Die Ozeanerwärmung bleicht zwei Drittel des Great Barrier Reef aus

Ein großer Teil des 2.300 km langen Gebildes hat nun zum zweiten Jahr in Folge schwere Schäden erlitten, die Wissenschaftler auf den Klimawandel zurückführen.

Von Craig Welch
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:30 MEZ
Ausgebleichte Koralle
Als die Wassertemperatur auf 31 °C anstieg, stießen die Korallenpolypen des Great Barrier Reef ihre Algen aus und hinterließen weiße Korallen. Manche Gebiete, so wie dieser Abschnitt vor Heron Island, haben sich erholt. Auf einer Länge von 29 km sind die Polypen schließlich gestorben.
Foto von Gary Bell, National Geographic Creative
Ozeanerwärmung lässt Korallenriffe ausbleichen

Die größte lebende Struktur der Erde – ein komplexes Meeressystem, das halb so groß wie Frankreich ist und 1.500 Fischarten beheimatet – wird zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres durch warmes Wasser angegriffen. Das Zeitfenster, um die Struktur noch zu retten, schließt sich bereits.

Australiens Great Barrier Reef hat ein weiteres gewaltiges Ausbleichungsereignis durchlitten. Zum ersten Mal in unserer Erinnerung haben zwei solcher Ereignisse in aufeinanderfolgenden Kalenderjahren stattgefunden, wie Wissenschaftler des Korallenriffprogramms vom Australian Research Council an der James Cook Universität berichten. Die Wissenschaftler gaben die Ergebnisse einer kürzlich erfolgten Luftvermessung am Sonntag bekannt.

Während die Ausbleichung im letzten Jahr noch durch ein kräftiges El Niño-Phänomen verstärkt wurde – eine regelmäßig auftretende Periode der natürlichen Erwärmung im tropischen Pazifik –, kam der Schaden 2017 ohne solche Hilfe zustande.

„Die Daten sind wirklich beängstigend“, sagt Robert Richmond, ein Experte für Korallenriffe und Leiter des Kewalo Marine Laboratory der Universität von Hawaii. „Diese gewaltigen Ausbleichungsereignisse sind schlimmer geworden, dauern länger an und rücken näher zusammen. Es besteht gar kein Zweifel daran, dass das mit dem Klimawandel zusammenhängt.“

EIN RIFF VERHUNGERT

Ein Ausbleichen findet normalerweise statt, wenn Verschmutzung, übermäßige Sonneneinstrahlung oder ungewöhnlich warmes Wasser die Korallen dazu bringen, symbiotische Algen aus ihrem Gewebe auszustoßen, wodurch die Korallen weiß werden. Dieser Vorgang ist nicht zwingend sofort tödlich für die Korallen. Wenn sich die Bedingungen wieder verbessern – wenn zum Beispiel das Wasser wieder abkühlt –, können viele Korallen wieder von Algen bevölkert werden und sich erholen.

Aber ohne die Algen, welche ihre Hauptnahrungsquelle sind, werden die Korallen schwächer und anfälliger für Krankheiten. Wenn sich ihre Lage nicht schnell wieder bessert, sterben sie.

Das Problem sei, erklärt Terry Hughes, Leiter des Korallenriffprogramms der James Cook Universität, dass das Ausbleichen vor Australien nun so oft und in so extremem Maße geschieht, dass diese Korallen „null Möglichkeit“ haben, sich zu erholen. Das verändert den grundlegenden Aufbau des Great Barrier Reef (GBR).

„Die am schnellsten wachsenden Arten brauchen ein Jahrzehnt oder sogar länger, um sich angemessen zu erholen, und langsamer wachsende Korallen brauchen viel länger“, schrieb Hughes in einer E-Mail. „Da wir nun vier große Ausbleichungsereignisse im GBR innerhalb von weniger als 20 Jahren erlebt haben (1998, 2002, 2016 und 2017), können wir jetzt bereits einen massiven Rückgang der Korallen und eine Veränderung in der Zusammensetzung der Arten verzeichnen.“

Die Ausbleichung letztes Jahr war mit großem Abstand die schlimmste seit Beginn der Aufzeichnungen. Sie hat vor allem den nördlichen Teil des Riffs getroffen und auf einer Länge von 805 km nördlich von Cairns etwa 67 Prozent der dortigen Korallen in ungleichmäßigen Abständen getötet. Dieser ganze Schaden ist in weniger als einem einzigen Jahr angerichtet worden. (Zum Vergleich: Vor ein paar Jahren hatten Wissenschaftler gezeigt, dass es mehr als 25 Jahre gedauert hat, bis knapp über die Hälfte der Korallen in anderen Bereichen des Riffs gestorben waren.)

Dieses Jahr haben Hughes und sein Kollege James Kerry eine weitere Reihe an Luftvermessungen durchgeführt und haben insgesamt etwa 8.000 km zurückgelegt, als der Sommer auf der südlichen Hemisphäre endete und die Wassertemperatur – und die Ausbleichung – ihren Höhepunkt erreichte. Was sie gesehen haben, hat sie und andere Wissenschaftler enorm beunruhigt. Das diesjährige Ereignis hat bisher den mittleren Bereich getroffen, der im letzten Jahr größtenteils verschont geblieben war, wodurch sich der bereits bestehende Schaden um weitere 345 km ausbreiten konnte.

„Korallen sind robuste Lebewesen“, sagt Richmond, „wenn sie eine Chance haben, sich zu erholen. Uns wird hier nur keinerlei Auszeit gewährt, und mit jedem Mal nimmt das Ausmaß des ganzen Problems zu.“

EIN GLOBALES PROBLEM

Mittlerweile erstreckt sich das Problem weit über Australien hinaus und betrifft Korallen auf der ganzen Welt. Das stellt auch eine Gefahr für Hunderte Millionen Menschen dar. Korallen bieten einem Viertel aller Fische auf der Welt einen Lebensraum, und man nimmt an, dass 500 Millionen oder mehr Menschen fast ausschließlich auf Meereslebewesen als Proteinquelle angewiesen sind. Die Riffe dienen auch den Küstenlinien als Schutz und mildern Sturmfluten, die Küstenregionen verwüsten können.

2015 und 2016 waren die zwei wärmsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen. Da Treibhausgasemissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe die Meerestemperatur ansteigen lassen, ist der Klimawandel zur großen Hauptursache der Ausbleichungsereignisse geworden. Und das, obwohl sich die Lufttemperaturen seit dem Beginn der industriellen Revolution nur um durchschnittlich 1 °C erhöht haben.

Den Temperaturanstieg unterhalb von 2 °C (dem Ziel, auf das sich 195 Nationen und die EU 2015 zum Klimagipfel in Paris geeinigt haben) zu halten, wäre laut Klimaforschern selbst dann mit großen Anstrengungen verbunden, wenn sich die Welt nun blitzschnell darum bemühen würde, die Erwärmung zu stoppen. Trotzdem glauben viele Wissenschaftler, dass die Korallen der Erde auch einen solch begrenzten Temperaturanstieg nicht überleben würden.

Laut Richmond sind die nächsten Schritte offensichtlich: Die Welt muss zügig die Treibhaugasemissionen reduzieren und dabei auch die kleineren Bedrohungen für die Korallen beseitigen – Sedimentation und Überfischung beispielsweise. Das könnte die verbliebenen Korallen widerstandsfähiger machen.

Aber bisher ist nicht klar, wie engagiert die Welt tatsächlich ist.

Letzten Sommer haben Forscher während einer Zusammenkunft von über 2.000 Korallenwissenschaftlern auf Hawaii Unterschriften gesammelt, um einen Brief an den Premierminister von Australien zu schicken – das Land ist ein führender Exporteur von Kohle –, damit er den Kohlenstoffdioxidausstoß stärker bekämpft. Währenddessen ist US-Präsident Donald J. Trump schon dabei, die Bemühungen seines Vorgängers rückgängig zu machen, welche die Emissionen aus den Kohlekraftwerken drosseln sollten – einem Hauptverursacher von Treibhausgasen.

„Wir sind nicht bloß ein Haufen Riffkuschler“, sagt Richmond über die Korallenwissenschaftler. „Was gut für die Korallen ist, ist auch gut für die Menschheit. Das verstehen die meisten Länder nicht.“

Hughes ist der Hauptautor einer großen Studie, die letzten Monat zu sofortigem Handeln aufgerufen hat, um den weltweiten Schaden an Korallen einzudämmen. Die Probleme seien ernst, aber es sei noch nicht zu spät.

„Wenn wir jetzt handeln, werden wir in Zukunft noch Riffe haben“, sagt Hughes. „Und je schneller wir handeln, desto besser.“

Passend dazu haben US-Wissenschaftler kürzlich eine weitere Warnung herausgegeben: Es gibt eine realistische Chance, dass El Niño Ende 2017 zurückkehren wird. Das könnte die Wassertemperaturen noch weiter ansteigen lassen.

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