Gesunder Mäusenachwuchs aus Weltraumsperma
Wenn die Ergebnisse standhalten, könnte das Experiment zu unserem Verständnis dafür beitragen, wie erfolgreich sich Menschen jenseits der Erde fortpflanzen können.
Nachdem es neun Monate lang um den Planeten gesaust ist und den rauen Bedingungen des Weltalls ausgesetzt war, hat dieses Mäusesperma mehrere gesunde Würfe von kleinen Mäusen hervorgebracht, wie Wissenschaftler letzte Woche berichteten.
Auch wenn das Ergebnis keine ganz große Überraschung für medizinische Experten ist, ist es trotzdem eine gute Neuigkeit für all jene, die darüber nachdenken, ob assistierte Reproduktionstechnologien dabei helfen könnten, zukünftige Weltraumbabys zu zeugen – wenn (und falls) Menschen beginnen, Welten jenseits unserer Erde zu besiedeln.
Tatsächlichen Sex im Weltraum zu haben, ist ein simples Newtonsches Problem, das vielleicht oder vielleicht auch nicht bereits gelöst wurde (versucht mal, jemanden dazu zu bringen, das zuzugeben). Es ist deshalb kompliziert, weil Menschen und Tiere im Weltall sowohl geringerer Schwerkraft als auch energiereichen kosmischen Teilchen ausgesetzt sind, die genetisches Material problemlos schädigen können.
Wie das Reproduktionssystem, welches Sperma und Eier zu Organismen formt, mit diesen Bedingungen umgeht, ist von Anfang bis Ende ein Mysterium, sagt Kris Lehnhardt. Er ist ein Arzt an der George Washington Universität, der sich auf Notfallmedizin und auf die sogenannte Extreme Environment Medicine spezialisiert hat, die sich mit medizinischer Versorgung bei Katastrophen und in extremen Umgebungen beschäftigt.
„Wir haben keine Ahnung von den Dingen, die wir wissen müssen, um zu beurteilen, ob die menschliche Fortpflanzung im Weltraum erfolgreich oder sicher sein würde“, sagt er. „Das wurde nicht wirklich detailliert untersucht.“
Die neue Mäusestudie, die in „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlicht wurde, deutet nicht nur darauf hin, dass Sperma im All überleben und zeugungsfähig bleiben kann. Sie gewährt auch Einsichten in die zukünftige Fruchtbarkeit.
„Das ist eine gewissenhafte und gut designte Studie“, sagt Joe Tash vom medizinischen Zentrum der Universität Kansas. Astronauten werden sich im tiefen Raum allerdings mit noch intensiverer Strahlung konfrontiert sehen, was man berücksichtigen sollte, wenn man sich die Ergebnisse der Studie ansieht.
WELTRAUMWELPEN
Auf der Erde hat sich alles Leben unter dem Einfluss der Schwerkraft und unter dem Schutz des Magnetfelds entwickelt, welches den größten Teil der energiereichen kosmischen Partikel abwehrt, die durch das All fliegen. Im tiefen Raum, auf dem Mond oder sogar auf dem Mars ist die Schwerkraft deutlich geringer und die Strahlung gefährlicher.
Bisher haben Wissenschaftler nur bei einer Handvoll Arten wie Ratten, Fischen, Salamandern und Seegurken untersucht, wie sie sich im Weltall fortpflanzen. Die Ergebnisse sind gemischt: Während eines Experiments im Jahr 1979, das auf dem russischen Satelliten Kosmos 1129 stattfand, haben es Ratten nicht geschafft, Nachwuchs zu zeugen. Während das Sperma der Seegurken auch keine überragenden Ergebnisse lieferte, konnten sich Fische, Fruchtfliegen und Fadenwürmer erfolgreich fortpflanzen.
Auf Basis dieser Ergebnisse machte sich der Entwicklungsbiologe Teruhiko Wakayama (der einst selbst ein Astronaut werden wollte) daran zu untersuchen, ob assistierte Reproduktionstechnologien genutzt werden könnten, um im Weltraum Mäusenachwuchs zu zeugen.
„Wir haben entdeckt, dass nur sehr wenige Studien zur Fortpflanzung von Säugetieren im Weltall durchgeführt wurden. Die meisten davon zeigten keine eindeutigen Ergebnisse, weil es auch problematisch ist, Mäuse oder Ratten ins Weltall zu bekommen“, so Wakayama, der an der Universität von Yamanashi in Japan angestellt ist.
Wakayama hat sich auf die Fortpflanzung von Haustieren spezialisiert und schon früher gezeigt, dass gefriergetrocknetes Mäusesperma auf der Erde normalen Mäusenachwuchs hervorbringen kann. Aber als er und seine Kollegen das Mäusesperma in einer Kammer lagerten, die Mikrogravitation simulierte, zeugte es nicht so viele Nachkommen wie erwartet.
„Wir wollten wirklich gern ein echtes Weltraumexperiment durchführen“, sagt Wakayama. Also entwarf das Team ein Experiment mit dem Spitznamen Space Pup (dt. „Weltraumwelpe“), um die Auswirkungen von tatsächlichen Weltraumreisen auf die Samenzellen von Mäusen zu testen.
Nachdem das Team Spermatozoen von mehreren Mäusen entnommen hatte, gefriertrocknete es diese und schickte sie im August 2013 auf die Internationale Raumstation. Die Gefriertrocknung half dabei, das Sperma während der mehrtägigen Reise bis zu seinem Raketenflug ins All stabil zu halten.
Dann blieb das Sperma für 288 Tage – oder etwa neun Monate – im All, verstaut in einem -95 °C kalten Gefrierschrank im japanischen Modul der ISS. Während dieser Zeit zeichnete ein Strahlungsmonitor an der Kühlbox Strahlungslevel auf, die etwa hundertmal höher waren als die auf der Erdoberfläche.
Im Mai 2014 erhielten die Spermatozoen einen Rückflug auf der SpaceX-Rakete – und Wakayama und seine Kollegen begannen ihre Untersuchungen.
Es war nicht überraschend, dass das genetische Material in den Köpfen der Spermien von der Strahlung beschädigt und auseinandergebrochen worden war. Die ISS, die in rund 400 Kilometern Höhe über der Erde kreist, ist anfällig für energiereiche kosmische Teilchen – und langfristige Belastung durch kosmische Strahlung ist eine der größten Sorgen, die potenzielle Langzeitflüge im Weltraum überschatten.
„Die Strahlungslevel aus der Studie sind nicht annähernd so hoch wie die, die man erleben würde, sobald man jenseits des Van-Allen-Strahlungsgürtels reisen würde“, sagt Tash und bezieht sich dabei auf eine weitere strahlungsschützende Schicht um die Erde herum, in der sich auch die ISS bewegt.
Aber die Spermatozoen waren nicht irreparabel beschädigt. Wakayama und seine Kollegen injizierten das Weltraumsperma direkt in Mäuseeier und implantierten diese befruchteten Eier in weibliche Mäuse. Das Ergebnis: normale, gesunde Weltraumwelpen-Würfe. Genexperessionsmuster in einigen der Mäusejungen, die kurz vor der Geburt gemessen wurden, unterschieden sich laut der Studie nicht signifikant von denen jener Mäuse, die aus gefriergetrocknetem Sperma gezeugt wurden, welches auf der Erde eingelagert worden war.
Der Studie war auch zu entnehmen, dass einige der Mäusejungen sich im Erwachsenenalter miteinander paarten und ebenfalls normalen Nachwuchs zur Welt brachten. Laut den Erkenntnissen des Teams deutet dies darauf hin, dass es keine bleibenden Fruchtbarkeitsprobleme geben sollte, die mit dem gefriergetrockneten Sperma in Verbindung stehen.
SPERMA-ARCHIVE
Wenn die Ergebnisse standhalten, sind sie ein faszinierender Schritt auf dem Weg der Erforschung unserer eigentlichen Frage: Können Menschen im Weltall gesunden Nachwuchs hervorbringen?
Das aktuelle Experiment ist eines, „das definitiv noch nie zuvor in der Entwicklung der Reproduktionsstudien im Weltraum durchgeführt wurde“, so Lehnhardt. „Ihr Konzept oder ihr Gedanke dabei ist, dass man durch das Gefriertrocknen des Spermas im Grunde dessen Metabolismus anhalten kann. Auf gewisse Weise kann man dadurch den Strahlungsschaden minimieren, der das Sperma trifft, weil es quasi in der Zeit eingefroren ist.“
Als nächstes planen Wakayama und sein Team, befruchtete Eier von Mäusen zur ISS zu schicken und zu testen, ob diese Eier zu Blastocysten heranwachsen können – ein extrem frühes Entwicklungsstadium, in welchem der wachsende Zellhaufen aus mehreren hundert Zellen besteht.
Nächstes Jahr will Tash untersuchen, ob kryokonserviertes und weltraumfahrendes menschliches Sperma noch die Eigenschaften aufweist, die für eine erfolgreiche In-vitro-Fertilisation nötig sind.
Schlussendlich legen die Forschungen von Wakayama und seinem Team nahe, dass ganze Archive mit Sperma von diversen Tierarten der Erde auf Raumschiffen oder in Lavaröhren des Mondes aufbewahrt werden könnten, sobald die Technologie zur Lagerung biologischer Proben im Weltraum perfektioniert wurde. Diese Archive würden nicht nur als Back-up im Falle einer völligen Katastrophe auf der Erde dienen, sondern könnten als eine Art Rezeptbuch fungieren, um jenseits der Erde vertraute Lebensformen zu schaffen.
Nadia Drake auf Twitter folgen.