Dürre in Italien: Katastrophe mit Ansage

Noch nie seit Beginn der Wetteraufzeichnungen vor 70 Jahren war der Wasserstand des Po tiefer. Wissenschaftler warnen seit vielen Jahren vor zunehmender Trockenheit in Norditalien.

Von Marius Rautenberg
Veröffentlicht am 1. Juli 2022, 11:30 MESZ
Noch nie seit Beginn der Wetteraufzeichnungen vor 70 Jahren war der Wasserstand des Po tiefer. Wissenschaftler ...

Noch nie seit Beginn der Wetteraufzeichnungen vor 70 Jahren war der Wasserstand des Po tiefer. Wissenschaftler warnen seit vielen Jahren vor zunehmender Trockenheit in Norditalien.

Foto von m.bonotto / Shutterstock.com

Die wichtigste Lebensader Norditaliens, der über 650 Kilometer lange Po, ist in den vergangen Wochen an manchen Stellen zu einem kleinen Bach geschrumpft: Die Messstation Pontelagoscuro, kurz vor der Mündung in die Adria, verzeichnete kürzlich nur noch einen Durchfluss von 180 Kubikmetern Wasser pro Sekunde, normalerweise müsste der Po zu dieser Jahreszeit 1500 bis 2000 Kubikmeter pro Sekunde führen. Bei Turin ist der Nebenfluss Sangone sogar komplett ausgetrocknet, wie die Zeitung La Repubblica in einem bestürzenden Video festgehalten hat.

Besserung ist derweil nicht in Sicht: Seit Dezember hat es in Teilen Norditaliens nur sehr spärlich geregnet. Aktuell steigen die Temperaturen auf bis zu 36 Grad, wodurch das Wasser noch schneller verdunstet. Hinzu kommt, dass in den südlichen Alpen, aus denen sich ein großer Teil der Zuflüsse zum Po speist, der Schnee dieses Jahr teils ausgeblieben ist. Die Pegel des Comer Sees, des Gardasees und des Laggio Maggiore sind ebenso auf historischen Tiefständen wegen der fehlenden Schneeschmelze. Um das Wasser ist bereits Streit entbrannt. Politiker fordern ein Öffnen der Schleusen, um die Zuflussmenge für den Po zu erhöhen. Das würde die Wasserstände der Seen allerdings noch weiter verringern. Derweil geht bereits die Stromproduktion der Wasserkraftwerke an Flüssen und Stauseen zurück.

Als Reaktion haben die Behörden in der Lombardei bis Ende September den Notstand verhängt. Die Menschen sind angehalten, ihren Wasserverbrauch auf ein Minimum zu beschränken. Grünflächen und Sportplätze werden nicht mehr bewässert, Schwimmbecken nicht aufgefüllt und Autowaschen steht unter Strafe – außer in Waschanlagen. Auch deutsche Urlauber müssen mit einzelnen Einschränkungen rechnen. Sie könnten etwa bei ihrer Ankunft leere Hotelpools vorfinden.

Die Ponte della Becca bei Pavia südlich von Mailand muss derzeit nur einen kleinen Flusslauf überbrücken. Die Pegel stehen so tief wie seit mindestens 70 Jahren nicht mehr.

Foto von Delbo Andrea / Shutterstock.com

Dürre in Italien: Es regnet seltener, dafür heftiger

Doch es ist nicht in erster Linie die unmittelbare menschliche Wasserverschwendung, die das Hauptproblem in der jetzigen Situation darstellt. „Die Landwirtschaft macht über 50 Prozent des Wasserverbrauchs in der Po-Ebene aus“, berichtet Dr. Giovanni Rallo von der Universität Pisa. Am Institut für Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt forscht er an Wasserkreisläufen von Atmosphäre und Boden. Die derzeitige Dürre habe drei Komponenten: „Auf der meteorologischen Ebene fällt wenig Regen. Das verursacht eine hydrologische Dürre, das heißt niedrige Wasserstände in den Flüssen. Und das wiederum führt zu Trockenheit in der Landwirtschaft. Es ist eine Kaskade, wie ein Erdbeben zieht sich das Problem von einer Ebene auf die nächste.“

Die Po-Ebene ist die wichtigste landwirtschaftlich genutzt Region Italiens. Ein großer Teil der europäischen Reisernte stammt aus dieser Gegend – und für die braucht es viel Wasser. Lange Zeit war das kein Problem. Der Po speist sich aus über hundert Zuflüssen, vom Norden aus den Alpen und vom Süden aus den Apenninen. Der Schneefall im Winter und die Gletscherschmelze im Frühjahr sorgen in der Regel für genug Wasserzufuhr.

Eine kürzlich erschienene Studie von Wissenschaftlern der Universitäten Turin, Pisa und Rennes hat die Auswirkungen des Klimawandels auf zukünftige Dürren in Norditalien genauer untersucht. In den südlichen Voralpen liegt die jährliche Niederschlagshöhe normalerweise bei 1500 bis 2000 Millimeter, in der Poebene selbst bei 600 bis 800 Millimetern. Während diese Regenfälle sich bisher vorwiegend über den späten Winter und den Frühlingen verteilten, führe der Klimawandel dazu, dass die Regenfälle unregelmäßiger und dafür konzentrierter ausfielen, wie auch Giovanni Rallo herausstellt:

„Der Klimawandel bedeutet noch nicht, dass es weniger Regen gibt, aber er führt zu einer ungleicheren Verteilung über das Jahr. Solange die Niederschläge gleichmäßig fallen, kann der Boden sie aufnehmen. Aber jetzt gibt es lange Zeit keinen Regen und wenn er denn mal kommt, dann in kurzer Zeit so stark, dass er schnell abfließt.“ Verschärft werde dieses Problem durch die Versiegelung von Flächen. Dadurch sei das Gleichgewicht im Wasserhaushalt zwischen Oberfläche und Untergrund gestört und die Bodenfeuchtigkeit nehme immer weiter ab.

Das sei wiederum problematisch für die Pflanzen in der Landwirtschaft, die dann noch mehr bewässert werden müssten: „In der Vergangenheit waren die wichtigsten Anbauprodukte Gemüse oder Getreide, die man mit wenig zusätzlicher Wasserzufuhr weitgehend mithilfe des Regens anbauen konnte. Aber es gab eine Intensivierung der Landwirtschaft mit höherem Wasserbedarf.“ Neben Reis müssen auch Weinreben, Weizen oder Mais bewässert werden. Je heißer es ist, umso mehr.

BELIEBT

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    An der Südseite der Alpen wie hier in den Dolomiten hat es im Winter nur wenig geschneit. Folglich bleibt auch der Wasserzufluss nach Norditalien hinter anderen Jahren zurück.

    Foto von kordi_vahle / Pixabay.com

    Anpassung an den Klimawandel

    Der Folgen des Klimawandels lassen sich nicht mehr zurückdrehen. Laut den Modellrechnungen der Forscher von Turin, Pisa und Rennes sei für den Alpenraum bis 2050 mit einer Erhöhung der Temperaturen zu rechnen, die stärker ausfalle als in den umliegenden Gegenden. Bis Ende des Jahrhunderts würden die Gletscher um 80 bis 90 Prozent abschmelzen. Die Wassermengen, die Richtung Italien abfließen, dürften folglich deutlich weniger konstant sein als in vergangenen Jahrzehnten. Die Forscher rechnen für Norditalien damit, dass die bloße Anzahl an Dürreereignissen zwar nicht zunehme, sie dafür aber intensiver würden und sich auf weitere Landstriche erstreckten.

    Die jetzige Situation in der Po-Ebene hatte sich durchaus angedeutet. Seit den 1980ern ist die Zahl der Dürreperioden in Südeuropa gestiegen, in Norditalien gab es zuletzt 2011 und 2017 ernste Trockenheitsphasen. Die Ernteerträge gehen zurück und die Gefahr von Waldbränden steigt. Laut Giovanni Rallo sei es deswegen wichtig, intelligenter mit dem Wasser umzugehen. Ein richtiger Schritt könnte der Nationale Plan für Resilienz sein, den die italienische Regierung vor einem Jahr verabschiedet hat. Er sieht umfangreiche Investitionen in Gebäudesanierung, Energieeffizienz und den öffentliche Nahverkehr vor. Zudem sollen erneuerbare Energie ausgebaut und Gebiete renaturiert werden. Auch die Wasserversorgung ist Teil des Plans, wie Rallo darlegt: „Die Trinkwasserleitungen sind veraltet, schätzungsweise gehen 30 bis 40 Prozent des Wasser aus den Rohren verloren. Das soll jetzt verbessert werden.“

    Dennoch fordert Rallo noch mehr Anpassungen, besonders in der Landwirtschaft: „Es braucht bestimmte Zeitperioden, in der die Felder nicht bewässert werden. Zudem müssen moderne Systeme verwendet werden, mit denen sich der Wasserbedarf der Pflanzen genau messen lässt, um intelligent Wasser sparen zu können.“ Für dieses Jahr werden die meisten Maßnahmen zu spät kommen. Laut italienischem Bauernverband droht der Ausfall von 40 bis 50 Prozent der Ernte. Doch um auch in den folgenden Jahren katastrophale Dürren zu verhindern, muss sich Italien, wie auch der gesamte Alpenraum, schnellstmöglich den veränderten klimatischen Bedingungen anpassen.

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    Foto von National Geographic

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