Komplexes Zusammenspiel: Hurrikan Harvey und der Klimawandel

Mehrere Faktoren sorgten dafür, dass der Hurrikan Harvey in Texas so zerstörerisch wütete – die gestiegenen Temperaturen sind wahrscheinlich Teil des Problems.

Von Craig Welch
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:41 MEZ

Hurrikan Harvey mit seiner tödlichen Mischung aus Wind und Feuchtigkeit traf die viertgrößte Stadt der USA mit einer ungestümen Kraft, wie man sie in Texas noch nicht erlebt hatte.

Wissenschaftler sagen, dass man dem Klimawandel kein einzelnes Wetterphänomen anlasten kann. Aber zwei Jahrhunderte der Nutzung fossiler Brennstoffe haben das Wetter auf der Erde ausreichend verändert, um fast mit Sicherheit sagen zu können, dass die Auswirkungen diesen speziellen Sturm verschlimmert haben.

„Generell kann man das so sehen: Der Klimawandel hat die Umgebung verändert, in der sich alles abspielt“, sagt Kevin Trenberth, ein Wissenschaftler am Nationalen Zentrum für Atmosphärenforschung in Colorado, USA. „Wenn man die natürliche Varianz des Klimas dazurechnet und dann die richtigen Bedingungen herrschen, kann man einen Sturm erleben, der deutlich stärker ist, als man erwartet hätte.“

Im Fall von Harvey, der in und um Houston gigantische Wassermassen vom Himmel fielen ließ und Millionen von Menschenleben mit seinen katastrophalen Überschwemmungen bedrohte, kamen mindestens drei problematische Faktoren zusammen. Der Sturm hatte sich rapide verschlimmert, verblieb vergleichsweise lange über demselben Gebiet und schüttete tagelang Rekordmassen an Regen aus.

Wissenschaftler erklären, wie diese drei Zutaten für die Katastrophe sich gegenseitig beeinflusst haben.

WARUM WAR DER HURRIKAN SO STARK?

Hurrikans verlieren oft an Stärke, wenn sie sich dem Land nähern, weil sie dann keinen Zugang mehr zu der warmen, feuchten Meeresluft haben, die dem Sturm seine Energie verleiht. Harveys Windgeschwindigkeit hingegen erhöhte sich (laut Daten des National Hurricane Center) in den letzten 24 Stunden vor seinem Auftreffen auf die Küste um 72 km/h pro Stunde.

Das ist zwar ungewöhnlich, aber nicht einmalig. Das Potenzial für die schnelle Erhöhung der Windgeschwindigkeit steigt bei warmen Temperaturen, sagt Kerry Emanuel. Der Professor für Atmosphärenwissenschaften am MIT veröffentlichte in diesem Jahr eine bahnbrechende Studie über das Potenzial für Änderungen in der Windgeschwindigkeit von Hurrikans.

„Hurrikans werden durch die Verdunstung von Meerwasser angetrieben“, sagt Emanuel. „Wasser verdampft an einer warmen Oberfläche schneller als an einer kalten.“

Emanuel analysierte die Entwicklung von 6.000 simulierten Stürmen. Dann verglich er ihre Entwicklung unter den historischen Wetterbedingungen des 20. Jahrhunderts mit ihrer möglichen Entwicklung am Ende des 21. Jahrhunderts, wenn die Treibhausgasemissionen weiter ansteigen. Das Ergebnis: Ein Sturm, der in den letzten 24 Stunden vor seinem Auftreffen auf Land seine Geschwindigkeit um 60 Knoten erhöht, trat der Wahrscheinlichkeit nach einmal im ganzen 20. Jahrhundert auf. Am Ende des aktuellen Jahrhunderts könnte es alle fünf bis zehn Jahre einen solchen Sturm geben.

BELIEBT

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    Foto von NATIONAL OCEANIC AND ATMOSPHERIC ADMINISTRATION

    Wissenschaftler wissen schon seit Jahrzehnten, dass sich die maximale Intensität der Stürme mit dem Ansteigen der Temperaturen wahrscheinlich erhöhen wird. Es geht aber auch um die kürzere Zeit, die ein Sturm braucht, um solche Geschwindigkeiten zu erreichen. Die Temperaturen im Golf von Mexiko im Spätsommer sind nun durchschnittlich etwas mehr als 1 °C höher als noch vor 30 Jahren, sagt Andreas Prein von Nationalen Zentrum für Atmosphärenforschung.

    „Wenn man will, dass das Auto schnell beschleunigt, drückt man das Gaspedal durch“, so Emanuel. „Wenn man das Gaspedal durchgedrückt lässt, wird das Auto auf seine Höchstgeschwindigkeit beschleunigen. Wenn man von einem VW auf einen Ferrari umsteigt, hat man eine viel schnellere Beschleunigung und eine höhere Höchstgeschwindigkeit.“

    Auch andere Wissenschaftler stimmen dem zu, so zum Beispiel Michael Wehner, ein Wissenschaftler am Lawrence Berkeley National Laboratory des Energieministeriums. Er verweist zwar darauf, dass viele Stürme der Kategorie 4 oder 5 vor dem Erreichen des Festlandes noch mal an Windgeschwindigkeit zulegen, er hielt es aber für „eher wahrscheinlich“, dass der Klimawandel zu Harveys Intensivierung kurz vor der Küste beigetragen hat.

    REKORDREGEN

    Den größten Schaden haben die unglaublichen Wassermassen angerichtet, die Harvey mitgebracht hat. Manche Regionen verzeichneten über einen Zeitraum von vier Tagen 1.000 Millimeter an Regen – ein Rekordwert in den USA. Die große Menge an Feuchtigkeit zog der Sturm von der Meeresoberfläche und aus der Atmosphäre.

    „Man muss sich den Ozean als unerschöpfliche Quelle von Feuchtigkeit vorstellen“, sagt Prein. „Harvey saugte sie gen Land und lud sie über Texas ab.“

    Mit der Erwärmung des Planeten haben auch die Regenfälle in den Regionen der mittleren Breitengrade zugenommen. Die Hitze, die sich an der Meeresoberfläche durch die Klimaerwärmung anstaut, ermöglichte es dem Sturm, mehr Wasserdampf als sonst aufzunehmen. Da auch die Atmosphäre wärmer ist, kann sie ebenfalls mehr Feuchtigkeit aufnehmen.

    Jeder Wissenschaftler, den National Geographic kontaktiert hat, stimmte darin überein, dass die Regenmassen von Harvey fast mit Sicherheit durch die höheren Temperaturen zustande kamen, die auf die CO2-Emissionen zurückzuführen sind.

    „Der Niederschlag ist hier der große Faktor – gar keine Frage“, sagt Wehner. „So ziemlich alles, was wir bisher versucht haben, hat auf eine Zunahme des Niederschlags in so einer Situation hingedeutet. Es finden zahlreiche Simulationen statt. In jeder einzelnen davon regnet es mehr.“

    Die trockene Luft über dem Land trägt im Normalfall dazu bei, dass der Sturm nachlässt. Harvey allerdings zehrte von der Feuchtigkeit, die er selbst über Texas ausgeschüttet hat und die daraufhin wieder verdampfte. In gewisser Weise hat sich der Sturm also selbst wieder mit Feuchtigkeit versorgt.

    DER STURM VERHARRT

    Natürlich wären die Regenmassen nicht ganz so verheerend gewesen, wenn der Sturm einfach weitergezogen wäre. Bei Harvey war das aber nicht der Fall. Der Sturm verweilte mehrere Tage lang über der Region.

    „Das Kritische an Harvey ist, dass er stationär ist – er bewegt sich nicht viel“, sagt Prein. „Er regnet einfach all diese Feuchtigkeit über demselben Gebiet ab.“

    Bisher konnten Wissenschaftler aber keine Beweise dafür finden, dass der Klimawandel ein ausschlaggebender Faktor für diesen Stillstand ist. Das war einfach nur Pech.

    Die Winde um Harvey herum waren eher schwach. Noch dazu befanden sich zwei Hochdrucksysteme über dem Norden und dem Südwesten, die im Grunde versuchten, Harvey in entgegengesetzte Richtungen zu drücken. Auch das verhinderte, dass der Sturm nach Norden weiterzog.

    Solche stagnierenden Wettersysteme gehen oft mit extremen Wetterereignissen einher, die zu Katastrophen führen können, so Prein. Etwas Ähnliches geschah 1995 bei der tödlichen Hitzewelle in Chicago, bei der ein Hochdrucksystem tagelang über der Stadt verweilte. Auch bei den Sturzfluten an der Bergkette Front Range in Colorado 2013 spielte das eine Rolle, ebenso wie bei der Dürreperiode, die Kalifornien kürzlich durchlebt hat.

    Es ist möglich, und laut einigen Wissenschaftlern sogar zu erwarten, dass solche treibenden Luftströme in Zukunft durch die Klimaerwärmung noch schwächer werden. Das könnte dafür sorgen, dass Stürme noch länger über einem Gebiet verharren. Aber bisher gibt es dafür noch keine Anhaltspunkte.

    Oder wie Wehner es ausdrückt: „Wenn es ein Klimasignal gibt, dann ist es so schwach, dass wir es nicht entdecken konnten.“ Damit spielt er darauf an, dass die Zirkulationsmuster, die Stürme wie Harvey lenken, in den letzten Jahren zwar schwach waren, diese Veränderung aber recht plötzlich auftrat.  Daher bezweifeln Wissenschaftler, dass sie mit dem Klimawandel in Zusammenhang steht.

    Auch laut einem Facebook-Post von Michael Mann von der Penn State Universität gibt es nur „dürftige“ Hinweise auf einen Zusammenhang, aber dennoch sagen Modelle zur Klimaerwärmung für die Zukunft ähnliche Wettermuster voraus.

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