Öko auf der Skipiste?

Nachhaltigkeit ist in. Selbst Wintersportorte werben damit. Aber geht das überhaupt zusammen, Ökologie und Skisport? Die Antwort lautet: Jein.

Von Franziska Haack
Veröffentlicht am 17. Dez. 2021, 11:55 MEZ
Skifahrer fliegt in schneebedeckter Landschaft durch die Luft

Nachhaltigkeit ist in. Selbst Wintersportorte werben damit. Aber geht das überhaupt zusammen, Ökologie und Skisport? Die Antwort lautet: Jein.

Foto von Marcin - stock.adobe.com

Weiße Pisten in grüner Landschaft, Skigebietserweiterungen und Corona-Skandale – kann man heute noch guten Gewissens Ski fahren? Nun ja, die Sache ist etwas komplizierter.

Aus ökologischer Sicht ist klar: Skifahren ist ein Eingriff in die Natur und wird in Zeiten der Erderwärmung immer fragwürdiger. In den Alpen ist die Durchschnittstemperatur in den letzten hundert Jahren um zwei Grad gestiegen, doppelt so viel wie im globalen Mittel. „In 50 Jahren wird Skifahren in Deutschland nur noch an der Zugspitze möglich sein“, prognostiziert Jürgen Schmude, Professor für Wirtschaftsgeografie und Tourismusforschung an der LMU München. Bereits heute ist der Skibetrieb vielerorts auf Kunstschnee angewiesen. In Österreich lag 2019 beispielsweise auf 70 Prozent der Pisten Kunstschnee. Über 1,3 Milliarden Euro hat das Land seit 2000 in die dafür nötige Technologie gesteckt.

„In 50 Jahren wird Skifahren in Deutschland nur noch an der Zugspitze möglich sein“

Mit der Beschneiung sind nicht nur große Kosten verbunden, sondern auch erheblicher Energiebedarf. Für einen Hektar Kunstschnee ist eine Energiemenge von etwa 20 000 Kilowattstunden nötig. Alpenweit kommen so 600 Gigawattstunden zusammen, was dem jährlichen Stromverbrauch von 130 000 durchschnittlichen Vier-Personen-Haushalten entspricht. Immerhin: Die Schneekanonen werden immer effizienter. „Was Wasser- und Stromverbrauch angeht, ist ein Golfplatz mittlerweile unter Umständen schädlicher“, sagt Schmude. Schneedeckenmessungen und Optimierung der Fahrten der Pistenraupen sind weitere Möglichkeiten, Energie zu sparen. Dem Skigebiet Carezza Dolomites, das 2019 als erstes Skigebiet Südtirols dem Klimaneutralitätsbündnis 2025, einer Initiative von Unternehmen für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels, beigetreten ist, gelang es so, seinen Treibstoffverbrauch um 25 Prozent zu senken. Im Skigebiet Schmittenhöhe im Land Salzburg wird, unterstützt von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft, untersucht, wie sich Stromverbrauch, -kosten und CO2-Emissionen mithilfe von Algorithmen reduzieren lassen.

Aber wie steht es um die Auswirkungen des Kunstschnees auf die Natur? In Deutschland, Österreich und Italien sind Zusätze wie Snowmax, ein Bakterienprotein, das Beschneiung bei Plusgraden ermöglicht, verboten. Kunstschnee besteht nur aus Wasser. Zwar hat er eine andere Dichte als Naturschnee und schmilzt später, das habe aber keine großen Auswirkungen, sagt Manfred Scheuermann vom Ressort Naturschutz des Deutschen Alpenvereins (DAV). „Viel problematischer ist, dass auch in tiefen Lagen weiter beschneit wird und neue Anlagen gebaut werden, die nur noch für zehn bis zwanzig Jahre nutzbar sind. Da ist die Installation mit Speicherteichen, Wasser- und Stromleitungen in Anbetracht der kurzen Nutzungsdauer nicht zu rechtfertigen.“

Die Expansionsspirale

Investitionen müssen wieder hereingespielt werden. Doch die Zahl der Skifahrer sinkt – auch wegen der immer teureren Skipässe und des demografischen Wandels. „Den schrumpfenden europäischen Kundenstamm versuchen die Regionen teils mit aggressiver Werbung in neuen Märkten wie Fernost und Russland aufzufangen“, sagt Schmude. Und sie setzen auf Vergrößerung und Modernisierung: schnellere und modernere Lifte mit Sitzheizung und WLAN und mehr Pistenkilometer, etwa durch Vereinigung mit benachbarten Skigebieten. Der Deutsche Alpenverein, der nicht nur Bergsportverein, sondern auch Naturschutzverbund ist, sieht solche Erweiterungen sehr kritisch. „Durch die Schaffung von völlig überdimensionierten Skigebieten wie Kitzbühel oder Zillertal geht wertvoller Lebensraum und unverbaute Natur verloren. Erweiterungen wären überhaupt nicht mehr nötig“, sagt Scheuermann. „Gletscherskigebiete zu verbinden, wie es zwischen Pitztal und Ötztal in der Diskussion ist, ist angesichts des Gletscherschwunds und der sensiblen Hochgebirgslandschaft abzulehnen.“

Auf Skifahren zu verzichten, sei allerdings auch keine Lösung, sagen sowohl Alpenverein als auch Tourismusforscher Schmude. „Skifahren macht Freude, ist gesund und hat für das gemeinsame Erleben von Natur und Winterlandschaft einen hohen Wert“, betont Scheuermann. Aber auch aus Nachhaltigkeitssicht gibt es Gründe dafür, denn die hat neben der Ökologie eine soziale Komponente: Gerade der Wintertourismus ist eine wichtige Einnahmequelle für die Regionen. „Ohne ihn wären die Alpen heute noch das Armenhaus Europas“, sagt Schmude. Skitourismus bringe doppelt so viel Einnahmen wie Wellness- oder Wandertourismus. „Ein Umstieg braucht Zeit, man kann schließlich nicht von heute auf morgen Skigondeln zu Saunen umfunktionieren.“ Der „Gigantismus“ einiger Gebiete ist auch in dieser Hinsicht ein Problem, wie sich nach dem Corona-Winter 2020/21 zeigt: Hotellerie und Gastronomie fehlen nun die dringend benötigten auswärtigen Arbeitskräfte.

Manfred Scheuermann vom DAV empfiehlt deshalb, Regionen zu bevorzugen, die nicht bloß auf Alpinski setzen, sondern ein umfassenderes Angebot haben und eher sanften Tourismus fördern, wie die alpenweit 19 Orte der Alpine Pearls oder die 35 Bergsteigerdörfer. „So kann man im Urlaub auch mal langlaufen gehen, eine Schneeschuh- oder Skitour machen und vielleicht Neues ausprobieren.“ Wer keine Erfahrung im alpinen Gelände hat, sollte sich einer geführten Tour anschließen. Einige Orte haben bereits abwechslungsreiche Pakete im Angebot. So werden die Einnahmen aus dem Tourismus breiter gestreut: an Bergführer, Langlaufskiverleih und die Gastronomie außerhalb des Skigebiets.

Das Ökoversprechen

Und was ist dran an den vermehrt zu hörenden Nachhaltigkeitsversprechen? „Zu erkennen, wie nachhaltig ein Skigebiet wirklich ist, ist gar nicht so einfach und bedarf gründlicher Recherche, zum Beispiel auch, wer denn der Eigentümer ist“, sagt Moritz Nachtschatt, Geschäftsführer des Vereins Protect our Winters (POW) in Österreich, der sich aus Liebe zum Winter(-sport) für mehr Klimaschutz einsetzt. Auch beim Skisport besteht die Gefahr des Greenwashings. Schmude: „Viele Skigebiete malträtieren den Nachhaltigkeitsbegriff, etwa die Silvretta Seilbahn im Tiroler Ischgl, die mit Klimaneutralität wirbt.“ Für umweltbewusste Skifahrerinnen und Skifahrer heißt das: am besten dann Winterurlaub machen, wenn erfahrungsgemäß Schnee liegt. Das ist mittlerweile nicht mehr an Weihnachten, sondern im Spätwinter bis Frühjahr. Wer möglichst naturbelassen Ski fahren möchte, meidet Gebiete, die ungeachtet von Temperatur und Niederschlag an traditionellen Öffnungsterminen festhalten. Oder wählt sogar Naturschneegebiete, etwa die Nordkette in Innsbruck oder die Kampenwand im Chiemgau.

Der größte Hebel für nachhaltigeren Wintersport liegt allerdings ganz woanders: 70 bis 80 Prozent der Emissionen eines Winterurlaubs entfallen auf An- und Abfahrt, die meist – bei 90 Prozent nämlich – mit dem Auto stattfindet. Die Organisation POW hat Mobilität deshalb zum Kern ihrer Arbeit gemacht. Sie propagiert, wie auch der Alpenverein, öffentliche Verkehrsmittel und Fahrgemeinschaften. Als Positivbeispiel hebt Moritz Nachtschatt Silvretta Montafon im österreichischen Vorarlberg hervor. „Mit dem online gebuchten Green Ticket ist die öffentliche Anreise ab der Vorarlberger Grenze kostenlos und man bekommt zehn Prozent Rabatt auf Leihequipment.“ Ohne sperriges Skigepäck ist die öffentliche Anreise gleich attraktiver. Die Initiative Alpine Pearls garantiert ihren Gästen Mobilität ganz ohne eigenes Auto: Ob mit Skibus oder Pferdekutsche, in den Mitgliedsorten wie Disentis/ Mustér, Bad Reichenhall oder Bled in Slowenien braucht niemand ein Auto. Gut mit Öffis kommt man auch im Kleinwalsertal voran, dank enger Taktung.

Die Anreise verursacht 70 bis 80 Prozent der Emissionen des ganzen Urlaubs

Und die Pisten der Nordkette sind in 20 Minuten direkt aus der Innsbrucker Innenstadt zu erreichen. Eine weitere Stellschraube ist die Dauer des Aufenthalts. Tages- oder Wochenendausflüge, wie sie meist zu Skigebieten in der Nähe von Ballungszentren stattfinden, stellen eine höhere Belastung für Umwelt und Anwohner dar. Besser ist ein längerer Urlaub, bei dem sich – Stichwort: soziale Nachhaltigkeit – das Geld gleichmäßiger in der Region verteilt, da auch Gastgewerbe und Handel etwas verdienen. Ganz abgesehen davon, dass ein längerer Aufenthalt erholsamer ist. Ob für das persönliche Emissionskonto nun ein kleines Familienskigebiet günstiger ist oder eines der großen, bei denen die Betriebsemissionen auf eine größere Nutzerzahl umgelegt werden, lässt sich pauschal nicht sagen. Ehrlichkeit sich selbst gegenüber schadet nicht: Brauche ich wirklich 670 Pistenkilometer? Wie viele davon fahre ich realistisch gesehen ab? „Wir neigen dazu, nach dem Maximum an Möglichkeiten zu suchen, auch wenn wir sie gar nicht nutzen“, sagt Tourismusforscher Schmude. Aus ideeller Sicht kann man sich fragen, ob man die Vergrößerungsspirale und immer weiter expandierende Skigebiete unterstützen möchte. Ganz praktisch ist es so, dass kleinere Gebiete oft mehr Erholung und ein schöneres Wintererlebnis bieten – und die Möglichkeit, im Kontakt mit Einheimischen etwas über die regionale Kultur zu erfahren. Begegnungen, die den Urlaub auch für einen selbst zu einem nachhaltigen Erlebnis machen.

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Foto von National Geographic

Dieser Artikel erschien in voller Länge in der Januar/Februar/März 2021-Ausgabe des deutschen NATIONAL GEOGRAPHIC TRAVELER. Verpassen Sie keine Ausgabe mehr: Sichern Sie sich die nächsten 2 Ausgaben zum Sonderpreis!

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