Erbgut: Die DNA-Revolution

Eine neue Methode macht es möglich, den Code des Lebens umzuschreiben. Noch nie hatten wir Menschen eine solche Macht über die Natur. Aber was fangen wir mit ihr an?

Von Michael Specter
Foto von Greg Girard

Zusammenfassung: Die Methode CRISPR-Cas9 ermöglicht es Wissenschaftlern, Erbinformationen nahezu jedes Lebewesens schnell und präzise zu editieren. Obwohl erst seit vier Jahren angewandt, gelang es Wissenschaftlern bereits bei Tieren Mutationen oder Muskeldystrophien zu korrigieren. Agrarwissenschaftler erhoffen sich durch die Methode bestimmte Gene bei Nutzpflanzen auszuschalten, die Schädlinge anlocken. Fachleute sind der Meinung, dass keine Entdeckung der vergangenen hundert Jahre einen größeren Nutzen für die Menschheit verspricht. Viele ethische Fragen der biochemischen Methode sind jedoch noch ungeklärt.

Stechmücken beherrschen das Leben von Anthony James. Die Wände seines Büros sind von Zeichnungen der Insekten bedeckt, die Regale voller Bücher über Mücken.

Neben dem Schreibtisch hängt ein Plakat, auf dem die Spezies Aedes aegypti in ihren verschiedenen Entwicklungsstadien gezeigt wird; die Fotos wurden so sehr vergrößert, dass sie selbst „Jurassic Park“-Fans einen Schreck einjagen würden. „Seit 30 Jahren bin ich von Stechmücken regelrecht besessen“, sagt der Molekulargenetiker, der an der Universität von Kalifornien in Irvine forscht.

Anthony James hat sich zum Ziel gesetzt, Mücken gentechnisch so zu verändern, dass sie keine Krankheiten mehr übertragen können. Nach Jahrzehnten der Forschung könnte eine revolutionäre Methode ihm nun das richtige Werkzeug für das Vorhaben liefern: Die korrekte Bezeichnung lautet CRISPR-Cas9, doch Genetiker sagen meist kurz CRISPR. Die Methode ermöglicht es Wissenschaftlern, die Erbinformationen nahezu jedes Lebewesens schnell und präzise zu editieren, sie schneiden DNA-Stücke heraus, fügen andere ein oder ordnen die Sequenzen um. Die Methode ist so einfach, dass Experten von einem „biologischen Textverarbeitungsprogramm“ sprechen, das es erlaube, Tippfehler in einem Text zu korrigieren und Absätze umzustellen.

CRISPR-Cas9 basiert auf einem natürlichen Mechanismus, der manchen Bakterien dazu dient, einen Viren-Angriff abzuwehren, und hat zwei Bestandteile. Das Akronym CRISPR bezeichnet einen Vorgang, mit dem das Bakterium Teile des Virus-Erbguts kopiert und abspeichert. Cas9 ist ein Enzym, das einen Erbgutstrang wie eine Schere zerschneiden kann. Der zweite Bestandteil besteht aus einer Steuerungs-RNA, ein Molekül, das die Cas9-Schere zu den chemischen Buchstaben des Virus-Erbguts dirigiert, an denen sie schneiden soll. Auf diese Art und Weise wird der Eindringling unschädlich gemacht. Die Steuerungs-RNA findet unter den Milliarden Bausteinen, aus denen die DNA besteht, exakt die Stelle, an der die Cas9-Schere aktiv werden soll. Dort können Wissenschaftler dann Information entfernen oder neue einfügen. Mit dem „biologischen Textverarbeitungsprogramm“ kann man schädliche Informationen aus dem Erbgut löschen oder dem Organismus neue Funktionen verleihen.

NG-Video: So funktioniert CRISPR:

CRISPR stellt eine Revolution dar. Nichts weniger. Obwohl das Verfahren erst seit vier Jahren angewandt wird, haben Wissenschaftler auf der ganzen Welt so schon genetische Defekte bei Tieren korrigiert; darunter Mutationen, die Muskeldystrophie, Mukoviszidose und eine erbliche Form der Hepatitis verursachen. Agrarwissenschaftler wollen mit CRISPR bestimmte Gene bei Nutzpflanzen ausschalten, die Schädlinge anlocken. Haben sie Erfolg, brauchen die gentechnisch veränderten Pflanzen keine Pestizide mehr – und die Ernteerträge könnten steigen. Andere Forscher nutzten die Methode, um Viren aus Schweinezellen zu entfernen – ein wichtiger Schritt, um in Zukunft Schweineorgane in Menschen zu verpflanzen und das Leben von schwer kranken Patienten zu verlängern.

TED-Video: Nobelpreisträger James Watson erzählt, wie er und sein Kollege Francis Crick den Träger unseres Erbguts entdeckten:

Fachleute sind der Meinung, dass keine wissenschaftliche Entdeckung der vergangenen hundert Jahre einen größeren Nutzen für die Menschheit verspricht. Aber es gibt auch keine Erfindung, die mehr ethische Fragen aufwirft. Am deutlichsten wird das bei der möglichen Anwendung von CRISPR zur Veränderung der Keimbahn eines menschlichen Embryos; der Ei- und Samenzellen, deren genetisches Material an die nächste Generation weitergegeben wird. Denn damit greift man nicht nur in das Erbgut eines einzelnen Menschen ein, sondern auch in jenes seiner Nachkommen. Das kann erwünscht sein, wenn es darum geht, einen genetischen Defekt zu heilen. Man könnte auf diese Weise aber unsere Spezies auch mit neuen genetischen Eigenschaften ausstatten – könnte die Körpergröße erhöhen oder eine neue Augenfarbe erschaffen. Die Folgen derartiger Eingriffe sind nicht abzuschätzen.

„Bevor ein Forscher solche Experimente durchführt, muss er mich davon überzeugen, dass es dafür stichhaltige Gründe gibt“, sagt der US-Genetiker Eric Lander, der um die Jahrtausendwende das Humangenomprojekt geleitet hatte, bei dem das menschliche Erbgut erstmals vollständig erfasst worden ist. „Und derjenige muss nicht nur mich überzeugen, sondern muss sich auch sicher sein, dass er die Gesellschaft hinter sich hat.“ Eindringlich setzt er hinzu: „Wissenschaftler haben nicht das Recht, solche Fragen allein zu beantworten. Ich bin mir nicht einmal sicher, welche Instanz dieses Recht überhaupt haben könnte.“

Das Zika-Virus breitet sich unterdessen in Süd- und Mittelamerika immer weiter aus. Stechmücken haben den Erreger bereits auf Tausende von schwangeren Frauen übertragen, die Anzahl der Neugeborenen, die mit krankhaft kleinen Köpfen und Gehirnen zur Welt kommen, wird mutmaßlich weiter steigen. Die einzige Möglichkeit, das Virus zu stoppen, besteht derzeit darin, die betroffenen Regionen großflächig mit Insektiziden zu besprühen und die Mücken so zu töten. Der Molekularbiologe Anthony James arbeitet an einer langfristigen Lösung und schlägt vor, die Mücken mithilfe der CRISPR-Methode gentechnisch so zu verändern, dass sie das Virus nicht weiterverbreiten können. Dazu müsste man die modifizierten Mücken nur noch auswildern und dafür sorgen, dass sich die künstlich erzeugte Mutation schnell und dauerhaft in der Population verbreitet. Auch dafür gibt es eine neue Methode, sie nennt sich „Gene Drive“.

Normalerweise erhalten die Nachkommen eines Lebewesens, das sich sexuell fortpflanzt, von beiden Elternteilen je eine Kopie eines Gens. Manche Gene werden in der Natur aber mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 Prozent vererbt. Durch eine Kombination von CRISPR und „Gene Drive“ könnte man theoretisch eine künstlich entwickelte DNA-Sequenz gezielt an ein Gen heften, das bevorzugt weitervererbt wird. Setzt man die gentechnisch veränderten Tiere dann frei, verbreitet sich das gewünschte genetische Merkmal nachhaltig in einer wilden Population.

James hat das CRISPR-Verfahren bereits eingesetzt, um genetisch veränderte Anopheles-Mücken zu erzeugen, die den Malaria-Parasiten nicht mehr verbreiten. „Jahrzehntelang hatte ich im stillen Kämmerlein kaum beachtet vor mich hingearbeitet“, erzählt er, „doch nachdem ich dieses Ergebnis veröffentlicht hatte, stand mein Telefon wochenlang nicht mehr still.“

Dabei ist die Anopheles-Mücke noch relativ einfach zu bekämpfen, da sie ausschließlich den Malaria-Parasiten übertr.gt. Um die Bedrohung durch die Art Aedes aegypti abzuwehren, die viele verschiedene Krankheitserreger verbreitet, müsste man laut James schon dafür sorgen, dass „die Insekten unfruchtbar“ werden: „Es ist sinnlos, die Mücken nur daran zu hindern, das Zika-Virus zu verbreiten, wenn sie immer noch Denguefieber und andere Krankheiten übertragen.“

Tatsächlich ist es James aber schon gelungen, Mücken mithilfe von CRISPR so zu verändern, dass ihre Nachkommen unfruchtbar sind. Würde man diese modifizierten Mücken in großer Zahl freisetzen, bestünde die Chance, dass sie sich mit wilden Mücken paaren und die Spezies in einer Region ausstirbt. Eine Welt ohne Zika-Virus und Denguefieber – das klingt im ersten Moment sehr gut. Aber es gibt auch offene Fragen: Was bedeutet es für ein Ökosystem, wenn eine Art plötzlich verschwindet? Verlieren andere Tierarten womöglich eine wichtige Nahrungsquelle? Werden Blütenpflanzen plötzlich nicht mehr bestäubt? Und ist es nicht möglich, dass die künstlich erzeugten Mutanten, die eine Art nicht auslöschen sollen, sondern mit anderen Eigenschaften ausgestattet wurden, eine unerwartete Kettenreaktion im Ökosystem auslösen? Hat man eine veränderte Spezies erst einmal ausgesetzt, kann man das Experiment kaum mehr rückgängig machen. James kennt diese Argumente nur zu gut: „Natürlich ist es mit Risiken verbunden, genetisch veränderte Insekten freizulassen“, sagt er. Aber der Molekularbiologe ist sich sicher, dass sein Weg der richtige ist, er sagt: „Meiner Überzeugung nach sind die Gefahren für die Menschheit größer, wenn wir diese neuen Möglichkeiten nicht nutzen.“

Mehr als vierzig Jahre sind vergangen, seit Wissenschaftler entdeckten, dass man Lebewesen genetisch verändern kann, indem man Gene mit gewünschten Eigenschaften aus einem Organismus nimmt und sie in die Erbinformation eines anderen einbaut. Molekularbiologen nennen dieses Verfahren DNA-Rekombination. Bereits diese Technik verhieß ungeahnte Möglichkeiten. Auf der anderen Seite war den Wissenschaftlern von Anfang an klar, dass sie auf diese Weise unabsichtlich Viren und andere Krankheitserreger von einer Art zur anderen übertragen könnten. So könnten Seuchen entstehen gegen die es keinen natürlichen Schutz und auch keine Therapie gibt – ein Szenario wie aus einem Horrorfilm.

Davor hatte niemand größere Angst als die Wissenschaftler selbst. Im Jahr 1975 trafen sich Molekularbiologen aus der ganzen Welt an der kalifornischen Küste, um über Chancen und Risiken der DNA-Rekombination zu diskutieren und mögliche Kontrollmechanismen einzusetzen. Am Ende der Tagung hatte sich die Gruppe auf eine Reihe von Vorsichtsmaßnahmen geeinigt, darunter ein abgestuftes Sicherheitskonzept für Labore: Je höher das potenzielle Risiko des Experiments, desto strenger müssen auch die Schutzvorschriften sein. Die Tagung ging als „Konferenz von Asilomar“ in die Wissenschaftsgeschichte ein.

Seitdem hat die Gentechnik das Leben von Millionen Menschen verbessert. Diabetiker zum Beispiel spritzten sich früher in der Regel Insulin von Schweinen, um ihren Blutzuckerspiegel zu regulieren. Heute bekommen die meisten menschliches Insulin, das von gentechnisch veränderten Bakterien erzeugt wird. Und optimierte Nutzpflanzen wie Getreide liefern in weiten Teilen der Welt höhere Erträge oder sind widerstandsfähiger gegen manche Schädlinge als die naturbelassenen Sorten.

Viele Menschen stehen der Gentechnik skeptisch gegenüber. In der wichtigen Debatte wiegen Ängste oft schwerer als Fakten.

Während gentechnisch hergestellte Medikamente (auch „weiße Gentechnik“ genannt) in der Bevölkerung allgemein akzeptiert werden, stehen die Menschen gentechnisch veränderten Nutzpflanzen („grüne Gentechnik“) noch immer sehr skeptisch gegenüber. Laut der aktuellen Naturbewusstseinsstudie des Umweltministeriums lehnen 79 Prozent der Deutschen es ab, dass Nutztiere mit gentechnisch veränderter Nahrung gefüttert werden, gut die Hälfte lehnt das sogar strikt ab.

Zwar gibt es eine Fülle von Studien, die nahelegen, dass der Verzehr gentechnisch veränderter Produkte nicht gefährlicher ist als der natürlicher Lebensmittel, trotzdem scheinen in der Debatte diffuse Ängste schwerer zu wiegen als wissenschaftliche Fakten. CRISPR könnte einen Ausweg aus diesem wissenschaftlichen und kulturellen Dilemma weisen. Seit Beginn des Gentechnikzeitalters verwendet man die Begriffe „transgen“ und „gentechnisch verändert“, wenn in einen Organismus bestimmte Gene einer anderen Art eingefügt wurden – ein Prozess, der in der Natur in der Regel nicht vorkommt.

Das CRISPR-Verfahren erlaubt es nun, die Erbinformation einer Art nach Wunsch umzuschreiben, ohne dass man dazu fremde DNA-Schnipsel einschleusen muss. Die neue Methode ist in gewisser Weise natürlicher. Der sogenannte Goldreis zum Beispiel wurde mit artfremden Genen so verändert, dass in den Körnern Vitamin A produziert wird. Ein Prozess, der in der Natur nicht stattfindet. Das Vitamin färbt den Reis goldgelb. Vitamin-A-Mangel lässt jedes Jahr bis zu einer halben Million Kinder in Entwicklungsländern erblinden. Gentechnikgegner verhindern dennoch, dass der Goldreis auf den Markt kommt. Mit CRISPR könnte man die Reissorte nun so programmieren, dass sie auch ohne fremde Gene Vitamin A produziert. Das ist nicht das einzige Projekt, das die Lebensmittelversorgung der Menschheit verbessern soll. In Japan zum Beispiel verlängerten Wissenschaftler die Haltbarkeit von Tomaten, indem sie mit CRISPR einige Gene abschalteten, die den Reifeprozess vorantreiben. In China wurde auf ähnliche Weise eine Weizensorte geschaffen, die resistent gegen den Mehltau ist.

Bauern verändern durch Kreuzungsversuche seit Jahrtausenden das Erbgut von Pflanzen. Mit der CRISPR-Methode läuft die gesteuerte Evolution schneller und präziser ab. In manchen Staaten – unter anderem in Deutschland, Schweden und Argentinien – unterscheiden die Behörden deshalb zwischen gentechnisch veränderten Organismen und solchen Arten, die mit CRISPR modifiziert wurden. Ob die Skeptiker aufgrund dieser Differenzierung ihre Meinung ändern werden, ist offen. Am wahrscheinlichsten ist das wohl bei medizinischen Anwendungen, die das Leid von Patienten verringern können.

In der Krebsforschung hat CRISPR bereits zu Umwälzungen geführt: Man kann heute Tumorzellen im Labor abwandeln und dann verschiedene Wirkstoffe ausprobieren, die ihr Wachstum verhindern sollen. Manche Ärzte sind optimistisch, CRISPR bald unmittelbar zur Behandlung von Krankheiten anwenden zu können. Bluter, also Menschen, bei denen ein Gendefekt verhindert, dass ihr Blut nach Verletzungen gerinnt, könnten zu den Ersten gehören, die von der neuen Technologie profitieren. Entnimmt man blutbildende Stammzellen von Blutern, könnte man ihr Erbgut außerhalb des Körpers mit CRISPR reparieren und die „geheilten“ Zellen reimplantieren, damit sie die kranken Zellen mit der Zeit ersetzen. Die Patienten müssten nicht länger fürchten, schon bei kleinen Wunden zu verbluten.

Auch die Transplantationsmedizin könnte von der Technologie enorm profitieren. Allein in den USA stehen 120.000 Menschen auf den Wartelisten für eine Organverpflanzung. In Deutschland warteten laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation Ende 2013 knapp 11.000 Menschen auf ein Spenderorgan. Jedes Jahr sterben Tausende, ehe ein Herz, eine Niere oder ein Lungenflügel für sie bereitsteht. Diese tödliche Knappheit wäre vorbei, wenn es gelänge, Schweineorgane so zu behandeln, dass man sie in den menschlichen Körper einpflanzen kann. Schweineherz und -lunge haben eine ähnliche Größe wie die Organe des Menschen. Allerdings enthält das Genom eines Schwein auch die DNA von Viren aus der Gruppe des Aids-Erregers (Retroviren), welche nach einer Organverpflanzung menschliche Zellen infizieren könnten.

Bis vor Kurzem schien es nicht möglich, diese Retroviren aus den Schweineorganen zu entfernen. An der amerikanischen Harvard-Universität gelang es dem Molekularbiologen George Church nun jedoch, Nierenzellen von einem Schwein vollständig von viraler DNA zu reinigen. Als er die modifizierten Schweinezellen im Labor mit menschlichen Zellen mischte, wurde keine einzige von diesen infiziert. Außerdem entfernte er mit CRISPR 20 Gene des Schweins, die im menschlichen Immunsystem eine Abstoßungsreaktion auslösen könnten. Eine weitere Vorbedingung für derartige Transplantationen.

Church hat die genetisch veränderten Zellen mittlerweile geklont und lässt sie in Schweineembryonen heranwachsen. Er rechnet damit, dass er in ein bis zwei Jahren erste Operationen durchführen kann – zunächst an Affen. Wenn der Eingriff bei unseren nächsten Verwandten funktioniert und die Organe nicht von ihrem Immunsystem abgestoßen werden, stünde als nächster Schritt die Erprobung beim Menschen an. Church räumt ein, dass solche Experimente mit Gefahren verbunden sind. Aber die einzige Alternative für manche Patienten sei eben oft der Tod. Er ist sich deshalb sicher, zu gegebener Zeit genug Freiwillige zu finden, die sich eine Schweineniere einpflanzen lassen würden.

CRISPR wird künftig nicht nur dazu beitragen, einige Menschen zu retten, das Verfahren könnte ganze Arten vor dem Aussterben bewahren. Eines der am stärksten bedrohten Säugetiere Nordamerikas ist der Schwarzfußiltis. In den vergangenen 50 Jahren waren Biologen schon zweimal sicher, die Art sei ausgestorben – ehe man doch wieder einzelne Exemplare fand. Heute stammen die wenigen Hundert in freier Wildbahn lebenden Schwarzfußiltisse von sieben Tieren ab, die 1981 auf einer Farm in Wyoming entdeckt wurden. Der Population fehlt es an genetischer Varianz. Die generationenlange Inzucht macht die Art anfällig für Krankheiten und gefährdet ihr Überleben.

„Die Iltisse sind ein klassisches Beispiel dafür, wie man mithilfe der Gentechnik eine Spezies retten kann“, sagt Ryan Phelan von der Naturschutzorganisation „Revive & Restore“. Er kooperiert mit dem San Diego Frozen Zoo, einer Einrichtung, die lebende Eizellen, Samen und Embryonen von vielen Tierarten konserviert hat und bewahrt. In der Sammlung findet sich auch Erbmaterial von zwei Schwarzfußiltissen, die nicht mit den Tieren aus Wyoming verwandt sind. Phelan will nun mithilfe von CRISPR dieses konservierte Erbgut in die degenerierte Population einspeisen und so die genetische Variabilität erhöhen. Gleichzeitig will er ein weiteres Problem der Iltisse lösen.

Die wichtigsten Beutetiere der eleganten Jäger sind Präriehunde. Weil diese in den vergangenen Jahren immer öfter an der Pest sterben, haben die Iltisse nicht nur weniger Nahrung, sondern infizieren sich selbst mit den Bakterien, wenn sie Kadaver von Hunden fressen, die an der Pest verendeten. Es gibt zwar einen Impfstoff, und Mitarbeiter der Wildtierbehörde haben schon viele Iltisse gefangen, geimpft und wieder freigelassen. Das reicht aber nicht, um die Art nachhaltig zu schützen.

Eine raffiniertere Lösung schlägt Kevin Esvelt vor, ein Genetiker vom Massachusetts Institute of Technology, der gemeinsam mit dem Molekularbiologen George Church an der Weiterentwicklung der CRISPR- und „Gene Drive“-Methode forscht. Esvelt sieht sich selbst als „Bildhauer der Evolution“. Er will die Schwarzfußiltisse gegen die Pestbakterien immun machen, indem er ihre DNA manipuliert. Dazu will er zunächst das Erbgut der Antikörper, die durch die Impfung entstanden sind, genau analysieren. Hat man dann die Gene identifiziert, die für die Immunität gegen die Bakterien sorgen, müsste man diese in die DNA von Iltissen einbauen. Deren Nachkommen wären so gegen die Pest immun.

Mit einer ähnlichen Methode könne man laut Esvelt auch versuchen, die für den Menschen gefährliche Infektionskrankheit Borreliose auszurotten. Der Erreger ist ein Bakterium, das Zecken von Mäusen auf Menschen übertragen. Wenn es gelänge, einzelne Mäuse mit CRISPR immun gegen Borreliose zu machen, könnte man diese aussetzen und abwarten, bis sich die künstliche Mutation in der Wildpopulation ausbreitet.

Gen-Experimente in der Natur darf man, da sind sich Kevin Esvelt und George Church einig, auf keinen Fall ohne vorangehende öffentliche Debatte durchführen. Außerdem brauche man eine Methode, um so einen Eingriff bei unerwarteten Folgewirkungen wieder rückgängig zu machen. Allerdings sind die beiden bislang eine Antwort darauf schuldig geblieben, wie solche Gegenmaßnahmen aussehen könnten.

Im Februar 2016 kam eine Warnung von ganz anderer Seite. James Clapper, Chef der US-Geheimdienste, schrieb an den Senat, das CRISPR-Verfahren biete auch die Möglichkeit, biologische Massenvernichtungswaffen herzustellen. Zwar wiesen viele Wissenschaftler darauf hin, dass es für Terroristen heutzutage viel einfachere Methoden gebe, Menschen zu töten, als gefährliche neue Viren herzustellen, trotzdem bergen die neuen Möglichkeiten natürlich auch neue Risiken.

Die Frage, welche unbeabsichtigten Folgen die Genmanipulation nach sich ziehen kann, stellen sich auch die beiden Entdeckerinnen des CRISPR-Cas9-Systems immer wieder. Jennifer Doudna ist Professorin für Chemie und Molekularbiologie an der Universität Berkeley in Kalifornien. Ihre ehemalige Kollegin, die Französin Emmanuelle Charpentier, leitet seit gut einem Jahr das Max Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin, wo sie an neuen Behandlungsmöglichkeiten für Krankheiten forscht. Doudna sagt: „Ich bin mir nicht sicher, dass wir genug über das Genom des Menschen oder das anderer Arten wissen, um diese Frage hinreichend zu beantworten.“ Diese Unsicherheit werde die Menschen ihrer Meinung nach aber nicht daran hindern, „die neue Methode zu nutzen und Erbinformationen umzuschreiben“.

Die Technologie ist einfach, die Zutaten sind billig und leicht zu erwerben. Nicht nur Wissenschaftler und Institute werden die Methode einsetzen. Bald wird es wohl auch ambitionierten Laien möglich sein, mit einem CRISPR-Baukasten zu experimentieren. Es ist deshalb unbedingt notwendig, sich Gedanken darüber zu machen, wie man Eingriffe in die genetischen Eigenschaften von Menschen, Tieren und Pflanzen regulieren und unerwünschte Folgen verhindern kann.

Ein Verbot der Methode ist jedoch auch keine Lösung. Dafür ist der Nutzen der neuen Werkzeuge einfach zu groß. Wissenschaftler auf der ganzen Welt forschen an unzähligen Einsatzmöglichkeiten: Mit CRISPR können wir Krankheiten wie Malaria besiegen oder dafür sorgen, dass die knapp zehn Milliarden Menschen, die 2050 auf der Erde leben, satt werden. Aber gerade weil die Möglichkeiten grenzenlos erscheinen, müssen wir diskutieren, an welchem Punkt wir innehalten. Noch ist die Frage ungeklärt, ob man mit CRISPR auch das Erbgut des Menschen verändern darf.

Ein Beispiel sind Kinder, die mit der Tay-Sachs-Krankheit geboren werden: Ihnen fehlt ein lebenswichtiges Enzym, das der Körper braucht, um eine im Gehirn vorkommende Abfallsubstanz abzubauen. Die Krankheit, die zu verminderter Intelligenz, Spastiken und einem frühen Tod führt, ist sehr selten und tritt nur auf, wenn beide Eltern ein defektes Gen an ihr Kind vererben. Mit CRISPR wäre es zum Beispiel möglich, das Erbgut eines Elternteils im Labor zu reparieren und so sicherzustellen, dass das Kind nicht erkrankt. Derartige Eingriffe würden nicht nur einzelne Leben retten, sondern auch dafür sorgen, dass der Gendefekt nach und nach verschwindet.

Die Debatte um CRISPR ist nicht zu trennen von der um Maßnahmen wie künstliche Befruchtung und Präimplantationsdiagnostik, mit denen der Mensch seine eigene Evolution manipuliert. Im Reagenzglas kann man befruchtete Eizellen auf Erbkrankheiten untersuchen und nur gesunde Embryonen in die Gebärmutter von Frauen einpflanzen. All diese Werkzeuge erlauben es dem Menschen darüber zu entscheiden, welche Eigenschaften wünschenswert sind und wann ein Leben als lebenswert gilt. Nicht ohne Grund ist die PID umstritten und in Deutschland nur zulässig, wenn schwere Erbkrankheiten ausgeschlossen werden sollen. Welche Regelungen finden wir für CRISPR?

Im vergangenen Dezember kam die globale Wissenschaftsgemeinde in Washington zusammen und diskutierte die ethischen Implikationen der neuen Methoden. Es wird nicht die letzte Konferenz zu diesem Thema gewesen sein. Klar ist bislang nur: Es gibt keine einfachen Antworten. „Mit ,Gene Drive‘ und CRISPR hat der Mensch eine nie für möglich gehaltene Macht über das Leben erhalten“, sagt zum Beispiel Hank Greely, ein Experte für Rechtsfragen in den Biowissenschaften von der Universität Stanford. „Wir können damit potenziell ungeheuer viel Gutes tun und müssen einen Weg finden, unsere neue Macht weise einzusetzen.“ Dann fügt er hinzu: „Noch haben wir keine Ahnung, wie uns das gelingen soll. Aber wir sollten keine Zeit verlieren, das Problem zu lösen.“

(NG, Heft 08 / 2016, Seite(n) 76 bis 101)

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