Diese Spinne zerstört weibliche Geschlechtsorgane, um zukünftige Paarungsakte zu verhindern

Die Männchen einiger Radnetzspinnenarten verstümmeln die Geschlechtsorgane ihrer Partnerinnen, um ihre Nachkommenschaft sicherzustellen. Einer neuen Studie zufolge handelt es sich hierbei um die erste Entdeckung dieser Art in der Natur.

Von Michael Greshko
bilder von Gabriele Uhl
Rücksichtsloser Liebhaber?
Männliche Spinnen der Gattung Larinia jeskovi stellen sicher, dass ihre Partnerinnen sich kein zweites Mal paaren können.
Foto von Gabriele Uhl

Liebe und Leid liegen nah beieinander: Einige männliche Spinnen brechen Teile des Geschlechtsorgans der Weibchen ab, um sie von einer neuen Paarung abzuhalten, so eine Studie.

Dadurch stellt das Männchen sicher, dass es der einzige Erzeuger der Nachkommen des Weibchens ist. Es ist das erste Mal, dass beobachtet wurde, dass Männchen zu weiblicher Genitalverstümmelung greifen.

Diese Entdeckung, die am 5. November in der Fachzeitschrift „Current Biology“ veröffentlicht wurde, bestätigt einmal mehr die Hypothese der sexuellen Selektion, die besagt, dass unter den Männchen und Weibchen einer Art ein Paarungswettstreit herrscht, der mitunter sogar tödlich enden kann.

„Wir entdecken ständig neue, erstaunliche Anpassungen [dieser Art]“, sagt Jutta Schneider, Biologin an der Universität Hamburg, die zwar nicht an der Studie beteiligt war, aber mit einigen der Autoren zusammengearbeitet hat. „Der Wettkampf ist hart.“

Vor allem Spinnen tun die verrücktesten Dinge, um sexuelle Erfolge zu erzielen. Von Kannibalismus bis hin zur Selbstkastration setzen sie alles ein, um einen Geschlechtspartner zu erobern.

Noch ist nicht hinreichend erforscht, wie die Männchen das Geschlechtsorgan der Weibchen verstümmeln – eine Hypothese, die die Biologin Gabriele Uhl und ihre Kollegen an der Universität Greifswald nach der Untersuchung von Larinia-Weibchen, einer in Sibirien und Osteuropa heimischen Radnetzspinnenart, aufstellten.

Das Forscherteam beobachtete, dass vielen Weibchen nach der Paarung der Scapus fehlte, ein sattelförmiger, über der Vulva sitzender Griff. Aber warum?

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Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, fingen die Forscher wild lebende L. jeskovi ein und ließen sie sich unter genauer Beobachtung im Labor paaren. Sobald das jungfräuliche Weibchen erfolgreich vom Männchen bestiegen wurde, froren sie das Pärchen mit ein paar Sprühstößen Flüssigstickstoff ein. Auf diese Weise gelang es dem Forscherteam, die während des Geschlechtsaktes ineinandergreifenden Genitalien der Spinnen mikroskopisch zu scannen.

Da der Paarungsakt nur wenige Sekunden andauert, erwies es sich als echte Herausforderung, die Tiere im richtigen Moment einzufrieren. „Wir mussten blitzschnell reagieren und Glück haben“, so Uhl. 

Eine männliche Spinne transferiert seine Spermien über Pedipalpen, ein Paar beinartiger Gliedmaßen nahe dem Mund, die sich von oben und unten an dem weiblichen Scapus festklammern.

Die Scans offenbaren, dass der Pedipalpus der männlichen L. jeskovi den Scapus beim Abstieg vom Weibchen greift, dreht und wie mit einer Schere abtrennt. Ohne diesen wichtigen Griff können sich andere Männchen nicht mehr an dem Weibchen festhalten, sodass eine Paarung mit einem weiteren Geschlechtspartner nicht möglich ist.

Eine Finesse des gängigen Geschlechterkampfes unter den Spinnentieren. Viele weibliche Spinnen paaren sich gleich mit mehreren Männchen, befruchten ihre Eier aber nur mit dem Sperma eines einzigen Verehrers. Dieser Wettkampf hat die Männchen mancher Spinnenarten dazu verleitet, drastische Maßnahmen zu ergreifen – so kastrieren sie sich beispielsweise selbst, um die Geschlechtsöffnung des Weibchens zu blockieren.

Im vorliegenden Fall jedoch „haben die Männchen einen innovativen Weg gefunden, das Weibchen von einer erneuten Paarung abzuhalten, ohne sich selbst zu verstümmeln,“ sagt Uhl. 

(A) Eine weibliche Larinia jeskovi in ihrem Netz. Der Pfeil zeigt auf ihre äußeren Genitalien. (B und C) Mikroskopische Aufnahmen zeigen das weibliche Geschlechtsorgan mit intaktem (B) und fehlendem (C) Scapus (Sc). Die Pfeile zeigen auf die weiblichen Geschlechtsöffnungen. Mit freundlicher Genehmigung von Current Biology.
Foto von Gabriele Uhl

„Einfach genial und brillant“, findet Scott Pitnick, Biologe an der Syracuse University im US-Bundesstaat New York, der die Wissenschaftler für die Untersuchung des Aufbaus des weiblichen Geschlechtsorgans und dessen Veränderung nach der Paarung lobte.

„Es ist fast erschreckend, wie selten der Zusammenhang zwischen Struktur und Funktion untersucht wird“, so Pitnick.

SCHADEN ODER VORTEIL?

Die Forscher gehen außerdem davon aus, dass dieses Phänomen nicht nur unter Larinia jeskovi vorkommt. Die Weibchen von ungefähr 80 weiteren Spinnenarten verfügen ebenfalls über einen Scapus, der beim Paarungsakt durch ähnliche Handlungen des Männchens beschädigt werden könnte. 

Noch ist allerdings unklar, ob den Weibchen damit tatsächlich geschadet wird. Hierzu muss das Forscherteam erst deren Lebenserwartung und allgemeine Fruchtbarkeit erforschen.

„Diese Frage macht uns noch zu schaffen“, sagt Uhl. „Vielleicht ist es zum reinen Nachteil des Weibchens und wird ihr vom Männchen aufgezwungen.“

Es könnte aber auch sein, dass der einmalig nutzbare Liebesgriff sogar einen Vorteil für das Weibchen darstellt. Weibliche Spinnen sind in der Lage, lebensfähiges Sperma über Jahre zu speichern, sodass ihre Fruchtbarkeit durch eine einmalige Paarung nicht zwingend gehemmt wird.

„Anderen Männchen die Paarung unmöglich mit ihnen zu machen könnte ein wirksamer Weg sein, sich diese vom Hals zu halten“, erklärt Pitnick. Und dies stellt für die Weibchen einen weiteren Vorteil in nicht-sexueller Hinsicht dar: Sie muss ihre hart erarbeiteten Mahlzeiten nicht mit wahllosen Verehrern teilen.

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Artikel in englischer Sprache veröffentlicht am 5. November 2015

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