Indische Müllsammler: bessere Bedingungen dank Schweizer Start-up

Im Nordosten von Delhi leben ganze Nachbarschaften vom Geschäft mit dem Müll. Ein Schweizer Start-Up will ihnen sichere Arbeitsbedingungen ermöglichen.

Von Julia Graven
Veröffentlicht am 22. Apr. 2022, 12:23 MESZ
Im Nordosten von Delhi leben ganze Nachbarschaften vom Geschäft mit dem Müll. Ein Schweizer Start-Up will ...

Im Nordosten von Delhi leben ganze Nachbarschaften vom Geschäft mit dem Müll. Ein Schweizer Start-Up will ihnen sichere Arbeitsbedingungen ermöglichen.

Foto von Maruf Rahman / Pixabay.com

Im Nordosten von Delhi leben ganze Nachbarschaften vom Geschäft mit dem Müll. Ein Schweizer Start-Up will ihnen sichere Arbeitsbedingungen ermöglichen.

In Vierteln wie Mustafabad sitzen Männer, Frauen und manchmal auch Kinder auf dem dreckigen Boden im Erdgeschoss der einfachen Häuser vor riesigen Säcken mit alten Tastaturen, Platinen und Kabeln. Sie nehmen die Teile von Hand auseinander und verkaufen alles, was sich zu Geld machen lässt.

Die Schweizer Umweltwissenschaftlerin Dea Wehrli hat diesen Mikrokosmos aus Kleinstunternehmern 2018 bei einem Arbeitsaufenthalt kennengelernt. Und weil sie eine Frau ist, die Lösungen für Probleme sucht, arbeitet sie seitdem mit einem Team aus Indern und Schweizern an einem Start-up, das die Verarbeitung von Elektroschrott für Mensch und Umwelt nachhaltiger macht. Dieses Frühjahr nimmt Ecowork seine Arbeit auf: In einem Co-Working-Space können Kleinstunternehmer für wenig Geld einen legalen Arbeitsplatz mieten und sichere Maschinen und Schutzausrüstung nutzen. Sie können sich dort auch mit anderen Zerlegern zusammenschließen, um bessere Preise zu erzielen. Weiterbildung und Workshops sollen ihnen zeigen, wie sie ihr Geschäft voranbringen – und irgendwann vielleicht eine eigene Firma aufmachen.

Delhi ist Halde und Umschlagplatz für Elektroschrott

Nach UN-Angaben sind in Indien 2019 mehr als drei Millionen Tonnen Elektroschrott angefallen, das ist Platz drei weltweit. Das Recycling erledigen zu 95 Prozent die informellen Sammler, Händler, Zerleger und Recycler in einem organisierten, arbeitsteiligen System. Elektroschrott aus allen Ecken des Landes wird dafür nach Delhi geschafft. Wegen der vielen Kleinstunternehmer hat Indien auch beim Plastik eine der höchsten Recyclingquoten der Welt. Die nicht verwertbaren Reste aber türmen sich mit dem Haushaltsmüll an den Abwasserkanälen neben den Häusern. Eine Müllabfuhr gibt es in Vierteln wie Mustafabad nicht.

Einige Zerleger verschmutzen ganze Straßenzüge mit Lösungsmitteln, andere lassen ihre Babys neben quecksilberhaltigen Computerbildschirmen liegen und atmen beim Essen krebserregende Stoffe ein. „Metalle werden zum Teil am offenen Feuer zurückgewonnen“, erzählt Wehrli, die im Hauptberuf an der schweizerischen Empa auch zu Elektroschrott forscht. Weil die meist muslimischen Kleinstunternehmer in Delhi ohne Lizenz arbeiten, kommt öfter die Polizei vorbei und lässt sich nur mit Bargeld abwimmeln. Die Arbeit am Rande des Existenzminimums ist auch im Rest der Bevölkerung nicht angesehen, zumal das Umweltbewusstsein steigt.

In einer Garage im Nordosten Delhis trennen junge Frauen Elektrokabel auf. Kupfer ist ein wertvoller Sekundärrohstoff, doch die Arbeitsbedingungen sind prekär.

Foto von Ecowork

Partizipativer Ansatz: Projekt von Müllsammlern mitgestaltet

Der indische Betriebsleiter von Ecowork hat seine Arbeit bereits begonnen, die Lizenzen sind beantragt. Damit das Konzept nicht an den Bedürfnissen der künftigen Kundschaft vorbeigeht, wie bei Entwicklungshilfeprojekten früher häufig der Fall, haben die Ecowork-Gründer die Halle mit Experten der Community Design Agency und Zerlegern vor Ort gemeinsam geplant. Sie haben Menschen bei der Arbeit beobachtet und nach ihren Wünschen befragt. „Dieser partizipative Ansatz hat zum Beispiel ergeben, dass die Zerleger zwar Wert auf Waschräume legen, aber keine Klimaanlage brauchen – was ich mir beim Klima von Delhi nie gedacht hätte“, erzählt Wehrli.

Schon bald sollen in dem Gebäude bis zu 70 Menschen einen legalen, gesunden und menschenwürdigen Arbeitsplatz mieten können. Ecowork will so den Kleinstunternehmern den Zugang zum formellen Sektor eröffnen und sich zugleich um die sichere Entsorgung von Schadstoffen kümmern. Die große Hoffnung ist, dass Ecowork nicht nur in Delhi zum Vorbild wird. „Wenn wir helfen könnten, auch in anderen Ländern solche Co-Working-Spaces aufzubauen, wäre das ein Traum“, sagt Dea Wehrli.

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