Feuerprobe

Jeden Sommer springen unerschrockene Feuerwehrmänner über entlegenen Gebieten in Alaska ab,
 um sich dem gefährlichen Kampf gegen Buschfeuer zu stellen.

Von Mark Jenkins
bilder von Mark Thiessen
Veröffentlicht am 25. Apr. 2019, 14:28 MESZ
Smokejumpers in Alaska
Der Feuerwehrmann Matt Oakleaf filmt, wie seine Kameraden in der Nähe eines Schwelbrands abspringen. Die Mission seines Teams: Feuer löschen, bevor sie sich unkontrolliert ausbreiten. Männer wie Oakleaf können binnen wenigen Minuten mit 50 Kilo Ausrüstung am Leib startklar im Flugzeug sitzen.
Foto von Matt Oakleaf

Die Sonne steht noch hoch am Sommerhimmel von Alaska, als um 21.47 Uhr ein Notruf eingeht.

Die Sirenen heulen los. Acht Feuerwehrleute, sogenannte Smokejumper, laufen zur Umkleide. Holzfällerstiefel, dunkelgrüne Hosen und leuchtend gelbe Hemden tragen sie bereits. Nun steigen sie noch eilig in hitzebeständige Overalls.

„Erste Ladung zur Blechkiste!“, tönt es aus der Sprechanlage. Den ganzen Abend haben die Männer in ihrer Basis in Fort Wainwright auf den Einsatz gewartet. Sie werden in einem entlegenen Gebiet aus einem Flugzeug springen, um einen Brand in einem unzugänglichen Waldstück zu bekämpfen.

Die Männer haben genau zwei Minuten Zeit, ihre Ausrüstung anzulegen und ins Flugzeug zu klettern. Sie sind darin geübt. Sie schnallen Knie- und Wadenschützer an, ziehen den Reißverschluss des Schutzanzugs hoch und legen das schwere Nylongurtzeug um. Die Overalls sind mit der nötigen Ausrüstung versehen: Die Cargotasche an einem Hosenbein enthält eine Solarzelle und eine Regenjacke. In der Tasche am anderen Hosenbein stecken Energieriegel, ein 45 Meter langes Seil und Karabiner, falls der Springer mit seinem Fallschirm in einem Baum landet. Eine geräumige Gesäßtasche bietet Platz für ein Zelt und einen Bergungssack für den Fallschirm.

Beim Anlegen der Haupt- und Reservefallschirme helfen die Kollegen. Dann schnappt sich jeder seinen Sprunghelm, der mit einem Schutzgitter für das Gesicht versehen ist, sowie seinen persönlichen Rucksack mit einem Liter Wasser, Messer, Kompass, Funkgerät, Lederhandschuhen, Schutzhelm, Leuchtkerzen und einem Notschutz gegen Feuer. Zwei Minuten nach dem Alarm stapfen die Männer schwerfällig über die Rollbahn. Jeder trägt fast 50 Kilo Ausrüstung am Körper.

Die beiden Motoren eines Transportflugzeugs vom Typ Dornier 228 röhren los. Die vollbepackten Männer schieben sich nacheinander durch die Seitentür in den Bauch des Flugzeugs. Dort lagert das Material zur Feuerbekämpfung. Es wird abgeworfen, wenn die Männer abspringen. Das Flugzeug hebt ab. Der Disponent gibt die Brandkoordinaten durch. Geschätzte Flugzeit: eine Stunde und 28 Minuten.

Ein Amphibienflugzeug vom Typ „Fire Boss“ versprüht Wasser, um Feuerwehrleute zu unterstützen, die hier in der Brooks Range einen Brand bekämpfen. Die einmotorige Maschine kann alle paar Minuten 3000 Liter Wasser aufnehmen und ablassen – hier aus dem unweit gelegenen Iniakuk-See.
Foto von Mark Thiessen

Zum Reden ist es viel zu laut. Die Männer sitzen schweigend hinter ihrer Gesichtsmaske und lassen ihre Gedanken schweifen. Sie kennen das Ziel nicht und wissen auch nicht, wie lange sie dort bleiben werden. Sie haben keine Ahnung, welches Ausmaß der Brand hat und wie gefährlich der Wind ist. Sie wissen nur, dass sie sich dem Kampf gegen eine wilde und unberechenbare Naturgewalt stellen werden.

Fünf Minuten vor dem Ziel hebt Bill Cramer die Hand: Zeit für den letzten Sicherheitscheck. Jeder kontrolliert noch einmal akribisch die Ausrüstung seines Absprungpartners von Kopf bis Fuß. Das Flugzeug fliegt nördlich des Polarkreises an der Südseite der Gebirgskette Brooks Range entlang. Aus einem dunkelgrünen Waldteppich steigt eine Rauchsäule auf. Ein Blitzeinschlag hat das Feuer ausgelöst. Cramer öffnet die Ausstiegstür und lehnt sich hinaus: „Brand Nummer 320, sechs Hektar, 70 Prozent aktiv, brennende Schwarzfichten mit Rentierflechten­Unterwuchs, elf Gebäude am Nord­ und Westufer des Iniakuk­Sees, 2,4 Kilometer westlich.“

BELIEBT

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    Das Big Mud Fire schwelte den Winter über im Herzen Alaskas und erwachte im heißen, trockenen und windigen Spätfrühling des Jahres 2016 südwestlich von Tanana wieder zum Leben. Zum Schutz einer Hütte an einem Flussufer wurden aus der Luft Smokejumper abgesetzt. Das Feuer zerstörte insgesamt 18000 Hektar Wald.
    Foto von Mark Thiessen

    Der Pilot kreist in 450 Meter Höhe. Da sieht Cramer eine geeignete Landestelle. Er wirft drei schmale Rollen Krepppapier ab. Die Streifen flattern gelb, blau und orange am Himmel – so kann er die Windgeschwindigkeit und die Windrichtung feststellen.

    „An die Tür“, brüllt Cramer. Der Erste auf der Absprungliste ist Je McPhetridge, 49, genannt „Itchy“. Er hängt die Beine aus der Türöffnung. „Fertig!“, schreit Cramer und schlägt ihm auf die Schulter. McPhetridge wirft sich aus dem Flugzeug. Drei weitere Smokejumper tun es ihm nach. Beim nächsten Überflug lassen sich die anderen vier Männer ins Bodenlose fallen. Ihre rot-weiß-blauen Fallschirme kreisen über dem brennenden Wald wie winzige Nachtfalter über einem Lagerfeuer. Geschickt lenken die Feuerwehrleute ihre Schirme im Wind.

    Die acht vom Himmel sinkenden Männer gehören zu einer Zunft, die ihre Entstehung einem Blitzeinschlag in einen Baum verdankt. Er entfachte im August 1937 östlich des Yellowstone- Nationalparks einen Brand, der sich zum berüchtigten Blackwater Fire ausweitete. Damals kamen 15 Feuerwehrleute ums Leben. Die Fläche von fast 700 Hektar Wald verbrannte. Die Untersuchung der Bundesforstverwaltung ergab, dass sich solche Tragödien nur verhindern ließen, wenn Feuerwehrmänner kleine Brände im Hinterland frühzeitig bekämpfen. Am 12. Juli 1940 wurden die ersten Smokejumper nach Idaho zum Marten Creek Fire im Staatsforst Nez Perce entsandt. In den folgenden Jahrzehnten richtete die Forstverwaltung insgesamt sieben Basislager für Feuerspringer ein. Das Bureau of Land Management schuf zwei weitere, eines davon in Alaska. Heute könnten bei Waldbränden in den USA insgesamt 450 Smokejumper eingesetzt werden.

    Ob man sie wirklich alle braucht, ist umstritten. Auch in einst abgelegenen Gebieten wird immer mehr gebaut, daher beträgt die Entfernung vom Brand bis zur nächsten Straße in 90 Prozent aller Feuer höchstens einen Kilometer. An die meisten Brandherde kann man also mit Fahrzeugen gelangen. Aber das Binnenland von Alaska ist mehr als zweimal so groß wie Deutschland. Der größte Teil der Landfläche ist nur per Flugzeug zu erreichen. Abgelegene Brände werden oft nicht gelöscht, aber wenn Leben und Eigentum bedroht sind, bilden die Smokejumper weiterhin die vorderste Front.

    Derek Patton hat gerade Brand Nummer 323 in der Nähe von Bettles in Alaska gelöscht. Ein Blitzschlag hatte das Feuer entzündet. Von bis zu 200 Bewerbern pro Jahr werden gerade mal zehn zur Smokejumper-Ausbildung in Alaska zugelassen.
    Foto von Mark Thiessen

    Die Ausbildung für diese Feuerwehrmänner in Alaska gehört zu den anspruchsvollsten der Welt. Von den bis zu 200 Bewerbern pro Jahr werden nur etwa zehn zur Grundausbildung angenommen. Qualifizierte Bewerber müssen fünf bis zehn Jahre Erfahrung in der Brandbekämpfung in der Wildnis haben und körperlich fit sein. Die Anforderung: 60 Sit-ups, 35 Liegestütze, zehn Klimmzüge, ein Lauf über 2,5 Kilometer in 9:30 Minuten oder über fünf Kilometer in weniger als 22:30 Minuten und ein Fünf-Kilometer-Lauf mit 50 Kilo Gepäck in unter 55 Minuten.

    Alle Smokejumper – in Alaska sind es derzeit ausschließlich Männer – müssen diesen Test jedes Jahr aufs Neue bestehen, um weiter eingesetzt zu werden. „Wir nehmen nur Leute, die Stress aushalten“, sagt Robert Yeager. Der stämmige Mann ist ehemaliger Ausbildungsleiter. „Leute, die ihre Nerven, ihre Angst und ihr Adrenalin unter Kontrolle haben und selbst Situationen nicht scheuen, bei denen es um Leben und Tod geht.“ Wer zur fünfwöchigen Grundausbildung zugelassen wird, weiß bereits, wie man ein Feuer löscht. Aber einen Fallschirm in einem Waldbrandgebiet zu beherrschen ist eine andere Sache. Anfänger absolvieren mindestens 20 Übungssprünge, die gefilmt und bewertet werden. Etwa 40 Prozent bestehen die Feuerprobe nicht.

    Die Smokejumper von Fort Wainwright landen knapp 50 Meter von dem Feuer entfernt, das jetzt die Nummer 320 trägt. Sie lassen sich auf die Hüften fallen, um den Aufprall abzufedern. Minuten später haben sie ihre Fallschirme geborgen und verstaut. Die Paletten mit der Ausrüstung – Kettensägen, Schaufeln, Feuerpatschen, Äxte – werden über der Landezone abgeworfen. Die Männer haben gerade die Kisten geöffnet, da ändert sich die Windrichtung. „Plötzlich kam der Wind aus dem Süden statt aus dem Norden“, erinnert sich McPhetridge später. „Wir befürchteten, dass uns das Feuer einschließen würde.“

    Der Einsatzleiter Ty Humphrey (r.) spricht über Funk mit einem Piloten, der in der Nähe eines Brandes Fracht abgeworfen hat. Seine Kollegen schneiden den Fallschirm aus dem Baum, in dem die Ladung gelandet ist.
    Foto von Mark Thiessen

    Die Männer haben keine Zeit mehr, sich um die Frachtfallschirme zu kümmern – sie eilen direkt zur Brandstelle. Flammen schießen dort die Fichten hinauf und entzünden die trockene Rentierflechte. Dichter Rauch breitet sich aus. Die Männer schlagen mit ihren Feuerpatschen – langen Stäben mit dicken Gummistreifen – auf die Ausläufer des Feuers. Aber der Sommer ist trocken gewesen, und die Flammen schießen sofort wieder hoch.

    Die Feuerwehrmänner laufen zu einem nahegelegenen Bach und füllen mit ihren Schutzhelmen vier 19 Liter fassende Plastikbeutel. Evan Karp, ein hünenhafter Mann mit wildem Bart, installiert eine Wasserpumpe und legt einen Schlauch aus. Die anderen Männer rennen zurück zum Feuer. Niemand gibt Befehle. „Alle wissen genau, was zu tun ist“, sagt McPhetridge. „Deshalb funktioniert die Einheit so gut.“

    Mit Feuerpatschen 
– breiten Hartgummistreifen an biegsamen Stielen – schlagen
 die Smokejumper auf Feuer und schieben brennendes Moos und Schwingelgräser in darunter liegendes Moos, das der auftauende Permafrostboden feucht hält.
    Foto von Mark Thiessen

    Ohne Pause heben die Smokejumper Gräben aus, fällen Bäume und füllen die Wasserbeutel. Nach stundenlanger Schwerstarbeit haben sie um drei Uhr morgens eine Schneise um den Brand gezogen. Mit rußgeschwärzten Händen und Gesichtern kriechen sie in ihre Schlafsäcke und schlafen ein paar Stunden. Schon um sieben Uhr sind sie wieder auf den Beinen. McPhetridge schreitet das Brandgebiet ab. Es erstreckt sich über 13 Hektar – eine winzige Fläche im Vergleich zu den Flächenbränden, die in den anderen US-Bundesstaaten wie etwa in Kalifornien Schlagzeilen machen. Aber unkontrolliert hätte sich das Feuer auf mehrere Hundert oder Tausend Hektar ausbreiten können.

    Die letzten Aufräumarbeiten sollen nun Feuerwehrleute übernehmen, die aus den umliegenden indigenen Dörfern eingeflogen werden. Kurz vor 21 Uhr am Tag nach ihrer Ankunft werden die acht Smokejumper mit dem Hubschrauber ins 80 Kilometer entfernte Dörfchen Bettles tief im Innern von Alaska gebracht. Mission abgeschlossen.

    Zumindest glauben sie das.

    Diese Reportage wurde gekürzt. Lesen Sie den ganzen Artikel in Heft 5/2019 des National Geographic-Magazins.

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