Goldrausch
Unter dem Salar de Uyuni in Bolivien liegt ein Schatz, nach dem die ganze Welt giert: Lithium. Auch Deutschland wird die riesige Lagerstätte ausbeuten, denn der Rohstoff ist essentiel für die Zukunftstechnologien. Die Träume sind groß – die Bedenken auch.
Wenn Alvaro Garcia Linera von einer der herrlichsten Landschaften Boliviens schwärmt, schwelgt geradezu in Nostalgie. „Fahren Sie zum Salar de Uyuni und verbringen Sie einen Abend mitten in der Salzwüste“, sagt er. „Breiten Sie eine Decke aus, hören Sie Pink Floyd. Und blicken Sie in den Himmel.“
García Linera hat in seinen Salon mit Blick auf die Plaza Murillo in La Paz geladen, um über den größten Schatz seines Landes zu sprechen: Lithium, das weiße Gold, der Rohstoff des 21. Jahrhunderts, nach dem die gesamte Hightech-Branche lechzt. Lithium sei auch der Schlüssel zur Zukunft Boliviens, sagt García Linera. In seiner Heimat ist der elegante 56-Jährige mit dem silbernen Haar als marxistischer Ideologe bekannt. Heute gibt er sich allerdings als kapitalistischer Vermarkter.
In nur vier Jahren, so versichert er, werde der Bodenschatz der Motor der Wirtschaft sein. Alle Bolivianer würden davon profitieren: „Sie werden die Armut überwinden, in die Mittelschicht aufsteigen, wissenschaftlich und technologisch ausgebildet werden und damit in der globalen Wirtschaft zur Elite gehören.“ Es gibt nur einen Knackpunkt in der potenziellen Erfolgsgeschichte: die Quelle des Rohstoffs. Eines der größten Lithiumvorkommen der Welt lagert unter dem Salar de Uyuni, einer gut 10000 Quadratkilometer großen Salztonebene. Und diese einzigartige Landschaft wird mit Sicherheit verändert oder sogar auf Dauer geschädigt werden, wenn der darunter lagernde Stoff abgebaut wird.
Die Fahrt von La Paz zum Salar de Uyuni dauert einen Tag. Am späten Nachmittag, auf knapp 4000 Meter Höhe, taucht die Ebene blass schimmernd am Horizont auf: kilometerweit ausgebleichtes Gelände, in mehr oder weniger trapezförmige Segmente unterteilt, die an das Spielbrett eines Riesen erinnern. Der wolkenlose blaue Himmel und die mahagonibraunen Andengipfel betonen die Kahlheit der Gegend.
Unter der größten Salzpfanne der Welt liegt das riesige Lithiumvorkommen, das bis zu 17 Prozent der Weltreserven ausmachen könnte. Die Ausbeutung dieses Rohstoffs würde dem bolivianischen Staat, in dem 40 Prozent der Einwohner in Armut leben, den Weg aus der wirtschaftlichen Sackgasse weisen.
Denn was früher einmal Gold und Erdöl waren, dürfte schon bald das Lithium werden. Das Mineral wird schon lange als Medikament zur Behandlung von bipolaren Störungen eingesetzt und in Keramik und Atomwaffen verwandt. Vor allem aber ist es zum unentbehrlichen Bestandteil von Computern, Smartphones und anderen elektronischen Geräten geworden. Der jährliche Lithiumverbrauch lag 2017 weltweit bei etwa 40000 Tonnen, was einer Zunahme von etwa zehn Prozent pro Jahr seit 2015 entspricht. Gleichzeitig verdreifachten sich die Lithiumpreise zwischen 2015 und 2018 beinahe.
Und die Nachfrage wird dank der wachsenden Beliebtheit von Elektroautos weiter steigen. Eine Version des Tesla Model S wird mit Akkus betrieben, die etwa 63 Kilo Lithiumverbindungen enthalten. Laut dem Investmentunternehmen Goldman Sachs ist das in etwa die gleiche Menge, die in 10 000 Mobiltelefonen verbaut wird.
Mit Ausnahme der Antarktis wird Lithium auf allen Kontinenten abgebaut. Bis zu drei Viertel aller bekannten Vorräte lagern auf der 1800 Kilometer langen Altiplano-Puna-Hochebene in den Anden. Die Salzpfannen-Ablagerungen liegen vor allem im „Lithium-Dreieck“ von Chile, Argentinien und Bolivien. Chile gewinnt seit den Achtzigerjahren Lithium aus Salzlauge. Der Staat erwies sich als besonders offen für ausländische Investoren und verfügt zudem als weltgrößter Kupferexporteur über eine gut entwickelte Bergbauindustrie. Ende der Neunziger begann auch Argentinien mit der Lithiumgewinnung aus Sole im Salar del Hombre Muerto.
Die bolivianischen Vorkommen sind ähnlich groß wie im chilenischen Salar de Atacama – die Wüste gilt als die wichtigste südamerikanische Quelle für den Rohstoff. Boliviens Lagerstätten blieben bis vor Kurzem unerschlossen. „In Argentinien und Chile gibt es seit je eine Tradition von öffentlich-privaten Partnerschaften“, sagt der bolivianische Geologe Oscar Ballivián Chávez, der die Lithiumquelle schon in den Achtzigern erforscht hat. „Aber hier will der Staat keine privaten Investitionen zulassen. Es besteht eine gewisse Feindseligkeit gegenüber dem Kapitalismus.“
Die Wahl von Evo Morales zum Präsidenten hatte großen Symbolwert für die indigenen Aymara, sie wirkte sich jedoch negativ auf den Zufluss von ausländischem Kapital aus. Morales ließ die Erdölindustrie verstaatlichen. Einige Bergbauunternehmen sollen ebenfalls in Staatseigentum übergehen. 2008, zwei Jahre nach ihrer Wahl, richteten Morales und García Linera ihr Augenmerk auf die Lithiumvorkommen im Salar de Uyuni, wie es bereits mehrere Regierungen vor ihnen getan hatten.
Die neue Regierung verkündete den Grundsatz „100 % Estatal!“, also vollständige Kontrolle durch den bolivianischen Staat. „Wir beschlossen, dass wir unsere eigene Fördermethode entwickeln und mit ausländischen Firmen zusammenarbeiten würden, die auf dem Weltmarkt präsent sind“, erklärt García Linera. Vollmundig versprach er, Lithium aus Bolivien zum Brennstoff zu machen, „der die Welt ernährt“.
Doch bald war klar, dass die Lithiumgewinnung ebenso kostspielig wie aufwendig ist. Allein würde es ein Entwicklungsland wie Bolivien nie schaffen. Und wie sollte ein Land einen ausländischen Investor finden, der die Kontrolle dem Staat überlassen soll?
Erst im vergangenen Jahr fand Bolivien einen geeigneten Partner: in Deutschland. Das baden-württembergische Unternehmen ACISA und der bolivianische Staatskonzern Yacimientos de Litio Bolivianos (YLB) unterzeichneten im Dezember in Berlin einen auf 70 Jahre angelegten Kooperationsvertrag. Für eine Investitionssumme von 300 bis 400 Millionen Euro bekommt ACISA 49 Prozent der Anteile am Joint Venture, YLB hält die Mehrheit. Damit sichert sich Deutschland den direkten Zugriff auf einen der Schlüsselrohstoffe der Zukunft, die Lithiumförderung am Salar soll 2022 beginnen.
Bis dahin werden nicht nur offene Fragen zum Umweltschutz zu klären sein, sondern auch zum Herstellungsprozess selbst. Um hochwertiges Lithium aus Salzlauge zu gewinnen, müssen Kochsalz, Kaliumchlorid und Magnesiumchlorid isoliert werden. Besonders kostspielig ist das Verfahren bei Magnesiumchlorid. Und das ist die schlechte Nachricht. Denn im Salar regnet es nicht nur erheblich mehr als in den Lagerstätten von Argentinien und Chile, was die Verdunstung verzögert. Boliviens Lithiumvorkommen enthalten auch deutlich mehr Magnesium.
„Im Vergleich zu Chile ist die Magnesiumkonzentration in Uyuni viermal so hoch“, sagt Miguel Parra. Der Chemieingenieur hat kurz nach der Produktionsaufnahme 2008 die technische Leitung in der Testfabrik Llipi übernommen. Die Anlage steht auf einer ehemaligen Lamaweide am Ende einer langen, unbefestigten Straße. Starker Wind und heftige Niederschläge behinderten den Bau mehrere Jahre lang. Schließlich gelang den Ingenieuren die Konstruktion eines 15 Kilometer langen Fahrdamms, der von der Fabrik zu der Salztonebene führt, wo das Lithium abgebaut wird.
Zu Beginn des Herstellungsprozesses durchbohren Arbeiter die feste Oberfläche des Salar, bis sie auf Sole stoßen. Die Salzlauge wird anschließend in die künstlich angelegten Verdunstungsbecken geleitet, wo sie eintrocknet. Zugesetzte Chemikalien lassen zunächst Lithiumsulfat auskristallisieren. Später bringen Tanklaster gelöstes Lithiumsulfat über den Damm zu der zweistöckigen Testanlage. In der obersten Etage wird es zunächst eine Stunde lang mit Kalk gemischt. Dies sei der schwierigste Abschnitt in der Herstellung, sagt Victor Ugarte, der Leiter der Qualitätskontrolle. „Wir entziehen das Magnesium, damit wir die benötigte Reinheit erreichen.“ Ein Reinheitsgrad von 99,5 Prozent ist der Industriestandard für Lithium, das in Akkus verbaut werden soll.
Inzwischen ist die Produktion laut offiziellen Berichten auf monatlich 30 Tonnen gestiegen. Das langfristige Ziel liegt bei 15000 Tonnen im Jahr.
Eine solche Menge Lithium würde natürlich sehr viel mehr Abfallprodukte verursachen. Schon jetzt türmen sich in der Fabrik in Llipi imposante graue Magnesiumberge. Die bolivianische Regierung verweist lediglich darauf, dass Magnesiumchlorid zur Glatteisbekämpfung eingesetzt werden kann. Die Wassermenge, die zur Lithiumaufbereitung benötigt wird, bereitet auch Sorgen. Zwei Wasserläufe fließen in die Salztonebene. Beide haben große Bedeutung für die einheimischen Quinoabauern. Bolivien ist nach Peru der zweitgrößte Produzent des eiweißreichen pflanzlichen Nahrungsmittels. Die Regierung versichert, dass bei der Lithiumgewinnung 90 Prozent des verwandten Wassers aus der Sole statt aus Grundwasserleitern stammen werden. Aber manche Experten befürchten, dass dies dem Grundwasser schadet.
Und dann ist da noch die bislang weitgehend unberührte Oberfläche des Salar. Die schier endlose, streng gegliederte Landschaft, die nur von einigen inselartigen, mit Kakteen bewachsenen Gebirgszügen unterbrochen wird, ist auch Brutgebiet für Chile Flamingos. „Unsere Fabrik liegt weit weg von den Schutzgebieten“, versichert García Linera. „Darin zeigt sich unser Umweltbewusstsein.“
Die lokale Bevölkerung ist dennoch nicht glücklich mit dem Projekt, die Stadtverordnete Cipriana Callpa Díaz aus Tahua formuliert es durchaus scharf: „Niemand aus unserer Gemeinde arbeitet beim Lithiumprojekt. Wir haben gehofft, dass es dort anständig bezahlte Arbeitsplätze für unsere Bevölkerung geben würde. Wir sind sehr enttäuscht.“
Am deutlichsten drückt Ricardo Aguirre Ticona seine Unzufriedenheit aus. Er ist Stadtrats vorsitzender in Llica, der Hauptstadt der Provinz Daniel Campos. „Wir wissen, dass die Fabrik Millionen umsetzen wird, wenn sie erst einmal auf vollen Touren läuft“, sagt er. „Aber wir sind skeptisch, ob wir davon etwas sehen.“ Als Erste müssten doch die profitieren, bei denen die Produktion angesiedelt ist, argumentiert er. „Die Menschen in Bolivien haben viel Geduld“, sagt er. „Aber wenn es sein muss, verschaffen sie sich Gehör.“
Im Jahr 1946 war Boliviens Bevölkerung schon einmal mit ihrer Geduld am Ende. Präsident Gualberto Villarroel hatte mit repressiven Maßnahmen Arbeitsmarktreformen auf den Weg gebracht. Wütende Bolivianer stürmten daraufhin seinen Palast und töteten Villarroel. Sie hängten seine Leiche an einen Laternenpfahl auf der Plaza Murillo – den Platz, auf den Vizepräsident García Linera blickte, während er über Lithium und die aktuellen Reformpläne für Boliviens Wirtschaft sprach.
Dieser Text wurde gekürzt und bearbeitet. Lesen Sie die ganze Reportage in Heft 2/2019 des National Geographic-Magazins. Jetzt ein Abo abschließen!