schon mindestens 150 wilde Schreikraniche beringt hat, hält den Jungvogel auf seinem Schoß und überwacht Conkin beim Anbringen eines Senders an einem Bein sowie farbiger Ringe (blau, gelb und grün) am anderen. In der Zwischenzeit untersucht Tierärztin Black den Vogel. Sie kontrolliert die Augen und nimmt Proben von Blut, Federn, Speichel und Kot. So kann sie später im Labor herausfinden, ob das Tier schädlichen Chemikalien ausgesetzt war oder an einer Krankheit wie dem hochpathogenen aviären Influenzavirus (HPAIV) leidet.

Sie sprechen leise miteinander. Als sie fertig sind, klemmt sich Brandt den Jungvogel wie einen Football unter den Arm und trägt ihn zum Rand des Feuchtgebiets, wo er ihn behutsam absetzt und sich rasch entfernt. Der Jungvogel – in wissenschaftlichen Aufzeichnungen nun als 15J bekannt – flüchtet in die entgegengesetzte Richtung, hält kurz inne, plustert sein Federkleid auf, schüttelt das Bein mit dem neuen Schmuck und zieht sich in den Schutz des Marschlands zurück, um sich wieder zu seinen Eltern zu gesellen.

Das Bemühen um die Schreikraniche zählt zu den größten Erfolgsgeschichten des Naturschutzes in Nordamerika. Trotzdem sind sie noch immer die seltenste unter den weltweit 15 Kranicharten und gelten nach wie vor als stark gefährdet. Schätzungen zufolge lebten vor mehr als 200 Jahren noch rund 10000 Schreikraniche auf dem nordamerikanischen Kontinent. Dem fortschreitenden Verlust ihres Lebensraums waren sie allerdings nicht gewachsen – ebenso wenig den Jägern, die sie in den 1900er-Jahren als Nahrung, zum Zeitvertreib und wegen ihrer Federn töteten, um das damals florierende Hutmachergewerbe zu versorgen. Bis 1941 hatte sich ihre Zahl auf nur noch 16 Individuen verringert.

Cover National Geographic 4/24

Foto von National Geographic

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