Chamäleons - Eine ehrliche Haut

Warum wechseln Chamäleons ihre Farbe? Zur Tarnung? Nicht nur: Sie verständigen sich auch damit. Und neuerdings wissen wir sogar, wie es funktioniert.

Von Patricia Edmonds
bilder von Christian Ziegler
Foto von Christian Ziegler

Zusammenfassung: Chamäleons sind wahre Meister der Spezialeffekte. Mit ihrer wechselnden Hautfarbe können sie sich perfekt an ihre Umgebung anpassen und sich so vor Feinden schützen. Forscher fanden nun heraus, dass dieser Trick noch einem anderen Zweck dient: der Kommunikation.

Und nun zu den Oscars für die besten Spezialeffekte der Tierwelt. Der Gewinner ist: das Chamäleon, der größte Freak der Natur. Seine durchgeknalltesten Tricks: Eine Zunge, die viel länger als der gesamte Körper ist, in Sekunden­bruchteilen aus dem Maul schießt und milli­metergenau Insekten schnappt. Zwei Teleskop­augen, die in entgegengesetzte Richtungen schauen können. Zusammengewachsene Ze­hen, die wie Fäustlinge aussehen und wie Zan­gen zupacken können. Hörner an den Augen­brauen und der Schnauze, mit denen es seine Rivalen angreifen kann. Und um den Hals ein Hautlappen, der aussieht wie der Spitzkragen von Elisabeth I., nur dass er sich abspreizen lässt, um Gegner einzuschüchtern. Und dann gibt es natürlich noch den berühmtesten Chamäleon­-Effekt: die Hautfarbe.

Schon Aristoteles war davon fasziniert, wie diese Tiere ihre Farbe wechseln können. Ein nahezu magischer Trick, so vermutete er, mit dem sie sich ihrer Umgebung anpassen. Auch die moderne Wissenschaft war lange davon überzeugt. Doch mittlerweile wissen wir noch von einem anderen Zweck der Zauberei: Kom­munikation. Zwar helfen manche Farbverände­rungen Chamäleons tatsächlich, sich zu tarnen, aber vor allem teilen sie durch ihr Wechselspiel mit, was sie gerade beschäftigt, ob sie einen Partner suchen, Konkurrenten verjagen wollen, sich nach Licht oder Wärme sehnen.

Zumindest glauben Wissenschaftler das heute. Sicher können wir uns bei diesem schil­lernden Tier noch lange nicht sein. „Obwohl Chamäleons uns seit Jahrhunderten faszinie­ren, ist immer noch vieles an ihnen sehr myste­riös“, sagt Christopher Anderson, Biologe und Chamäleon­-Experte an der Brown University im amerikanischen Providence. Akribisch erforschen Wissenschaftler wie er den blitz­schnellen Zungenschuss und die physiologi­schen Vorgänge beim Farbwechsel.

Ihre neuesten Entdeckungen haben sie an Chamäleons gemacht, die in Gefangenschaft gehalten wurden. Denn in freier Wildbahn ha­ben die Baumbewohner keine sichere Zukunft. Rund 40 Prozent der mehr als 200 bekannten Arten sind auf der Insel Madagaskar zu Hause. Die meisten übrigen leben auf dem afrikani­schen Festland. Vor allem weil die Wälder in der Heimat der Echsen abgeholzt werden, stuft die Internationale Naturschutzunion auf ihrer Ro­ten Liste neun Chamäleon­-Arten als vom Aus­sterben bedroht ein, 20 weitere sind gefährdet und 35 potenziell in Gefahr.

Mehr als 20 Prozent der bekannten Arten wurden erst in den vergangenen 15 Jahren identifiziert. Mithilfe von DNA­-Analysen fan­den die Forscher heraus, dass manche Chamä­leons zwar gleich aussehen, genetisch aber unterschiedlich sind. Zudem hat eine Gruppe südafrikanischer Wissenschaftler seit 2006 elf neue Arten entdeckt. Wir nähern uns dem Mysterium langsam an. Lange Zeit bekamen Zoologen fast nur tote Exemplare zu sehen, da die Chamäleons auf ih­rer langen Reise von Madagaskar oder dem afrikanischen Festland zu den europäischen und amerikanischen Labors häufig starben. Über die Theorien von damals müssen Forscher wie An­derson heute lachen: „Man glaubte, die Zunge des Chamäleons würde herausschnellen, weil sie mit Luft aufgeblasen wird oder sich mit Blut füllt wie ein Schwellkörper bei der Erektion.“

Anderson hat mit einer Hochgeschwindig­keitskamera, die 3.000 Bilder pro Sekunde aufzeichnet, verschiedene Chamäleons beim Insektenfang gefilmt. In hundertfach verlangsamter Zeitlupe konnte er die Abläufe der Zun­genschüsse sehen. Erspäht das Chamäleon ein Insekt, streckt es seine Zunge aus dem Maul. Die Zunge ist jedoch nicht nur ein simpler Muskel. In einem Sack im Hals der Echse liegt das Zungenbein. Dieser kleine Knochen ist von elastischem, kollagenhaltigem Gewebe umgeben, und das wiederum steckt in einem röh­renförmigen Beschleunigermuskel. Wenn das Chamäleon Beute erspäht, zieht sich dieser Muskel zusammen. Dadurch spannt er das elastische Gewebe wie eine Feder, das dann im Bruchteil einer Sekunde nach vorn schießt. Die Zungenspitze formt sich dabei zu einem feuch­ten Saugnapf. Die Beute ist gefangen, das Gewebe zieht sich zurück, Mahlzeit.

Nicht nur den Geheimnissen der flinken Zunge sind die Forscher auf der Spur. Zu Beginn dieses Jahres veröffentlichte Michel Milinko­vitch, Professor für Evolutionsgenetik und Bio­physiker an der Universität Genf, seine bahnbre­chenden Ergebnisse über das Farbenspiel der Chamäleons. Lange glaubte man, dass sie ihren Hautton verändern, indem sich Pigmente ent­lang von Zellfortsätzen ausbreiten, die die Haut wie Adern durchziehen. Doch Milinkovitch mochte das nicht glauben. Zwar gibt es viele grüne Chamäleons, aber ihre Hautzellen ent­ halten gar keine grünen oder blauen Pigmente.

Milinkovitch und seine Kollegen machten sich auf die Suche und stießen auf den Kristall­effekt. Unter einer Lage von Hautzellen, die die Pigmentierung kontrollieren, entdeckten die Forscher eine weitere Schicht von Zellen. Und in diesen fanden sie Nanokristalle. Diese klei­nen Kristalle reflektieren und brechen einfal­lendes Licht und erzeugen dadurch unter­schiedliche Farben. War das die Erklärung ? Tatsächlich, in der Haut des Chamäleons sind die Kristalle wie auf einem Gitter angeordnet und können die Abstände zueinander verän­dern. Je weiter sie sich auseinanderschieben, desto weiter verschiebt sich auch die von ihnen reflektierte Farbe auf dem Lichtspektrum von Blau über Grün, Orange und Gelb bis zu Rot. Ein Effekt wie bei einer Kaleidoskopvorführung. Genau diesen Farbverlauf beobachtet man häu­fig bei Pantherchamäleons, wenn sie von der Ruhe in einen aufgeregten Zustand wechseln. Ein Rätsel war gelöst.

NG-Video: Warum Chamäleons ihre Farbe nicht nur zur Tarnung nutzen

Auch Nick Henn ist ein Kenner der Farben­ lehre. Er weiß, wie man Chamäleons zum Er­röten bringt. Mit sieben Jahren bekam er sein erstes Exemplar und entdeckte seine Liebe zu den Echsen. Heute, 20 Jahre später, hält der Züchter im Keller seiner Ingenieursfirma in Reading, im US­Bundesstaat Pennsylvania, bis zu 200 Tiere. Seine Zöglinge sollen es schön haben in ihren Metallgehegen: In jedem Käfig wachsen Pflanzen, auf die sie klettern können. Auf dem Boden in den Gehegen der Weibchen ist Sand ausgestreut, damit sie ihre Eier ablegen können. Lampen und Luftbefeuchter sorgen für ein Klima wie im Wald. Auch die Anordnung der Unterkünfte ist genau durchdacht. Ihre Positio­nierung ist so kompliziert wie die Sitzordnung auf einem UN­-Gipfeltreffen. Damit es nicht zu diplomatischen Verwicklungen kommt, dürfen die Weibchen keine Männchen sehen, und die Männchen wiederum bekommen weder Weibchen noch Rivalen zu Gesicht.

Henn öffnet den Käfig von Ember, einem jun­gen Pantherchamäleon­-Männchen. Es ist eine sogenannte „Redbar“­-Variante, die im Distrikt Ambilobe im Norden Madagaskars zu Hause ist. Embers Rumpf trägt rote und grüne Streifen, seine Körperseiten ziert ein waagerechter was­serblauer „Rallyestreifen“. Als Henn Ember mit einem langen Stock sanft anstupst, damit er darauf klettert, wird das Chamäleon grantig und zeigt das auch sofort: Seine roten Streifen wer­ den greller.

Auf dem Stock trägt Henn das Tier um die Ecke zu einem anderen Käfig. Hier wohnt Bolt, ein männliches Pantherchamäleon, das größte Exemplar der Sammlung. Als der Züchter die Tür öffnet und die beiden Chamäleons sich se­ hen, geht es los: Bolt bewegt sich ein paar Zen­timeter auf Ember zu; seine bisher grünen Greifhände färben sich leuchtend gelb, während sich das Grün rund um die Augen, am Hals und auf dem stachligen Rücken in rötliches Orange verwandelt. Auch Ember errötet. Aber Bolts Rot leuchtet weitaus stärker. Der Große kommt noch näher und reißt das Maul weit auf, sodass man die leuchtend gelbe Schleimhaut sieht.

Henn beendet die Show und bringt Ember zurück in seinen Käfig. Sonst hätte Bolt viel­ leicht versucht, Ember zu stoßen oder zu beißen. Und der wäre mit ziemlicher Sicher­heit braun geworden – die Farbe des Geschla­genen. Forscher haben herausgefunden, dass Chamäleons eine unauffällige „Unter­werfungsfarbe“ annehmen können, wenn sie unterlegen sind. Eine kluge Lösung der Evolution, denn sie sind zu langsam, um vor stärkeren Gegnern davonzulaufen.

Die Farbe: Chamäleons unterwerfen sich mit ihr und sie drohen mit ihr. Bei manchen Arten allerdings sind die Ton­wechsel zu schwach, als dass ein Rivale davor erzittern würde. Darum haben fast alle Spezies eine weitere Technik entwi­ckelt, um sich Respekt zu verschaffen: Sie machen sich größer, als sie sind. Sie stre­cken ihre V­-förmigen Rippen, wodurch sie schmaler werden, aber zugleich die Wirbelsäule anheben. Damit sie stäm­miger wirken, rollen sie zusätzlich den Schwanz ein und blähen den Sack im Hals auf. Wenn das derart aufgepumpte Cha­mäleon seinem Feind nun das Profil zeigt, wirkt es wesentlich bulliger.

So viel zum Kampf und der Rivalität. Aber wie sieht es mit der Liebe aus? Nick Henn geht weiter zu Katy Perry: Die Chamäleon­-Dame ist lachsrosa gefärbt. Die Botschaft ist eindeutig: Ich bin bereit, mich zu paaren. Ihre Käfignachbarin Pea­nut hingegen hat das bereits hinter sich und ist nun rosa mit dunklen Streifen. In ihrem dicken Bauch trägt sie die Eier. Käme ein Männchen in Katys Nähe und beeindruckte sie mit seinen Balzfarben und seinem wippenden, schwankenden Tanz, gäbe sie vielleicht nach und ließe sich begatten. Käme jedoch dasselbe Männchen in Peanuts Nähe, würde diese dunkler werden, helle Punkte bekommen und drohend das Maul aufreißen. Bliebe der Verehrer dennoch hartnäckig, könnte sie ihn anzischen oder beißen. So lange, bis der Aufdringliche die Bot­schaft endlich verstanden hat. Denn die Botschaft war eindeutig und unverblümt. In der Sprache der Farben.

(NG, Heft 9 / 2015, Seite(n) 64 bis 79)

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