Golf von Maine: Temperaturanstieg bringt Ökosysteme in Gefahr

Der Golf von Maine erwärmt sich schneller als fast jede andere Ozeanregion auf der Welt – mit dramatischen Auswirkungen auf Ökosysteme und den Golfstrom.

Von Brian Skerry
Veröffentlicht am 20. Juni 2024, 16:04 MESZ
Atlantische Nordkaper gleiten durch die Bucht von Cape Cod

Seltene Atlantische Nordkaper gleiten durch die Bucht von Cape Cod in Massachusetts. Sie gehören zu den am stärksten bedrohten Walen der Welt und ernähren sich vor allem von Kleinstlebewesen wie den Ruderfußkrebsen. Die steigenden Wassertemperaturen lassen die Beute allerdings schmächtiger und magerer werden. Das schadet auch den Nordkapern und Hummerlarven.

Foto von Brian Skerry

Das „Meer im Meer“, wie man den Golf von Maine manchmal nennt, ist ein 93000 Quadratkilometer großes Gewässer an der Ostküste Nordamerikas. Es erstreckt sich von Cape Cod in Massachusetts bis in die kanadische Provinz New Brunswick und begrenzt die Küstenlinien von New Hampshire, Maine und Nova Scotia. Schon die indigenen Amerikaner, die das Gebiet seit über 12000 Jahren bewohnen, haben mit den natürlichen Rhythmen des Golfes gelebt und die Gewässer auf nachhaltige Weise befischt. Europäer, die sich hier im 15. Jahrhundert ansiedelten, hielten den scheinbar grenzenlosen Reichtum der Meeresregion in Geschichten fest. Sie berichteten von Kabeljaus, die bis zu anderthalb Meter maßen. Auf mich wirkt der Golf von Maine, als sei er nach einem perfekten Rezept erschaffen, das eine präzise Abfolge von Zutaten und Arbeitsschritten erforderte.

Er besitzt ein stabiles Einzugsgebiet mit zahlreichen Flüssen und eine einzigartige Mischung aus Strömungen, die Nährstoffe herantransportieren und vermengen – vom Kontinentalschelf aufsteigendes Tiefenwasser, Golfstrom, Labradorstrom und gegen den Uhrzeigersinn rotierende Küstenströme. Weil er in einer gemäßigten Klimazone liegt, findet im Golf von Maine zudem eine jahreszeitliche Temperaturschichtung in kältere und wärmere Wassermassen statt. Früher resultierte daraus üppig sprießendes Leben. Die Zeiten haben sich geändert Im Lauf der Jahrhunderte hat der hochentwickelte kommerzielle Fischfang zu einem deutlichen Rückgang von Meerestieren geführt. Der Bestand an Atlantischem Kabeljau, der einst als unerschöpflich galt, liegt heute bei einem Prozent des Wertes vor Beginn der Kolonialzeit. Innerhalb von wenigen Hundert Jahren hat hier der Mensch dem Meer 99 Prozent dieser Fischart entnommen.

Auswirkungen der Wassererwärmung

Die einzigartigen Strömungen, die den Golf von Maine zu einer fruchtbaren Oase werden ließen, sind der Grund dafür, dass er sich jetzt schneller als fast jede andere Ozeanregion erwärmt. Gleichzeitig gelten seine Gewässer als Vorboten für das, was den Rest der Welt möglicherweise erwartet. Laut Charles Tilburg, Meereswissenschaftler an der University of New England, funktioniert der Golf von Maine „wie eine Badewanne: Dreht man das kalte Wasser ab und das heiße auf, wird das Bad wärmer.“ Seit etwa 15 Jahren verfolgt Tilburg, wie sich der kühle Labradorstrom abschwächt und weniger kaltes Wasser zuführt, während sich der wärmere Golfstrom leicht nach Norden verlagert und der Region mehr warmes Wasser beschert.

Trotz der Doppelbelastung durch Überfischung und Klimawandel haben manche Arten profitiert – zumindest vorübergehend. Bis jetzt liegen die Wassertemperaturen im Golf von Maine noch in einem Bereich, in dem sich Hummer vermehren – die industrielle Hummerfischerei floriert. Wissenschaftler haben allerdings besorgniserregende Veränderungen festgestellt. Steigen die Wassertemperaturen in Küstennähe auf mehr als 23 Grad, bleiben die Hummerweibchen weiter draußen im Ozean. Dort trifft ihr Nachwuchs möglicherweise aber nicht auf jene Strömungen, die ihn zu geeigneten Nahrungsquellen und Habitaten bringen.

Die Natur kann sich ihren Platz zurückerobern

Doch es gibt auch Erfolgsgeschichten. Die Natur ist resilient – und sie kann sich von Rückschlägen erholen. Man muss ihr nur ein wenig unter die Arme greifen. Die Geschichte des Nordamerikanischen Flussherings im Golf von Maine etwa macht Hoffnung. Die Fischart ist eine wertvolle Proteinquelle für zahlreiche Tiere, und sie wandert zwischen ihren Laichgebieten in Süßwasserseen und dem Meer hin und her. Im Ozean und in Mündungsgebieten von Flüssen werden die Flussheringe von anderen Fischen und Vögeln wie Weißkopfseeadlern, Fischadlern und Kormoranen gefressen. Wenn sie die Flüsse hinaufschwimmen, dienen sie Waschbären und Füchsen in den Wäldern als Nahrung.

Haben sie schließlich ihre Laichplätze in den Seen erreicht, warten dort Fressfeinde wie der Forellenbarsch. Flussheringe, die diese gefährliche Route überleben, kehren nach dem Ablaichen ins Meer zurück; ihre Brut folgt einige Monate später. Weil Dämme die Fischwanderung behinderten, waren Flussheringe im Golf von Maine praktisch verschwunden. In den vergangenen Jahren wurden Dämme in wichtigen Flüssen wie dem Penobscot und dem Presumpscot zurückgebaut. Das sollte eigentlich dem Atlantischen Lachs dienen. Es hat jedoch auch die Wanderwege der Flussheringe wiederbelebt. Im Frühling machen sich nun Millionen dieser Fische erneut auf den Weg zu ihren Laichplätzen.

Cover National Geographic 9/24

Foto von National Geographic

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