In der Heidelberger Bahnstadt wohnt die Zukunft

Um dem Klimawandel entgegenzuwirken, setzen die Bewohner der größten Passivhaussiedlung auf Effizienz und erneuerbare Energie. Aber zu einem guten Leben gehört mehr als Technologie.

Von Alexandra Polič
bilder von Steffen Diemer
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:37 MEZ
Heidelberger Bahnstadt
Wasserbecken am Langen Anger in der Heidelberger Bahnstadt.
Foto von Steffen Diemer

In der Nähe des Heidelberger Schlosses rumpelt die Straßenbahn über den Bismarckplatz, vorbei an alten Gemäuern bis zur Haltestelle Montpellierbrücke. Wer hier aussteigt, landet in der Zukunft: moderne Häuser mit klaren Linien, einzelne Holzwände, Panoramafenster, in denen sich Baukräne spiegeln. Auf Gerüsten dämmen Arbeiter Wände. Plakate bewerben Geschäfte, die bald eröffnen. Seit 2009 entsteht auf dem 116 Hektar großen Areal des stillgelegten Güterbahnhofs die größte Passivhaussiedlung der Welt: die Bahnstadt, das jüngste Viertel Heidelbergs.

Jedes Gebäude entspricht dem Passivhausstandard: Wärmedämmung und Belüftungssysteme sind
so konzipiert, dass der jährliche Heizbedarf 15 Kilowattstunden pro Quadratmeter
nicht übersteigt. Das 
entspricht einem Verbrauch von etwa 1,5 Litern Heizöl, einem Fünftel des Bedarfs eines durchschnittlichen Neubaus. Die Energie für den gesamten Stadtteil erzeugt ein Holzheizkraftwerk und reduziert die CO2-Emissionen um bis zu 30.000 Tonnen pro Jahr.

„Es war mir einfach wichtig, nachhaltig zu leben“, erzählt Dieter Bartmann. Er war 2012 einer der ersten Bewohner der Bahnstadt – und gründete zusammen mit 21 Nachbarn den Stadtteilverein. Jeder Neunte der insgesamt 3500 Bahnstädter ist Mitglied und organisiert Sommerfeste, Stammtische und Krabbelgruppen. „Einen Stadtteil komplett neu zu bauen ist eine Sache. Ihn zum Leben zu erwecken, eine andere“, sagt Bartmann. 

Schwetzinger Terrasse mit Fontänenfeld in der Heidelberger Bahnstadt.
Foto von Steffen Diemer

86 Prozent der Bewohner sind jünger als 45 Jahre. „Wir wollen einen breiten Wohnungs- und Hausmix für alle bieten – und sind offen für Experimente“, sagt Christoph Czolbe vom Stadtplanungsamt. Damit meint er Gebäude wie den neunstöckigen Skylabs-Tower mit Glasfronten und zwei überstehenden Obergeschossen, in dem unter anderem die Schiller International University und Forschungszentren internationaler Unternehmen sitzen. Insgesamt sollen 7000 Arbeitsplätze in der Bahnstadt entstehen, die von der guten Anbindung an Bahnhof und Autobahn profitiert.

Dieter Bartmann benötigt nur 15 Minuten zur Arbeit. Der Wirtschaftsingenieur besitzt ein 150 Quadratmeter großes Einzelhaus im Zentrum des Stadtteils. Der Preis für eine vergleichbare Immobilie liegt derzeit bei 630.000 Euro. Einkommensabhängig ist Wohnraumförderung möglich. Weil es so viele Interessenten gibt, bestimmt ein Los, wer in die Bahnstadt ziehen darf.

Das Kultur- und Konzerthaus Halle02 in den ehemaligen Güterhallen erinnert noch an den alten Bahnhof. Der Rest der Bahnstadt entsteht neu. „Wir möchten zeigen, dass eine 800 Jahre alte Stadt auch modern sein kann“, sagt Bartmann. Die Gestaltung öffentlicher Räume wird durch Architektenwettbewerbe entschieden, an denen vermehrt kleine Büros teilnehmen. Wer das neue Konferenzzentrum entwirft, entscheidet die Stadt im September. Die Investitionen bis zum Bauende 2022 werden auf zwei Milliarden Euro geschätzt. Das neue Viertel soll zum Vorbild für klimaneutralen Städtebau werden. Bereits jetzt reisen Architekten aus aller Welt an, um erst die Bahnstadt zu besichtigen – und dann das alte Schloss. 

Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe 8/2017 von National Geographic.
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