Ukraine-Krieg: Zuflucht in den letzten Urwäldern Europas

In der Ukraine liegen einige der letzten Urwälder Europas. Sie stehen auch dank deutscher Spenden unter Schutz. Jetzt bieten die sie Menschen Schutz vor dem Krieg.

Der Synewyr See liegt in den ukrainischen Karpaten.

Foto von Roman Mikhailiuk
Von Julia Graven
Veröffentlicht am 21. Feb. 2023, 19:19 MEZ

Es war keine normale Dienstreise. Michael Brombacher hatte in dieser kalten, dunklen Woche im Advent weder Anzug noch Krawatte dabei. Dafür steckten in der Tasche, die er während der gesamten Zugfahrt nicht aus den Augen ließ, eine Stirnlampe, Zusatzakkus für das Handy, die wichtigsten Ausweise und Dokumente, Wasser und ein dicker Daunenschlafsack. „Ich war schon sehr angespannt“, erzählt er. Dabei war es nicht seine erste Reise in die Ukraine. Seit fast zehn Jahren ist Brombacher immer wieder im Land. 

Als Europa-Verantwortlicher der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft (ZGF) kümmert er sich darum, dass in den Karpaten eines der größten zusammenhängenden Waldgebiete Europas geschützt wird. Es ist das größte Projekt der ZGF in Europa, Teile sind UNESCO-Weltnaturerbe. „Buchenwälder bis zum Horizont, wie es sie bei uns nirgendwo mehr gibt“, schwärmt Brombacher. Doch mit dem Krieg wurden die Schutzgebiete für die Natur zu Zufluchtsorten für Menschen. Beim Team in der Zentrale in Lwiw und auch in den deutschen Büros der ZGF war nach der russischen Invasion am 24. Februar 2022 schnell klar: Humanitäre Hilfe hat nun allerhöchste Priorität. 

Flucht vor dem Krieg: Naturschutzorganisation wird zum Krisenzentrum

Die Frankfurter Zentrale der Naturschutzorganisation wurde zum Krisenzentrum, wo sich Pakete mit Spenden stapelten. „Auch wenn das nicht unsere zentrale Kompetenz ist – es musste einfach getan werden“, erzählt Michael Brombacher im Videotelefonat aus dem Homeoffice. Sechs Tage nach dem russischen Überfall fuhr der erste ZGF-Transport mit Hilfsgütern von Rumänien aus in die Ukraine. Die Naturschützer waren schneller als manche der großen Hilfsorganisationen – und sehr flexibel. Schon bald kamen in den Verwaltungsgebäuden erste Menschen unter, die ihre Wohnungen in Kiew, Charkiw oder Odessa verlassen hatten. 

Vor allem Frauen und Kinder zogen in die Büros, Besucherzentren und Gästezimmer ein, mit wenig mehr als dem, was sie am Leibe trugen. Doch sie waren hier vor Angriffen sicher, es gab Elektrizität und Wasser. Handwerker aus der Gegend zimmerten Hunderte von Betten zusammen, die ZGF sorgte für Kochgeschirr, Waschmaschinen und Lebensmittel. Im Sommer hielten sich bis zu 60000 Binnenvertriebene in den Karpaten auf, schätzt Brombacher. Zu Beginn seien die ZGF-Mitarbeiter überfordert gewesen, sagt der Geoökologe. „Aber mittlerweile sind wir alle echte Logistikexperten.“ 

Muss der Naturschutz in den Hintergrund treten, wenn Menschen sterben? Die Frage wird Brombacher oft gestellt. Zu Kriegsbeginn war er unsicher, wie es mit den Schutzgebieten weitergeht. In okkupierten Gebieten würde die ZGF ihre Unterstützung sofort einstellen, sagt er. Doch die ZGF will die Ukraine weiter unterstützen. „44 Nationalparks sind in den vergangenen 20 Jahren entstanden – das Land hat seine Hausaufgaben gemacht“, erzählt Brombacher. Die ZGF unterstützt die Schutzgebiete daher mit Ausrüstung, Fahrzeugen und banalen Dingen wie Druckerpatronen. 

Ukraine-Krieg: Karpaten in Gefahr

Finanzielle Hilfe wird in Zukunft wohl noch mehr gefragt sein. Im Sommer haben die Ranger, die nicht an der Front sind, ihre normale Arbeit wieder aufgenommen. Sie vermessen Bäume, werten Wildkameras aus. Doch für die Natur bleibt die Lage gefährlich. Brennholz, das Dorfbewohner schlagen, sei nicht das Problem, sagt Brombacher. Die ZGF befürchtet aber großflächige Abholzungen wie auf der anderen Seite der Grenze in Rumänien. Der Verlust „dieser tollen Landschaften“ wäre auch für die Menschen nicht gut, so Brombacher. Die Urwälder speichern Kohlenstoff und Wasser, bieten seltenen Tieren wie Wolf, Wisent und Braunbär ein Zuhause. „Vielleicht helfen sie zukünftig auch den Menschen, den Krieg vergessen zu machen und die Seele zu heilen“, hofft er.

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Foto von National Geographic

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