Warum Grönland auf den Klimawandel hofft

Auf Grönland wird es allmählich wieder so warm wie zu jenen Zeiten im Mittelalter, als die Wikinger sich dort ansiedelten. Die Bewohner träumen von blühenden Landschaften – und vom Erdöl aus einem eisfreien Meer.

Von Tim Folger
Foto von Peter Essick

An einem steilen Abhang leuchtet ein sauber geschnittener Rasen. Hinter einem Rhabarberbeet recken sich Fichten, Tannen, Pappeln und Weiden. Nichts Besonderes? Hier schon. Der Garten von Kenneth Høegh liegt über einem von Eisbergen verstopften Fjord. Wir sind in Qaqortoq, einem Ort auf 60° 43' nördlicher Breite, nur rund 650 Kilometer südlich des Polarkreises.

„Letzte Nacht hatten wir Frost“, sagt Høegh, als wir an einem warmen Vormittag im Juli 2009 durch seinen Garten gehen. Wir inspizieren seine Pflanzen, und die Stechmücken inspizieren uns. Unten glitzert der Hafen von Qaqortoq saphirblau in der Sonne. An der Kaimauer ist ein kleiner Eisberg angetrieben. Bunt gestrichene Häuser aus importierten Holzschindeln sprenkeln die Granithänge, die den Hafen wie ein Amphitheater ringsum überragen.

Høegh könnte als Wikinger durchgehen: ein kräftig gebauter Mann mit rötlich blonden Haaren und sauber gestutztem Bart. Er ist Landwirtschaftsexperte und war früher Berater des grönländischen Landwirtschaftsministeriums. Seine Familie lebt seit mehr als 200 Jahren in Qaqortoq. Am Rand des Gartens bleibt er stehen und schaut unter eine weiße Plastikplane. Sie schützt ein Beet mit Rübsen, einer Öl- und Futterpflanze, die er einen Monat zuvor hier gesät hat.

„Unglaublich!“ Høegh strahlt. Die Blätter der Pflanzen strotzen in einem gesunden Grün. „Zuletzt habe ich vor drei oder vier Wochen nach ihnen gesehen. Gewässert habe ich den Garten das ganze Jahr noch nicht. Er hat nur Regen und Schmelzwasser bekommen. Das ist wirklich erstaunlich. Wir können schon ernten.“

Ein Sommermorgen mit reifen Rübsen wäre anderswo keine große Sache. Doch in einem Land, das zu 80 Prozent unter einer zum Teil dreieinhalb Kilometer dicken Eisschicht liegt und in dem manche Menschen noch nie einen Baum angefasst haben, ist das ungewöhnlich. Grönland erwärmt sich doppelt so schnell wie die meisten anderen Teile der Welt. Satellitenmessungen haben ergeben, dass die Eisdecke der Insel, in der fast sieben Prozent der weltweiten Süßwasservorräte gebunden sind, jedes Jahr um rund 200 Kubikkilometer schrumpft.

Die Eisschmelze beschleunigt die Erwärmung sogar noch, denn die freigelegten Wasser- und Landflächen absorbieren Sonnenlicht, das früher vom Eis in den Weltraum reflektiert wurde. Sollte das Grönlandeis in den kommenden Jahrhunderten völlig abtauen, wird der Meeresspiegel um sieben Meter ansteigen, und weltweit würden die heutigen Küsten überschwemmt.

Auf Grönland selbst wird die Angst vor dem Klimawandel häufig von großen Erwartungen in den Schatten gestellt. Bisher ist die selbstverwaltete, aber zu Dänemark gehörende Insel noch stark auf den ehemaligen Kolonialherrn angewiesen. Dänemark pumpt jedes Jahr umgerechnet rund 450 Millionen Euro in die grönländische Wirtschaft, mehr als 8000 Euro pro Kopf der dortigen Bevölkerung. Doch die arktische Eisschmelze ermöglicht allmählich den Zugang zu Öl, Gas und anderen Bodenschätzen, mit denen Grönland die sehnlich erwünschte finanzielle und politische Unabhängigkeit erlangen könnte. Vor den Küsten soll etwa halb so viel Öl im Boden lagern, wie die Ölfelder der Nordsee liefern. Höhere Temperaturen würden den bisher rund 50 Bauernhöfen eine längere Wachstumssaison bescheren und die Abhängigkeit von Lebensmittelimporten verringern. Manchmal ist es, als würde die ganze Insel nur darauf warten, dass „Grönland wirklich wieder grün wird“, wie Zeitungen mit schöner Regelmäßigkeit ankündigen.

Für Geschichtsschreiber interessant war Grönland das erste Mal vor etwa tausend Jahren: 982 landete der Isländer Erik der Rote mit einer kleinen Mannschaft von Nordmännern, auch Wikinger genannt, in einem Fjord nicht weit vom heutigen Qaqortoq. In seiner Heimat berichtete er später von dem Land, das er entdeckt hatte. Der Sage nach nannte er es Grünland, weil er glaubte, die Menschen würden es dann anziehender finden. Eriks plumpe Reklame zeigte Wirkung: Bald hatten sich rund 4000 Wikinger auf Grönland niedergelassen. Heute erinnert man sich an sie meist als ein kriegerisches Volk, doch eigentlich waren sie Bauern, die nur nebenbei noch ein wenig plünderten, brandschatzten und Amerika entdeckten.

An den geschützten Fjorden im Süden und Westen Grönlands züchteten sie Schafe und ein paar Rinder – was die Bauern bis heute entlang genau derselben Fjorde tun. Die Wikinger bauten Kirchen und Bauernhöfe. Dafür tauschten sie Robbenfelle und Walrosselfenbein gegen Bauholz und Eisen aus Europa. Die Siedlungen der Nordmänner auf Grönland bestanden länger als 400 Jahre. Dann wurden sie mehr oder weniger über Nacht aufgegeben.

Ihr Verschwinden verdeutlicht auf beunruhigende Weise, welche Gefahr der Klimawandel selbst für gefestigte Kulturen mit sich bringen kann. Die Wikinger besiedelten Grönland in einer ungewöhnlich warmen Phase: In Europa blühte die Landwirtschaft auf, und es war die Zeit, in der große Kathedralen erbaut wurden. Von 1300 an wurde es aber wieder kälter – und das Leben auf Grönland immer schwieriger.

Lesen Sie den kompletten Artikel in der Ausgabe 07/2010 von NATIONAL GEOGRAPHIC DEUTSCHLAND.

(NG, Heft 7 / 2010)

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