Wohin fließt Deutschlands Wasser?

Wassermangel war in Deutschland bislang kein Problem, doch inzwischen muss sich auch dieses Land mit steigenden Temperaturen und weniger Niederschlag auseinandersetzen.

Von Jon Heggie
Wohin fließt Deutschlands Wasser?
Der deutsche National Geographic Fotograf Florian Schulz erforscht Deutschland, um herauszufinden, wie sein Land trotz der herausragenden Geschichte der Wasserwirtschaft von Knappheit betroffen ist.

Wo früher ein dichter Wald stand, herrscht jetzt in der Nähe des Harzes in Mitteldeutschland nur noch Ödnis. Vielerorts wurden Baumstämme auf den kahlen Flächen aufgestapelt, der Boden ist bedeckt von einer dicken Schicht trockener Kiefernnadeln, aus der Baumstümpfe und tote Äste herausragen. Hier und da stehen noch ein paar skeletthaft anmutende Bäume, die nackt und rötlich-braun verfärbt die letzten Zeugen der Apokalypse darstellen. Schon im Jahr 2018 herrschte in Deutschland Wassermangel und auch das Jahr 2019 verlief nicht besser. Deutschlands Bäume sind ausgetrocknet – und sterben.

In der Vergangenheit musste Deutschland sich nie mit dem Thema Wasserknappheit auseinandersetzen. Dank des gemäßigten Klimas und einem jährlichen Durchschnittsniederschlag von 570mm beliefen sich die Süßwasserressourcen immer auf rund 188 Milliarden Kubikmeter. Man brauchte nur den Hahn aufzudrehen und hatte mehr als genug Trinkwasser zur Verfügung. Ein Großteil des Wassers wird nicht nur in den Haushalten verbraucht, sondern wird in die Fabriken gepumpt, um dort Maschinen zu kühlen. Außerdem werden Feldfrüchte gepflanzt und der Regen lässt sie wachsen. Viele große Flüsse wie der Rhein, die Donau und die Elbe durchziehen das ganze Land und erlaubten es Deutschland, eines der bestausgebauten Wasserstraßennetzwerke Europas zu entwickeln. Der konstante Nachschub an Wasser versorgt Haushalte, Wasserkraft, die Industrie, Landwirtschaft und artenreiche Ökosysteme wie Moore und Wälder.

Deutschland hat es sogar geschafft, den täglichen Pro-Kopf-Wasserverbrauch auf 121 Liter zu senken. Doch das alles ändert sich gerade massiv.

„Die Zukunft klopft an unsere Tür“, sagt Maria Krautzberger, Präsidentin des Umweltbundesamtes. „Deutschland steckt schon mitten in der globalen Erwärmung.“ Überall in Deutschland machen sich bereits die Auswirkungen des Klimawandels mit steigenden Temperaturen, Hitzewellen und Dürren bemerkbar.

Die letzten Jahre waren heißer und trockener als üblich in Deutschland. Aktuelle Prognosen gehen davon aus, dass die Durchschnittstemperatur in weniger als 150 Jahren um rund 1,5°C angestiegen ist, und davon 0,3°C allein in den letzten fünf Jahren. Dazu trugen auch die beiden extrem heißen und trockenen Sommer der Jahre 2018 und 2019 bei. April bis Juli 2018 war der wärmste je gemessene Zeitraum seit Beginn der Aufzeichnungen, und die Temperaturen erreichen vielerorts nie gekannte Spitzenwerte. Im Mai wurde das Land von einer schweren Dürre heimgesucht und bis zum August litten rund 90% des Landes unter Wasserknappheit.

2019 wurde Deutschlands Wasserproblem dann durch die geringen Niederschläge im Winter und Frühling noch verschärft. Zusätzlich folgte ein weiterer Sommer, der von hohen Temperaturen und wenig Regen geprägt war. In einigen Gegenden trocknete der Boden bis in eine Tiefe von zwei Metern aus und die Wasserstände von Seen und Stauseen fielen signifikant ab. Einige Flüsse wurden durch zu wenig Wasser unpassierbar – so fiel der Wasserstand der Elbe um mehr als 50 Zentimeter in gerade einmal drei Tagen.

In ganz Deutschland werden Dürreperioden heftiger und treten öfter auf. Während der letzten zehn Jahre hat die zunehmende Trockenheit den Spiegel des Grundwassers – das Wasser, das natürlicherweise unterirdisch gespeichert ist – abgesenkt, was Auswirkungen auf Versorgung der Gemeinden und Ökosysteme hat. In den letzten beiden Jahren hätten die Wälder rund 200 Liter Wasser pro Quadratmeter mehr gebraucht – so trocken war es seit 50 Jahren nicht mehr.

Deutschlands Wälder sind durstig. In den letzten paar Jahren ist der Grundwasserspiegel auf den niedrigsten Stand der letzten fünf Jahrzehnte gesunken. Diese Trockenheit hat zum Absterben von über einer Million Bäume beigetragen.
Foto von Florian Schulz

Diese veränderten Umweltbedingungen trugen zum Tod von über einer Million Bäume auf über 110.000 Hektar Wald seit 2018 bei. Die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft Julia Klöckner geht davon aus, dass mindestens weitere 180.000 Hektar bedroht sind: In der dicht bewaldeten Region um Lüdenscheid im Sauerland sanken die Niederschläge von 2017 auf 2018 um die Hälfte.

Bäume brauchen Wasser zum Überleben. Durch winzige Poren in den Blättern wird Wasser an die Umgebungsluft abgegeben und diese Verdunstung müssen Stamm und Äste ausgleichen. Mithilfe von Sonnenenergie spaltet der Baum Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff auf. Der Sauerstoff wird an die Luft abgegeben, der Wasserstoff wird für die Glukoseumwandlung benötigt. Weniger Wasser im Boden hat eine begrenzte Umwandlung von Zucker zur Folge, was das Wachstum des Baumes hemmt. Außerdem verursacht das Wasserungleichgewicht dem Baum sogenannten Trockenstress. Hält sich dieser in Grenzen, wächst der Baum nur langsamer, doch bei mehr Trockenstress stirbt zunehmend Gewebe ab. Wird der Trockenstress zu groß, tötet das den Baum. Das kann oft bei Bäumen nachgewiesen werden, die infolge einer Dürre abgestorben sind.

Doch selbst nach dem Ende einer Trockenperiode erholen sich Bäume nur langsam. Sie sind geschwächt und damit deutlich anfälliger für Schädlinge und Krankheiten, wodurch sie unter Symptomen leiden, die vielleicht erst Jahre später sichtbar werden. So wurden beispielsweise die deutschen Fichten vom Borkenkäfer befallen, der sich zu Tausenden unter die Rinde bohrt. Normalerweise verhindern Baumsäfte und Harz eine Ausbreitung des Schädlings, doch eine Dürre kann den Baum so trocken und hilflos zurücklassen, dass er den Befall nur wenige Wochen überlebt. Wenn Dürren regelmäßig auftreten, könnte sich der Borkenkäfer noch weiter ausbreiten und viele der Fichten vernichten, die etwa 25 Prozent des deutschen Forsts ausmachen.

Und nicht nur die Wälder sind bedroht, auch die Landwirtschaft leidet. Während der vergangenen 50 Jahre ist die Wasserverfügbarkeit im Boden für Feldfrüchte und Weideland stetig gesunken. Im Jahr 2018 meldeten einige Landwirte bis zu 50 Prozent Ausfall bei der Maisernte durch die anhaltende Trockenheit. In Niedersachsen verzeichneten die Bauern einen Verlust von 22 Prozent. Ein neuerer Bericht zeigte, dass Hitze und Dürre 2018 einen Schaden von rund 700 Millionen Euro in der Landwirtschaft anrichteten.

Auch auf die Industrie und den Handel wirkt sich diese Situation aus, wenn Schiffe bei Niedrigstand nicht mehr über die deutschen Flüsse fahren können und Fabriken und Kraftwerken enorme Mengen an Kühlwasser fehlen.

BELIEBT

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    Ein unzureichender Feuchtigkeitsgehalt des Bodens macht Deutschlands Bäume anfällig für Borkenkäferbefall wie den des Fichtenholzstechers. Bäume mit Wasserstress sind nicht in der Lage, genügend Saft und Harz zu bilden, um eine angemessene Verteidigung zu bilden.
    Foto von Florian Schulz

    Hochrechnungen gehen im Moment eher von einer Verschlimmerung aus. Laut Tobias Fuchs, dem Leiter der Klima- und Umweltberatung im Deutschen Wetterdienst (DWD), könnte sich die durchschnittliche Lufttemperatur in Deutschland noch vor Ende des Jahrhunderts um bis zu 4,7°C erhöhen. Heiße Tage und Hitzewellen steigern den Wasserbedarf und begünstigen die Oberflächenverdunstung von Gewässern. Zusammen mit vielen trockenen Tagen und anschließenden heftigen Regenfällen, die aber nur schlecht gespeichert und verwertet werden können, scheint selbst das wasserreiche Deutschland nun Wege zum Wassersparen finden zu müssen, um seinen Bedarf auch in Zukunft decken zu können.

    Bundesweite Projekte müssen nun verschiedene Möglichkeiten erarbeiten, um größere Wasserspeicher anzulegen und mehr Wasser in der Natur erhalten zu können. Außerdem müssen die Privathaushalte ihren Wasserverbrauch durch effizientere Systeme und ein verändertes Konsumverhalten weiter senken. So könnten sich schon kürzere Duschvorgänge und der Verzicht auf das Vorspülen von Geschirr positiv auswirken.  

    Zur großflächigen Wiederaufforstung wurden bereits Mittel zugesagt, und idealerweise sieht diese auch eine größere Vielfalt an Arten vor, die nicht nur mit kalten Wintern, sondern auch mit trockenen Sommern zurechtkommen. Deutschland wird seine Wälder sicher nicht abschreiben, aber eine einfache Lösung ist nicht in Sicht. Stattdessen gilt es, einen Schritt nach dem anderen zu tun, um den Klimawandel zu stoppen. Wenn der aktuelle Trend sich fortsetzt und die jährliche Niederschlagsmenge unter 400 Millimeter sinkt, könnten die Wälder in Teilen Deutschlands ernsthaft bedroht sein. Für ein Land, das sich traditionell mit seinem Wald identifiziert, wären die physischen und kulturellen Folgen verheerend – Trockenstress könnte also für weitaus mehr das Ende bedeuten als nur für Deutschlands Bäume.

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