Architektur in Westafrika zeigt: Lehm ist besser als Beton

Traditionell werden in Westafrika die meisten Gebäude aus Lehm gebaut. Es ist ein natürlicher Schutz gegen die Hitze. Doch zunehmend werden sie durch Betonbauten ersetzt, mit schwerwiegenden Folgen.

Von Peter Schwartzstein
Veröffentlicht am 21. Feb. 2023, 19:06 MEZ
Kornspeicher Marokko

Die marokkanische Architektin Salima Naji bevorzugt traditionelle Baumaterialien und Methoden, um Dörfer und Gemeinschaftszentren in ihrer Heimat zu bewahren. Im Bild: Ein restaurierter Kornspeicher

Foto von Moises Saman

Mousa, ein pensionierter Schulbibliothekar in den Fünfzigern, hat die von Termiten befallenen Dachstützen durch frisch geschnittene Balken ersetzt. Er hat die hitzebeständigen Lehmwände verstärkt, von denen manche einen Meter dick und mehr als hundert Jahre alt sind, hat das Strohdach erneuert und eine Ziege zum Gedenken an seine Vorfahren geopfert. Jetzt braucht er nur noch die Außenwände mit einer Schutzschicht gegen Regen zu versehen. „Der Lehm hält uns zu Hause kühl. Das Motoröl, der Ton und der Kuhdung halten uns trocken“, erklärt Mousa, während er mich durch sein Drei-Zimmer-Haus führt, in dessen Wohnraum es gut 13 Grad kühler ist als draußen. 

Beton verdrängt Lehm als Baustoff

„Wir haben unsere eigenen Methoden perfektioniert.“ Mousa ist durchaus stolz auf sein Lehmhaus. Trotzdem beobachtet er seit ein paar Jahren mit Kummer, dass so manch wohlhabenderer Nachbar in diesem grünen Landstrich im Südwesten Burkina Fasos sein bisheriges Lehmhaus neu baut – aus Beton. Mousa macht das zu schaffen. Es erinnert den ernst blickenden Mann an seine eigene Armut. Noch dazu kamen erst vor Kurzem zwei Brüder im Dorf ums Leben, als im Schlaf eine Lehmwand über ihnen einstürzte.

Später nimmt Mousa in einem vor sich hin bröckelnden Versammlungshaus an der Seite des Dorfvorstehers von Koumi Platz. Sanu, der nur den einen Namen trägt, ist wütend. Der Vorsteher hat das Bauen mit Lehm im Dorfzentrum angeordnet, um die Traditionen zu bewahren, doch immer weniger Bewohner halten sich an seine Anweisungen – seine Söhne eingeschlossen. „Der Lehmbau ist unser Erbe“, sagt Sanu. „Jahrtausendelang haben uns diese Häuser ein gutes Leben ermöglicht. Warum sollten wir das ändern, gerade jetzt, wo wir sie dringend brauchen?“

In Afrikas Sahelzone gibt es Tausende Orte wie Mousas Dorf Koumi. Ein paar Dutzend davon habe ich besucht, in verschiedenen Ländern. In allen bauten immer mehr Bewohner mit Beton, sobald sich ihr Lebensstandard verbessert hatte. Und so wechseln etliche der heißesten, ärmsten Landstriche Afrikas gerade ihre Farbe: von erdigem Braun zu Betongrau. Die Abkehr von traditionellen Materialien und den mit ihnen einhergehenden Baupraktiken ist jedoch alles andere als ein Fortschritt – davon sind Architekten, Kommunalpolitiker und Regierungsvertreter zunehmend überzeugt. 

In einem Steinbruch in Pissy, am westlichen Stadtrand von Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou, bauen Männer, Frauen und Kinder Granit ab. Er wird zu Kies und Beton verarbeitet. Aufgrund der hohen Nachfrage nach Beton ist der Steinbruch trotz mechanisierter Lagerstätten in der Nähe noch immer in Betrieb.

Foto von Moises Saman

Wie der Bau mit Beton den Klimawandel anheizt

Der Klimawandel lässt die ohnehin heißen Regionen der Erde noch heißer werden, und Beton hat an dieser Erwärmung einen großen Anteil. Die Herstellung von Zement, einem Hauptbestandteil des Baustoffs, ist für etwa acht Prozent der weltweiten Kohlendioxidemissionen verantwortlich. Salima Naji ist eine der bekanntesten Architektinnen Marokkos. Ihr Heimatland hat sich in den letzten Jahrzehnten vom Lehm abgewandt, obwohl hier einer der weltgrößten Bestände an Lehmbauwerken zu finden ist. „Wir haben die außerordentlichen Vorteile des Baustoffs vergessen“, sagt Naji im Hinblick auf die mitunter sengende Hitze. Lehm reguliert das Raumklima und die Luftfeuchtigkeit. Die Wände können, wenn sie dick genug sind, Wärme besonders effizient aufnehmen und speichern. Und abends, wenn die Temperaturen abkühlen, strahlen sie die Speicherwärme wieder ab. „Lehm ist eine natürliche Klimaanlage. 

Lehm als Baustoff trägt kaum zur globalen Erwärmung bei, im Gegensatz zu Beton. Zusätzlich dient Beton meist als Einfallstor zu einer weiteren Technologie, die fossile Brennstoffe geradezu verschlingt: Klimaanlagen. In klassischen Betonbauten sind Klimaanlagen bei großer Hitze fast unumgänglich. Aber sowohl der für die Kühlung benötigte Strom als auch die Kühlmittel kosten Geld und verursachen immer mehr Treibhausgasemissionen.

Schon jetzt berichten Ärzte von einem etwa fünffachen Anstieg von hitzebedingten Krankenhauseinweisungen und Todesfällen in den letzten zehn Jahren. Manche vermuten, dass eine Vielzahl der Betroffenen Menschen waren, die sich neue Häuser aus Beton gebaut haben, ohne jedoch genügend Geld für ein künstliches Kühlsystem aufbringen zu können. 

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