Wissenschaftler finden Belege für einen neunten Planeten im Sonnensystem

Falls sich die Beweise erhärten, hätten die bisher acht bekannten Planeten unseres Sonnensystems einen weiteren Gefährten.

Von Nadia Drake
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:21 MEZ
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Möglicherweise versteckt sich in den entlegenen Bereichen unseres Sonnensystems ein neunter großer Planet. Der hier künstlerisch dargestellte Planet ist sehr weit von der Sonne entfernt. Es wird davon ausgegangen, dass er wie Uranus und Neptun gasförmig ist, aber kleiner als diese beiden Eisriesen.
Foto von California Institute of Technology

Ein Planet, der größer ist als die Erde, könnte sich in den dunklen und kalten Weiten des Sonnensystems verstecken. Die Existenz eines derartigen Planeten, der weit jenseits des Pluto liegen würde, wird durch die ungewöhnlichen Umlaufbahnen mehrerer weit entfernter, eisiger Himmelskörper verraten.

Wie am Mittwoch im „Astronomical Journal“ beschrieben wurde, ist die Gravitationssignatur eines großen, versteckten Planeten in die eigentümlichen Umlaufbahnen dieser abgelegenen Himmelskörper eingeschrieben. Die Körper mit dem seltsamen Verhalten, die auch als „extreme Kuipergürtelobjekte“ bezeichnet werden, sind Wissenschaftlern wegen ihrer ungewöhnlichen Flugbahnen um die Sonne schon seit vielen Jahren ein Rätsel.

Sie sind ein faszinierender Beleg dafür, dass in unserem Sonnensystem ein neunter großer Planet verborgen sein könnte, den wir bisher noch nicht sehen konnten.

„Falls es tatsächlich einen anderen Planeten im Sonnensystem gibt, dann ist es sicherlich dieser“, sagt Greg Laughlin von der University of California, Santa Cruz. „Es wäre eine große Überraschung, wenn es ihn geben würde. Ich drücke die Daumen. Es wäre großartig.“

Das Team hat berechnet, dass der Planet, falls es ihn gibt, ungefähr zehnmal so schwer wie die Erde wäre, oder ungefähr dreimal so groß. Damit wäre er eine Super-Erde oder ein Mini-Neptun – also ein Planetentyp, den unsere Galaxie sehr gut herstellen kann, der aber in unserer eigenen Nachbarschaft bisher nicht vertreten war.

Und er wäre ausgesprochen weit entfernt. Simulationen weisen darauf hin, dass er am Punkt seiner kürzesten Distanz zur Sonne ungefähr 200 bis 300 mal so weit von ihr entfernt wäre, wie die Erde. Und am Punkt seiner größten Distanz? Dieser befände sich tief im Hinterland, beim 600- bis 1200-fachen des Abstands zwischen Sonne und Erde.

„Dieses Ding befindet sich auf einer außerordentlich eisigen Umlaufbahn mit langer Umlaufzeit. Es braucht wahrscheinlich ungefähr 20.000 Jahre, um die Sonne einmal zu umrunden“, sagt Konstantin Batygin vom Caltech, einer der beiden Planeten-Detektive.

VORHERGESAGT: PLANET NEUN

Batygin und sein Caltech-Kollege Mike Brown hatten ursprünglich gar nicht vorgehabt, Belege für einen neuen Nachbarplaneten zu finden – es gelang durch Zufall. 2014 hatte ein anderes Team einen Himmelskörper entdeckt, der den Namen 2012VP113 erhielt. Der neue Himmelskörper, der im internen Sprachgebrauch als „Biden“ bezeichnet wurde, hatte eine ähnlich rätselhafte Umlaufbahn wie Sedna, ein weiterer Himmelskörper, der jenseits von Pluto liegt.

Sowohl Sedna als auch Biden bewegten sich auf eher verqueren Bahnen um die Sonne, was Wissenschaftler vermuten ließ, dass ihre Umlaufbahnen von der Gravitation eines fernen Objekts geformt werden. Ähnliches konnte man auch bei einigen weiteren entlegenen Himmelskörpern annehmen.

Ein Planet, zehnmal so schwer wie die Erde, in der Grafik als „Planet Nine“ bezeichnet (und im internen Sprachgebrauch der Wissenschaftler auch „George“, „Jehoshaphat“ und „Planet der Affen“ genannt), erklärt die Wege von sechs abgelegenen Himmelskörpern mit rätselhaften Umlaufbahnen (Magenta) in unserem Sonnensystem.
Foto von California Institute of Technology

Brown und Batygin sahen sich sechs dieser Himmelskörper genauer an und fanden heraus, dass sich ihre Umlaufbahnen auf eine Weise zusammenfügen, die nicht rein zufällig sein kann. („Als Wahrscheinlichkeit für ein Zufallsereignis ergaben sich kolossale 0,007 Prozent“, sagt Batygin.) Daraufhin simulierten sie ein fernes Sonnensystem und versuchten herauszufinden, wie sich die beobachteten Muster erzeugen lassen.

Relativ schnell gelang es Batygin und Brown, Gravitationseffekte innerhalb des Kuipergürtels auszuschließen, sodass sie davon ausgehen konnten, dass sie auf der Suche nach einem einzelnen kosmischen Einflussfaktor waren.

Sie fügten einen neunten großen Planeten zum Gesamtsystem hinzu und optimierten dessen Umlaufbahn und Masse. Mit einem Planeten mit zehnfacher Erdmasse auf einer eiförmigen Umlaufbahn um die Sonne ließen sich nicht nur die rätselhaften Eigenschaften der Umlaufbahnen von Sedna und Biden erklären, sondern auch die Bahnen der anderen extremen Kuipergürtel-Himmelskörper.

Ein solcher Planet erklärte auch eine bizarre Gruppe von Himmelskörpern, die die Sonne auf einer Bahn umkreisen, die senkrecht zur Ebene des Sonnensystems steht. „An diesem Punkt hörten wir auf, unsere Berechnungen als Übung anzusehen“, sagt Batygin.

Er und Brown vermuten, dass der Planet in einem wesentlich geringeren Abstand zur Sonne entstanden ist und in die Außenbereiche des Sonnensystems geschleudert wurde, als dieses noch sehr jung war. Damals, sagt er, war die Sonne noch in ihren ursprünglichen Sternencluster eingebunden und die umgebenden Sterne haben geholfen, den fliehenden Planeten zurückzuhalten und am Verlassen des Gravitationsfeldes der Sonne zu hindern. Das ist eine überzeugend klingende Geschichte, aber nicht jeder hält sie für wahrscheinlich.

„Ich bin generell sehr skeptisch bei allen Behauptungen zu einem weiteren Planeten im Sonnensystem“, sagt Hal Levison vom Southwest Research Institute. „Im Laufe meines Lebens habe ich sehr, sehr viele derartige Aussagen gehört, und alle haben sich als falsch erwiesen.“

GESUCHT: PLANET NEUN

Falls dieser neunte große Planet dort draußen um die Sonne kreist, ist er so weit entfernt und leuchtet so schwach, dass es kaum überrascht, dass er bisher unentdeckt geblieben ist. „Dieses Ding wäre blass. Und zwar extrem blass“, sagt Laughlin, der berechnet hat, dass Pluto 10.000 mal heller strahlen könnte als der neue Planet.

Bei derart extremen Distanzen würde selbst ein relativ großer Planet keine Wärmesignatur aussenden, die mit aktuellen Untersuchungsmethoden erkannt werden könnte, und er würde kaum Sonnenlicht reflektieren. Das bedeutet, dass Astronomen auf der Suche nach diesem Planeten nicht nur unglaublich leistungsstarke Teleskope brauchen, sondern auch sehr genau wissen müssen, wo sich der Planet befindet. Mit anderen Worten, es geht um die Suche nach einem einzelnen, bewegten Lichtfunken in einem riesigen und nahezu undurchdringlichen Meer aus Sternen.

BELIEBT

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    Wissenschaftler haben gezeigt, dass Planet Neun nicht nur die Umlaufbahnen extremer Kuipergürtelobjekte (violett) erklärt, sondern auch die von fünf rätselhaften Himmelskörpern, die die Sonne auf Bahnen senkrecht zur Ebene des Sonnensystems umkreisen (blau).
    Foto von California Institute of Technology

    „Wir wissen nicht genau, wo er sich befindet, sonst könnten wir einfach morgen ein Teleskop auf ihn richten und müssten ihn sehen. Aber der Himmel ist extrem groß und das Ding könnte extrem unscheinbar sein, je nachdem, wie weit entfernt es sich befindet“, sagt Chad Trujillo vom Gemini-Observatorium in Hawaii, der Biden entdeckt hat.

    Aber das heißt nicht, dass Wissenschaftler es nicht versuchen würden. Unter anderem das Subaru-Teleskop in Hawaii widmet sich dieser Aufgabe, und Batygin und Brown beteiligen sich an der Jagd. Trujillo sagt, dass er und seine Kollegen planen, in einem Monat auf der vorhergesagten Umlaufbahn mit der Suche zu beginnen.

    PLANET X – DAS ORIGINAL

    Es ist nicht das erste Mal, dass Wissenschaftler die Existenz eines großen, abgelegenen Planeten vorhersagen. Tatsächlich sind mehr als ein Jahrhundert lang immer wieder Hypothesen dieser Art aufgestellt worden, aber keine hat sich als zutreffend herausgestellt.

    Die vielleicht bekannteste Behauptung stammt von Percival Lowell, der glaubte, dass jenseits des Neptun ein Himmelskörper entdeckt werden könnte, den er Planet X nannte. Lowells Überzeugungen lösten eine jahrzehntelange Suche nach Planet X aus, bei der letztlich 1930 Pluto entdeckt wurde.

    Pluto war aber zu klein, um die nach Lowells Auffassung verräterischen Anomalien der Umlaufbahnen von Uranus und Neptun zu erklären. Sie erwiesen sich später als die Folge ungenauer Messungen. Die unsichtbaren Kräfte eines neunten großen Himmelskörpers spielten keine Rolle. In den 86 Jahren, die seitdem vergangen sind, wurden viele weitere derartige Vorhersagen getroffen. Und widerlegt.

    Aber die jüngste Hypothese hat das Zeug dazu, nicht in den unendlichen Weiten des Kosmos zu verschwinden.

    „Aus meiner Sicht ist der Artikel von Batygin und Brown der erste überzeugende Beweis für die Existenz dieses Planeten. Gleichzeitig macht er recht konkrete Aussagen über dessen Umlaufbahn“, sagt Alessandro Morbidelli vom Observatoire de la Cote d' Azur. „Ihre Hypothese ist sehr gut fundiert.“

    Nadia Drake auf Twitter und Google+ folgen.

    Artikel in englischer Sprache veröffentlicht am 20. Januar 2016

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