Die Macht des Mondes

Wie er entstand, was er bewirkt – und warum wir ohne ihn nicht leben können: Ohne den Mond würde ein Erdentag nur acht Stunden dauern. Es gäbe heftige Stürme, ein instabiles Klima. Die Entwicklung des Lebens wäre vermutlich ganz anders verlaufen.

Von Tanja Krämer
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:25 MEZ

Der Weg ins Herz der deutschen Mondforschung führt über einsame Landstraßen und durch dichte Wälder.

Hier, im Nirgendwo zwischen Göttingen und Hannover, liegt Katlenburg-Lindau, ein Ort mit etwa 7200 Einwohnern – und Sitz des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung. Der flache Siebziger-Jahre-Bau mit den orangefarbenen Fassaden duckt sich zwischen Wiesen und Feldern, ein architektonischer Fremdkörper mitten in beschaulicher Landschaft.

Einige der besten Weltraumforscher Deutschlands arbeiten hier. Zusammen mit amerikanischen, europäischen und russischen Wissenschaftlern koordinieren sie Missionen wie „Galileo“, bauen Raumsonden und entwickeln in hauseigenen Werkstätten winzige, superleichte Messgeräte in hitzebeständiger Verpackung, die Daten aus dem Weltall zur Erde schicken. Immer wieder beschäftigen sie sich auch mit dem nächsten aller Himmelskörper: unserem Mond.

Seit je hat der Mensch eine ganz besondere Beziehung zu dem Erdtrabanten. In vielen Kulturen wurde er als Gott oder Göttin verehrt, andere feiern ihn noch heute mit Festen: Chinesen, Südkoreaner und Japaner etwa treffen sich jedes Jahr am 15. Tag des achten Mond-Monats im Kreis der Familie, essen Reiskuchen und bewundern die bleiche Kugel am Himmel. Der Mond zieht auch in Deutschland und Europa viele Menschen in seinen Bann. Manche glauben, dass bei Vollmond mehr Kinder geboren werden. Andere sind überzeugt, es gebe dann mehr Unfälle. Wieder andere klagen, bei Vollmond nicht schlafen zu können.

Eine Umfrage aus dem Jahr 1999 ergab: Mehr als die Hälfte der Deutschen glauben, ihre Stimmungslage sei von den Kräften dieses Himmelskörpers abhängig. Immerhin zehn Prozent denken, der Mond beeinflusse ihre Gesundheit. Manche gehen noch weiter – und richten mithilfe spezieller Mondkalender ihren Alltag nach den Rhythmen des Mondes aus.

Auch Ulrich Christensen schaut nachts gern zum Mond. Seit seiner Kindheit, als er Science-Fiction-Romane verschlang, ist der Mann mit dem struppigen Bart und der altmodischen Metallbrille vom Weltraum fasziniert. Heute ist er Direktor des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung – und Experte in Sachen Mondforschung. Von seinem Büro aus hat er eine phantastische Aussicht über die einsamen Felder, es ist ein idealer Ort für abendliche Blicke zum Himmel. «Der Mond ist ein faszinierender Himmelskörper – für mich persönlich, aber auch wissenschaftlich», sagt Christensen.

Seit am 21. Juli 1969 nach dreitägiger Reise mit der Rakete „Apollo 11“ der erste Mensch den Mond betrat, ist das Gestirn auf alle erdenklichen Arten untersucht und vermessen worden. 382 Kilo Mondgestein haben amerikanische Astronauten in mehreren Missionen zur Erde gebracht. Dutzende Sonden schickten Bilder, Infrarot-Messungen und Daten aus Massenspektrometern zur Erde – für die Labors von Nasa, European Space Agency (Esa) und das Max- Planck-Institut in Katlenburg-Lindau. Was die Forscher entdeckten, wirft nicht nur ein neues Licht auf den Mond selbst. Es zeigt auch, wie groß sein Einfluss auf die Erde war – und heute noch ist. «Unter den erdähnlichen Planeten ist unser Erde-Mond-System etwas ganz Besonderes», sagt Christensen. «Kein anderer Planet hat einen im Vergleich zum Mutterkörper so großen Begleiter. Ohne ihren Trabanten wäre unsere Erde nicht das, was sie ist.»

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BELIEBT

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    Foto von Stocktrek Images/Getty Images

    Schon die Geburt des Himmelskörpers zeugt von der engen Bindung zwischen Mond und Erde. Nach heute gängiger Theorie entstand er, als ein marsähnlicher Protoplanet mit der Erde kollidierte. Die Wucht des Aufpralls war so groß, dass Gestein von beiden in den Orbit geschleudert wurde. Dort formte sich dann der heutige Mond. Kaum war er entstanden, nahm er Einfluss auf den Mutterplaneten.

    «Viele Menschen wissen, dass die Anziehungskräfte von Erde und Mond Ebbe und Flut auslösen», sagt Christensen mit kräftiger Stimme, bei deren Klang man sich gut vorstellen kann, wie er Studenten geduldig die komplizierte Materie der Planetenforschung nahebringt. «Nur wenigen ist aber klar, dass die Gezeitenreibung, die dabei entsteht, auch dazu beiträgt, die Erdrotation zu verlangsamen.» Über Jahrmillionen bremste der Mond die Bewegungen der Erde immer stärker ab. «So wird der Erdentag jedes Jahr drei oder vier Millisekunden länger.»

    Gleichzeitig hat die Anwesenheit des Mondes auch die Neigung der Rotationsachse unseres Planeten stabilisiert. Sie beeinflusst maßgeblich die Jahreszeiten. Christensen holt ein grapefruit- großes Erdmodell aus Styropor hinter seinem Schreibtisch hervor. Ein Schaschlikspieß darin symbolisiert die Rotationsachse. Dann demonstriert er mit einem Apfel, wie der Mond die Erde umkreist. «Wenn wir ihn nicht hätten, würde die Erde viel stärker um die eigene Achse pendeln», erklärt er und wackelt mit dem Styropormodell. «Dadurch entstünden starke Klimaschwankungen. Der Mond stabilisiert also unser Klima.»

    Ohne den Mond würde ein Erdentag nur acht Stunden dauern. Es gäbe heftige Stürme. Die Entwicklung des Lebens wäre vermutlich ganz anders verlaufen.

    Wie die Erde wohl ausgesehen hätte? Der amerikanische Astronom Neil Comins von der Universität von Maine hat sich das in einem Gedankenexperiment ausgemalt: Ein Tag, hat er errechnet, würde nur etwa acht Stunden dauern. Die Gezeiten, nun nur noch von der viel weiter entfernten Sonne gesteuert, wären schwach, das Meer wäre eine träge Masse. Für die Entstehung des Lebens, das bei der realen Erde durch den Wechsel der Gezeiten begünstigt wurde, wären das schwierige Bedingungen. Im besten Falle hätte das Leben auf der mondlosen Erde für seine Entwicklung deutlich länger gebraucht. Und das, was eines Tages an Land gekrochen wäre, hätte mit heftigen Stürmen und Wetterumbrüchen zu kämpfen gehabt. Für Affen auf hohen Bäumen wäre es auf so einem Planeten schwer gewesen – wenn sie sich überhaupt entwickelt hätten.

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    Sein Fazit: «Nach wissenschaftlichen Standards gibt es keine belegten Zusammenhänge zwischen Mondphasen und menschlichem Verhalten. Und die Frage, ob der Mond das Pflanzenwachstum beeinflusst, lässt sich nur mit Schwierigkeiten wissenschaftlich untersuchen, weil mit Wetter, Boden und Temperaturschwankungen sehr viele störende Variablen mit hineinspielen.» Johanna Paungger ficht solche Kritik nicht an. Sie sagt: «Wer ausprobiert, nach dem Mond zu leben, der merkt: Es funktioniert.»

    In der Geschichte der Mondforschung geht es seit je um die Deutungshoheit. Die Wissenschaftler nutzten für ihre Beweisführung immer aufwendigere Techniken. Die Mystiker konterten mit Phantasie und der kreativen Auslegung neuer Erkenntnisse – und das über alle Zeiten hinweg bis heute.

    Zeugnisse für die astronomische Beschäftigung mit dem Mond finden sich bereits für die frühesten Menschheitsepochen. Die steinzeitlichen Monolithenkreise von Stonehenge wurden vermutlich dazu genutzt, Mondfinsternisse vor­ herzusagen. Die berühmte Himmelsscheibe von Nebra – mit 3700 bis 4100 Jahren die älteste korrekte Himmelsdarstellung der Welt – zeigt die Plejaden, eine Mondsichel und je nach Deutung die Sonne oder den Vollmond. Sie ist extrem sorgfältig gearbeitet – ein Zeichen dafür, dass der Himmel und seine Gestirne für die Menschen in der Bronzezeit eine wichtige Rolle spielten – etwa als Taktgeber für Aussaat und Ernte. Was haben sie damals wohl im Mond gesehen?

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    Im Jahr 1609 richtete der englische Mathematiker Thomas Harriot ein neumodisches Gerät namens Teleskop auf den Himmelskörper – und fertigte die erste Mondzeichnung der Geschichte an. (In die Annalen ging als erster Mondforscher allerdings Galileo Galilei ein, der wenige Monate nach Harriot Mondstudien aufnahm, diese aber publikumswirksamer veröffentlichte.) In den feinen Salons diskutierte man derweil, ob der Mond eher von menschenähnlichen Wesen oder von riesigen Insekten bevölkert sei. 1836 publizierte der deutsche Astronom Johann Mädler nach 600 vor dem Teleskop durchgearbeiteten Nächten die bis dahin detaillierteste Mondkarte – mit dem Himmelskörper als trostlose Ödnis, die alle Spekulationen Lügen strafte.

    Doch der Wissenshunger der Forscher war noch lange nicht gestillt. Rund 120 Jahre später starteten 1959 „Lunik 1“ und „Lunik 2“, die ersten russischen Sonden zum Mond, drei Jahre darauf zogen die Amerikaner mit „Ranger 4“ nach, zehn Jahre später folgte die Mondlandung. Selbst diese aber ließ die Mondmythomanen nicht verstummen: Sofort wurden Stimmen laut, die „Apollo­11­Mission“ sei nur ein PR­Trick der USA – und im Filmstudio nachgestellt worden.

    Der Astronom Johann Mädler veröffentlichte 1836 die bis dahin detaillierteste Mondkarte. In feinen Salons diskutierte man derweil, ob Insekten den Mond bevölkern.

    Der Mond hat offenbar nur wenig von seiner Faszination verloren. Und das wird sich wohl auch künftig nicht ändern. «Der Mond ist in vielen Aspekten ein idealer Forschungsgegenstand, von dem wir noch viel lernen werden», sagt Urs Mall vom Max­Planck­Institut für Sonnensystemforschung. Weil es auf dem Mond weder herkömmliche Erdbeben noch Bewegungen von Kontinentalplatten gibt, habe sich seine Oberfläche kaum verändert. «Gleichzeitig zeigt er uns ein Gesicht voller Narben – Krater, die durch die Einschläge von Meteoriten entstanden sind. Sie helfen uns zu verstehen, wann genau was im Sonnensystem passiert ist.»

    Zudem gilt der Mond als ideale Übungsplatt­ form für die Erkundung des Sonnensystems. «Er ist gerade noch so nah, dass man ihn gut erreichen kann, um neue Satelliten, Sonden und Messgeräte zu testen.» In späteren Missionen können diese ins All geschickt werden, um Informationen über ferne Planeten zu gewinnen. «So konnten wir zum Beispiel feststellen, dass einige unserer Planeten gar nicht dort entstanden sind, wo wir sie heute finden», sagt er. Aber das ist eine andere Geschichte – die nächste.

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    (NG, Heft 7 / 2013, Seite(n) 38 bis 51)

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