Gentechnik: Die zweite Grüne Revolution

Modernes „Supergetreide“ wird vielen Menschen helfen. Doch Bio- und Gentechnik können nicht alle Probleme lösen.

Von Tim Folger
Foto von Craig Cutler

Bei Ramadhani Juma gehen die Manioksträucher ein. „Vielleicht haben sie zu viel Wasser“, sagt er und zupft Büschel welker Blätter aus einer zwei Meter hohen Pflanze. „Oder zu viel Sonne?“ Juma bewirtschaftet an der Ostküste Afrikas einen kleinen Acker in der Nähe von Bagamoyo, einer Ortschaft nördlich von Daressalam in Tansania. Was die Maniokstauden aber tatsächlich umbringt, sind Viren.

Das erfährt Juma von Deogratius Mark, einem Nutzpflanzenforscher aus der Hauptstadt. Mark bricht einige Blätter ab, ein paar Mottenschildläuse schießen davon. Die stecknadelkopfgroßen Insekten übertragen zweierlei Arten von Viren. Die eine schädigt die Maniokblätter, die andere, Braunstreifenvirus genannt, zerstört die stärkehaltigen, essbaren Wurzeln.

Von Viruskrankheiten haben die meisten Bauern hier noch nie gehört. Das erlebt der 28-jährige Mark oft: „Können Sie sich vorstellen“, fragt der junge Experte leise, „was es für Juma bedeutet, wenn ich ihm sage, dass er alle diese Pflanzen mit der Wurzel ausreißen muss?“

Juma hört sich Marks Diagnose aufmerksam an und hebt seine schwere Hacke von der Schulter. Bald hat er eine Wurzel freigelegt. Schwungvoll spaltet er sie – und stöhnt auf: Durch das cremig-weiße Fleisch ziehen sich braune Streifen aus verfaulender Stärke.

Wenn Juma noch so viel retten will, dass er etwas verkaufen und seine Familie ernähren kann, muss er einen Monat früher ernten. Seine Existenz hängt davon ab. „Mihongo ni kila kitu“, sagt er auf Swahili. „Maniok ist alles.“

Die meisten Bewohner Tansanias sind Kleinbauern. In Afrika produzieren Familienbetriebe mehr als 90 Prozent der Nutzpflanzen, Maniok dient dort mehr als 250 Millionen Menschen als Grundnahrungsmittel. Er wächst auch auf kargen Böden, übersteht Hitzewellen und Dürre. Damit wäre Maniok in Afrika die ideale Nutzpflanze für das 21. Jahrhundert, gäbe es nicht die Mottenschildläuse und die Viren, die sie mitbringen – und die sich mit der Klimaerwärmung immer weiter ausbreiten.

Auch die Maniokfelder von Shija Kagembe, einem Nachbarn Jumas, sind in keinem besseren Zustand. Schweigend hört er zu, wie Mark ihm erklärt, was die Viren angerichtet haben. „Wie kannst du uns helfen?“, will er wissen.

Das zu beantworten ist eine der größten Herausforderungen unseres Jahrhunderts. Klimawandel und Bevölkerungswachstum machen das Leben für Juma, Kagembe und andere Kleinbauern immer schwieriger – und für die Menschen, die von dem leben, was sie erzeugen. Im Wettlauf zwischen Bevölkerungswachstum und Lebensmittelversorgung hatten die Menschen bislang noch meist die Nase vorn. Ob das auch im 21. Jahrhundert so bleibt, ist offen. Wenn nicht, droht eine globale Katastrophe. Nach Berechnungen der Vereinten Nationen wird die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2050 um mehr als zwei Milliarden Menschen anwachsen. Die Hälfte von ihnen wird im mittleren und südlichen Afrika geboren werden, weitere 30 Prozent in Süd- und Südostasien. Genau in diesen Regionen ist mit den schlimmsten Folgen des Klimawandels zu rechnen: Dürren, Hitzewellen, Extremwetter.

Im März warnte der Weltklimarat IPCC, die Lebensmittelversorgung der Welt sei gefährdet. „In den vergangenen Jahren hat sich das Wachstum der Erträge – vor allem von Reis, Weizen und Mais – verlangsamt“, sagt Michael Oppenheimer, Klimaforscher an der Universität Princeton und einer der Autoren des Berichts. „In manchen Regionen steigen die Erträge gar nicht mehr. Ich persönlich denke, dass der Kollaps der Lebensmittelversorgung die größte Gefahr ist, die vom Klimawandel ausgeht.“

Vor einem halben Jahrhundert hörte sich die Drohung schon einmal so ähnlich an. Bei einer Tagung der Ford-Stiftung im Jahr 1959 sagte ein Wirtschaftswissenschaftler über den Hunger in der Welt: „Die Aussichten für die nächsten Jahrzehnte sind im besten Fall besorgniserregend. Im schlimmsten Fall beängstigend.“ Neun Jahre später erschien das Buch „The Population Bomb“ („Die Bevölkerungsbombe“, deutsche Ausgabe 1971). Darin prophezeite der Biologe Paul Ehrlich, dass bereits in den siebziger und achtziger Jahren Millionen Menschen verhungern würden, vor allem in Indien.

Bevor diese dunklen Visionen Wirklichkeit werden konnten, veränderte die erste Grüne Revolution die weltweite Landwirtschaft. Der amerikanische Biologe Norman Borlaug erzeugte durch selektive Kreuzung einen Zwergweizen, dessen Energie nicht mehr zum größten Teil in lange Stängel floss, sondern in essbare Körner. Am Internationalen Reisforschungsinstitut auf den Philippinen züchtete man neue Sorten von Reis, dem Getreide, von dem sich fast die Hälfte aller Menschen ernährt.

Bis in die neunziger Jahre verdoppelten sich in Asien die Weizen- und Reiserträge. Die Folge: Obwohl die Bevölkerung des Kontinents um 60 Prozent wuchs, sanken die Getreidepreise, die Asiaten hatten ein Drittel mehr zu essen, der Anteil der Armen halbierte sich. 1970 erhielt Borlaug den Friedensobelpreis. In der Begründung hieß es: „Mehr als jeder andere Mensch seiner Epoche hat er dazu beigetragen, eine hungrige Welt mit Brot zu versorgen.“

TED-Video: The Gene Revolution

Damit das so bleibt, braucht die Welt wieder eine Grüne Revolution. Zwei Konzepte stehen zur Diskussion. Eine Hightech-Variante in der Tradition Norman Borlaugs, ergänzt um moderne genetische Verfahren. Und eine Landwirtschaft, die mehr als heute auf ökologische Zusammenhänge setzt und die abgestimmt ist auf Zigmillionen von Kleinbauern weltweit.

Ein Sprecher der ersten Fraktion ist Robert Fraley vom global operierenden Saatgutkonzern Monsanto. „Die nächste Grüne Revolution wird die Methoden der vorherigen mit einem Turbolader versehen“, sagt er. Die Forscher könnten heute ein breites Spektrum von Pflanzengenen identifizieren und manipulieren, darunter solche für Krankheitsresistenz und Dürretoleranz. Gentechnik werde die Landwirtschaft produktiver und flexibler machen – ein Ansatz, der Monsanto einerseits wirtschaftlich erfolgreich, andererseits aber auch zu einem umstrittenen Unternehmen machte.

Die ersten gentechnisch veränderten Nutzpflanzen wurden vor mehr als 25 Jahren vorgestellt. Sie sind heute in 28 Ländern zugelassen und werden weltweit auf elf Prozent aller landwirtschaftlichen Nutzflächen angebaut, allein in den USA auf der Hälfte aller Felder. Dort sind 90 Prozent der angebauten Mais-, Baumwoll- und Sojapflanzen gentechnisch verändert. Die Amerikaner essen seit fast zwei Jahrzehnten GM-Produkte. Je nach Einstellung zu dieser Methode steht GM für „gentechnisch modifiziert“ oder „manipuliert“. In Europa und großen Teilen Asiens werden GM-Pflanzen bislang kaum angebaut, mögliche Risiken für die Ökologie und die Gesundheit der Verbraucher allerdings kontrovers diskutiert.

Nach Angaben von Fürsprechern wie Fraley haben GM-Nutzpflanzen in den USA Verluste in Milliardenhöhe verhindert und der Umwelt sogar genützt. Laut einer Studie des US-Landwirtschaftsministeriums ist der Pestizideinsatz beim Mais um 90 Prozent zurückgegangen, seit man den Bt-Mais eingeführt hat. Bt steht für Bacillus thuringiensis. Dieser Mais enthält Gene des Bakteriums, die den Maiszünsler und andere Schädlinge abwehren.

Die GM-Pflanzen brachten Monsanto und vielen Bauern hohe Gewinne, weite Teile der Öffentlichkeit ließen sich davon allerdings bisher nicht überzeugen. Ein Grund dafür liegt in der Geschäftspolitik von Monsanto. Der Konzern macht Getreidesorten gentechnisch resistent – „Roundup Ready“ – gegen das firmeneigene Herbizid Roundup (Glyphosat). Die Bauern können das Herbizid also großzügig ausbringen und damit Unkraut beseitigen, ohne ihre GM-Pflanzen – Mais, Baumwolle oder Soja – zu schädigen. Sie müssen allerdings Verträge mit Monsanto unterschreiben, die es ihnen nicht gestatten, Saatgut für eine erneute Aussaat einzulagern. Stattdessen müssen sie das patentgeschützte Saatgut jedes Jahr neu kaufen.

Zwar gibt es bislang keine Belege, wonach Roundup oder „Roundup Ready“-Nutzpflanzen Menschen oder Umwelt schädigen, allerdings mehren sich Beobachtungen, wonach Unkräuter gegen Roundup zunehmend resistent werden. Monsanto steht unter Druck, neue Methoden zur Unkrautbekämpfung zu entwickeln.

Kritiker halten das teure GM-Saatgut sowieso nur für die kostspielige Unterstützung eines längst kaputten Systems, das viel zu sehr auf Kunstdünger und synthetische Pestizide baut. Für Kleinbauern wie Juma in Tansania sind sie meistens unerschwinglich, zudem belasten sie Boden, Wasser und Luft. Für die Erzeugung von Kunstdünger verbraucht man fossile Brennstoffe wie Öl und Kohle, zudem setzen sie selbst Treibhausgase frei, wenn sie auf den Feldern liegen.

„Die Alternative ist klar“, sagt Hans Herren, Direktor der gemeinnützigen Schweizer Organisation Biovision. „Wir brauchen eine Landwirtschaft, die sich viel stärker an der Region und den ökologischen Ressourcen orientiert. Für die nächste Grüne Revolution brauchen wir einen Paradigmenwechsel. Die High-Tech-Land- wirtschaft hat keine Zukunft – wir brauchen etwas anderes.“ Methoden, um Schädlinge fernzuhalten und die Erträge zu steigern, die sich auch für die Jumas dieser Welt eignen. Das schließt allerdings die Gentechnik nicht aus.

IR8, so heisst der Reis, mit dem die erste Grüne Revolution in Asien begann. Ungefähr 60 Kilometer südöstlich von Manila steht der Pflanzengenetiker Glenn Gregorio vom Internationalen Reisforschungsinstitut IRRI und deutet auf ein Feld: „Hier ist er, unser Wunderreis“, sagt Gregorio.

Das IRRI wurde 1960 von der Ford- und der Rockefeller-Stiftung gegründet. Zwei Jahre später begann der Nutzpflanzenforscher Peter Jennings mit einer Reihe von Kreuzungsexperimenten. Sein Arbeitsmaterial bestand aus 10.000 Sorten Reissamen. Durch die achte Kreuzung – zwischen einer Zwergsorte aus Taiwan und einer größeren Sorte aus Indonesien – entstand der schnellwachsende, ertragreiche Stamm, der später als India Rice 8 bekannt wurde, weil er in Indien eine Hungersnot verhinderte. „Er revolutionierte den Reisanbau», sagt Gregorio. „Manche Eltern in Indien haben ihren Söhnen den Namen IR8 gegeben.“

Einen langen Weg entlang reihen sich Reisfelder mit Neuzüchtungen. Das Institut bringt jedes Jahr mehrere Dutzend neue Sorten heraus. Etwa 1000 davon sind bereits weltweit angebaut worden. Die Erträge steigen pro Jahr im Durchschnitt um knapp ein Prozent. „Wir wollen aber zwei Prozent“, sagt Gregorio. Das wäre mehr als die Zunahme der Weltbevölkerung. Die wächst noch mit 1,14 Prozent im Jahr, bis 2050 soll der Anstieg auf 0,5 Prozent zurückgehen.

Das IRRI hat sich jahrzehntelang auf die Verbesserung traditioneller Reissorten konzentriert, deren Felder zur Aussaat unter Wasser stehen. Mit Blick auf den Klimawandel werden jetzt aber auch trockenresistente Sorten angeboten, darunter eine, die – wie Mais und Weizen – nur mit Regenwasser auskommt. Für Länder wie Bangladesch, wo der steigende Meeresspiegel die Reisfelder erreicht, züchtet man Sorten, die Salzwasser vertragen.

Nur wenige Reissorten des IRRI sind gentechnisch verändert, und keine davon ist bisher auf dem Markt. Eine hat jedoch bereits große Debatten ausgelöst: der „Goldene Reis“. Die Sorte enthält Gene vom Mais und produziert Carotin. Der Reis soll helfen, die Menschen in vielen Regionen besser mit dem lebenswichtigen Vitamin A zu versorgen.

Die Kreation von GM-Sorten sei für das IRRI nur die letzte Möglichkeit, wenn man eine gewünschte Eigenschaft nicht im Reis selbst finde, sagt Institutsdirektor Robert Zeigler. Dennoch hat die moderne Genetik das Züchtungsprogramm enorm beschleunigt. Jahrzehntelang arbeiteten die Züchter des IRRI geduldig nach dem alten Rezept: Sie wählten Pflanzen mit einer gewünschten Eigenschaft aus, bestäubten sie über Kreuz, warteten, bis die Nachkommen herangereift waren, wählten die mit der besten Leistung aus und wiederholten das Ganze. Wieder und wieder. Doch seit 2004 ist das gesamte Reisgenom mit seinen rund 40.000 Einzelgenen bekannt. Jetzt können Wissenschaftler gezielt nach Genen suchen, die den Pflanzen nützliche Eigenschaften verleihen und sie bei Kreuzungen fördern. So entstand zum Beispiel die überflutungsresistente Sorte Swarna-Sub1.

Die Nutzpflanzenforscherin Pamela Ronald von der Davis-Universität in Kalifornien hatte 2006 aus einer ostindischen Reissorte das Gen Sub1 isoliert. Diese Linie wird wegen ihrer niedrigen Erträge heute kaum noch angebaut, hat aber eine bemerkenswerte Eigenschaft: Der Reis übersteht sogar eine zweiwöchige Überflutung. Die meisten anderen Sorten sterben schon nach drei Tagen unter Wasser ab.

Die Wissenschaftler am IRRI bestäubten den Sub1-Reis mit Pollen einer ertragreichen, aromatischen Sorte namens Swarna, die in Indien und Bangladesh beliebt ist. Anschließend fanden sie mit speziellen Genmarkern heraus, welche Sprösslinge das Sub1-Gen geerbt hatten. Das Verfahren ist präzise und spart Zeit: Bei markerunterstützter Kreuzung braucht man nicht zu warten, bis die Pflanzen ausgewachsen sind, um zu schauen, welche wie lange unter Wasser überleben.

Die Sorte Swarna-Sub1 wird in Asien mittlerweile von fast vier Millionen Bauern angebaut. Eine aktuelle Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass die Bauern in 128 Dörfern des indischen Bundesstaates Odisha am Golf von Bengalen ihre Erträge damit um mehr als 25 Prozent steigern konnten. Den relativ größten Nutzen hätten dabei die ärmsten Kleinbauern gehabt, erklärt Zeigler: „In Indien gibt man den untersten Kasten das schlechteste Land, und in Odisha sind die schlechtesten Flächen stark überflutungsgefährdet. Jetzt beschert High-tech-Pflanzenzüchtung den Ärmsten der Armen einen überschwemmungstoleranten Reis. Ich finde, das ist eine tolle Geschichte.“

Das ehrgeizigste Projekt des Instituts hat das Ziel, den Reis grundlegend umzugestalten und damit den Ertrag noch einmal zu steigern. Reis, Weizen und viele andere Pflanzen betreiben eine Form der Fotosynthese, die man C3 nennt, weil das aufgenommene Sonnenlicht über ein Zwischenprodukt mit drei Kohlenstoffatomen in Pflanzenmasse umgesetzt wird. Mais, Zuckerrohr und einige andere Nutzpflanzen betreiben eine C4-Photosynthese. Solche Arten brauchen weniger Wasser und Stickstoff als C3-Pflanzen, „und in der Regel liegen ihre Erträge um 50 Prozent höher“, sagt William Paul Quick vom IRRI. Er will Reis – von Natur aus eine C3-Pflanze – gentechnisch zu einer C4-Pflanze machen.

Während aber die Überflutungstoleranz des Sub1-Reises durch ein einziges Gen gesteuert wird, braucht man für die C4-Photosynthese viele neue Gene, und die alle einzuschleusen ist schwierig. Andererseits, sagt Quick, „ist sie in der Evolution bei 62 Arten unabhängig entstanden. Es müsste also machbar sein.“ 15 Jahre werde es aber wohl dauern, „die Photosynthese beim Reis so umzuprogrammieren, dass sie funktioniert wie beim Mais. Wir sind jetzt im vierten Jahr.“ Gelingt das Vorhaben, könnte man mit der Methode vielleicht auch die Produktivität anderer C3-Pflanzen wie Kartoffeln und Weizen steigern – theoretisch um 50 Prozent.

Wegen solcher Aussichten ist Zeigler, der sich selbst als „Altlinken“ bezeichnet, ein Anhänger der Gentechnik. Seiner Ansicht nach geht in der Kontroverse vieles durcheinander. „In den sechziger Jahren sind viele von uns in die Gentechnik gegangen, weil wir glaubten, wir könnten der Welt damit Gutes tun“, sagt er. „Die heutige Umweltbewegung diskutiert oft am Thema vorbei. Wenn wir darüber sprechen wollen, welche Rolle Großkonzerne für die Lebensmittelversorgung spielen – bitte sehr, das ist wirklich wichtig. Aber es ist eine andere Diskussion als die, ob wir Genetik zur Verbesserung unserer Nutzpflanzen anwenden sollen. Beide Fragen sind von Bedeutung, aber man sollte die Kritik an den Großkonzernen von der an der Gentechnik an sich trennen.“

Gentechnik oder ökologisch angepasste Landwirtschaft – welches Konzept ist für die Bauern in Afrika richtig? Das Braunstreifenvirus, sagt der Genetiker Nigel Taylor vom amerikanischen Donald Danforth Plant Science Center, könne durch die Vernichtung des Maniok eine neue Hungersnot heraufbeschwören. „Weil die Temperaturen steigen, breitet sich die Mottenschildlaus weiter aus», sagt er. „Wenn das Virus, das sie überträgt, die großen Maniok-Anbaugebiete in Westafrika erreicht, bekommen wir eine richtig große Lebensmittelkrise.“

Deshalb will Taylor Maniok gentechnisch gegen das Braunstreifenvirus immun machen. Er bepflanzt mit afrikanischen Kollegen ein Versuchsfeld in Uganda, ein zweites Freilandprojekt läuft in Kenia. Den kommerziellen Anbau gentechnisch veränderter Nutzpflanzen erlauben derzeit aber nur vier afrikanische Staaten: Ägypten, Sudan, Südafrika und Burkina Faso.

In Afrika – wie in anderen Teilen der Welt – fürchten viele Menschen GM-Pflanzen, obwohl es keine wissenschaftlichen Belege für schädliche Folgen gibt. Schwerer wiegt das Argument, dass High-Tech-Sorten kein Allheilmittel sind, um die Ernährungsprobleme einer wachsenden Weltbevölkerung zu lösen. Viele kritisieren zudem, dass GM-Pflanzen vor allem den Interessen der industriellen Landwirtschaft dienten.

Gentechnisch veränderte Pflanzen garantieren aber keinen Nutzen auf Dauer. Der Maiswurzelbohrer zum Beispiel, eine Käferart, ent- wickelt in den USA zunehmend Resistenzen gegen die Abwehrstoffe im Bt-Mais. Der Insektenforscher Aaron Gassmann in Iowa sieht bereits das Ende für die Bt-Technik. Eine Ursache sei, dass viele Farmer die Vorschrift ignorierten, auch Felder mit gentechnisch unverändertem Mais anzulegen – als Vermehrungsgebiet für nicht resistente Wurzelbohrer. Die sollten eigentlich verhindern, dass die Bt-resistenten Artgenossen sich ausbreiten.

In Tansania gibt es gar keine GM-Pflanzen. Dafür steht das Land heute weltweit an vierter Stelle bei der Anzahl zertifizierter Biobauern. Einen wesentlichen Anteil daran hat Janet Maro.

Maro wuchs als fünftes von acht Kindern auf einer Farm nicht weit vom Kilimandscharo auf. Als junge Studentin an der Landwirtschaftshochschule in Morogoro wirkte sie 2009 an der Gründung der Organisation Sustainable Agriculture Tanzania mit. Sie und ihr kleines Team bilden heute einheimische Bauern in biologischer Landwirtschaft aus.

Morogoro liegt westlich von Daressalam am Fuß des Uluguru-Gebirges. Maro will mir dort drei der ältesten Biohöfe Tansanias zeigen. „Vertreter der großen Konzerne sieht man hier nie“, sagt sie, während wir uns in einem Pick-up die steile, unbefestigte Straße hinaufquälen.

Alle 500 Meter kommen wir an Frauen aus der Volksgruppe der Luguru vorbei. Sie balancieren Körbe mit Maniok, Papayas oder Bananen auf dem Kopf. In Morogoro ist Markttag. Schließlich hält Maro vor einem kleinen Backsteinhaus mit Wellblechdach. Habija Kibwana, eine große Frau mit kurzärmeliger weißer Bluse und Wickelrock, lädt uns auf ihre Veranda ein.

Anders als Juma und die Bauern von Bagamoyo bauen Kibwana und ihre Nachbarn eine Vielzahl von Nutzpflanzen an: Jetzt ist Saison für Bananen, Avocados und Passionsfrüchte. Bald werden sie Möhren, Spinat und andere Blattgemüse aussäen, alles für den regionalen Bedarf. Die Vielfalt gibt Sicherheit, falls bei einer Pflanzenart eine Missernte eintritt. Die Bauern denken strategisch: Sie säen Reihen von Tithonia diversifolia aus, einer wilden Sonnenblume, die Mottenschildläuse anzieht und vom Maniok ablenkt. Seitdem sie wieder Kompost statt Kunstdünger auf die Felder bringen, hat sich die Bodenqualität verbessert, der Ertrag erhöht. Außerdem verunreinigt das von den Feldern abfließende Wasser nicht mehr die Bäche, die dem Ort das Trinkwasser liefern.

Die wohl bedeutsamste Folge der biologischen Landwirtschaft für die Bauern ist, dass sie jetzt schuldenfrei sind. Selbst mit Subventionen kosten Düngemittel und Pestizide umgerechnet mehr als 200 Euro für einen halben Hektar – kaum aufzubringen in einem Land, in dem das Durchschnittseinkommen bei rund 1200 Euro im Jahr liegt. „Wenn wir früher Dünger kaufen mussten, hatten wir kein Geld mehr, um unsere Kinder in die Schule zu schicken“, sagt Kibwana.

Von ihrer Veranda aus sieht man die üppigen, terrassenförmig angelegten Felder der Biobauern – aber auch auf Abhänge, die von den braunen, erodierten Feldern der konventionell arbeitenden Bauern verunstaltet sind. Die legten zumeist keine Terrassen an, um den kostbaren Boden zu halten. Bisher. Mittlerweile holen sie sich Rat bei Kibwana und Paulini. Die biologische Landwirtschaft breitet sich aus. Langsam.

Also was nun? Lowtech oder Hightech? Bio oder GM? Die Antwort ist: Beides. Je nachdem. Es gibt mehr als einen Weg, um die Erträge zu steigern oder der Mottenschildlaus Einhalt zu gebieten. „Biologische Landwirtschaft kann in manchen Regionen der richtige Ansatz sein“, sagt der Monsanto-Manager Mark Edge. „Wir halten GM-Nutzpflanzen in Afrika keineswegs für die Lösung aller Probleme.“ IRRI-Direktor Robert Zeigler sieht das ähnlich: Seit der ersten Grünen Revolution habe der ökologische Landbau parallel zur Genetik große Fortschritte gemacht. Das IRRI nutze beide Konzepte. „Sehen Sie die Reiher?“, fragt er. Vor seinem Büro landet ein ganzer Schwarm in den Reisfeldern. „Vor 25 Jahren hat man hier keine Vögel gesehen. An den Pestiziden, die wir damals benutzt haben, sind Vögel und Schnecken und alles andere krepiert. Dann haben wir die ökologischen Strukturen auf den Reisfeldern erforscht. Es gibt dort komplizierte Nahrungsnetze, und wenn man die zerstört, kommt es zu Seuchen. Wir haben gelernt, dass man meistens keine Pestizide braucht. Reis ist eine zähe Pflanze. Man kann ihm Resistenzen gentechnisch einbauen oder hineinzüchten. Heute haben wir ein reichhaltiges Ökosystem, die Erträge sind nicht gesunken. Schauen Sie auf die Reiher“, schließt er seinen Vortrag. „Manchmal sind es an die hundert. Ein wunderschöner Anblick.

Das zeigt: Es kann auch besser werden.“

(NG, Heft 10 / 2014, Seite(n) 128 bis 155)

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