Fünf Jugend-forscht-Projekte, die Realität werden

Seit mehr als 50 Jahren tüfteln Schüler beim Wettbewerb Jugend forscht an eigenen Projekten – mit Erfolg, wie diese Beispiele zeigen.

Von Kathrin Fromm
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:41 MEZ
Rieke-Marie Hackbarth bei Jugend forscht
Mit einem Stethoskop, das sich selbst desinfiziert, ist Rieke-Marie Hackbarth beim Bundeswettbewerb 2015 von Jugend forscht angetreten. Jetzt will eine Firma das Gerät auf den Markt bringen.
Foto von Jugend forscht

Ein Vokabeltrainer mit Musik
Vokabeln pauken ist langweilig, findet der Schüler Marvin Scherschel – und überlegt, wie sich das eintönige Auswendiglernen ein wenig spaßiger gestalten lässt. 2012 nimmt er am Bundeswettbewerb mit einer selbst programmierten Software teil, die zu englischen Vokabeln eine bekannte Songzeile sucht, deren Text das Wort enthält, das man auswendig lernen will. Der Ohrwurm soll die Paukerei nicht nur unterhaltsamer, sondern auch effektiver machen: Durch zusätzliche Reize wie eine Melodie können Vokabeln leichter im Gedächtnis behalten werden, das zeigen Studien. „Ich bekam schon während des Wettbewerbs positive Rückmeldungen von anderen Schülern. Viele fanden die Idee spannend“, sagt der Jungforscher. Zusammen mit seinem Informatiklehrer tüftelt er weiter an der Idee. Nach dem Abi schreibt er sich für BWL mit Nebenfach Informatik ein, inzwischen ruht das Studium. Denn im vergangenen Jahr gründete Marvin Scherschel die Vofy GmbH; ein Investor stieg ein, und seither läuft die professionelle Entwicklung der Online-Plattform. „Noch sind wir in der Betaphase, bei der sich Nutzer kostenlos registrieren können. Auch einige Testschulen machen mit“, sagt der 22-Jährige. Sein Ziel: sich mit der Jugend-forscht-Idee einen Markt zu erschließen. Der ehemalige Informatiklehrer arbeitet heute übrigens für ihn.

Ein Stethoskop, das sich selbst reinigt
Jeden Tag werden in Kliniken und Arztpraxen durch Stethoskope Keime verbreitet, die Krankheiten übertragen. Kein Wunder, dass Rieke-Marie Hackbarth schnell eine Firma findet, die ihre Idee aus dem Bundeswettbewerb 2015 auf den Markt bringen will: Ein Stethoskop, das sich nach jeder Untersuchung automatisch selbst desinfiziert und so beim nächsten Patienten wieder keimfrei ist. Dafür besitzt das Gerät einen eingebauten Minicomputer, der erkennt, wenn eine Untersuchung beendet ist, weil der Kontakt zur Haut ausbleibt. Diese Information geht an eine eingebaute Pumpvorrichtung, die Desinfektionsmittel auf das Stethoskop sprüht. So weit, so einfach. Das dachte sich wohl auch das Unternehmen Fischer, bekannt durch Dübel und Technikspielzeug. „Die haben sich nach einem Start-up-Workshop der Wissensfabrik, den ich beim Landeswettbewerb gewonnen hatte, bei mir gemeldet – und ich habe mein Patent verkauft“, sagt Rieke-Marie Hackbarth. Das war vor eineinhalb Jahren. Ein Ingenieur ist jetzt mit der Umsetzung beschäftigt. Gerade läuft die Marktforschungsphase, in der Ärzte gefragt werden, wie schwer so ein Instrument sein darf und wieviel es maximal kosten kann. Ein genauer Termin, wann es das Stethoskop zu kaufen gibt, steht noch nicht fest. „Ich hoffe, dass es bald auf den Markt kommt“, sagt die Erfinderin, inzwischen 17. 

Lukas Kamm hat zusammen mit einem Schulfreund einen Sensor entwickelt, der misst wie feucht ein Boden ist. Nächstes Jahr soll die Erfindung ins All fliegen.
Foto von Wacker Chemie AG

Ein Bodenfeuchtmesser fürs All
Drei Wochen Urlaub – aber wer kümmert sich um die Blumen? Mit dieser Ausgangsidee im Hinterkopf entwickeln die beiden Schulfreunde Lukas Kamm und Thomas Maier einen Sensor, der die Bodenfeuchte mit Hilfe eines elektrischen Feldes misst und eine automatische Bewässerung in Gang setzt. Zweimal treten sie damit beim Landeswettbewerb an, 2016 schließlich auch auf Bundesebene – und nun wird die Erfindung im kommenden Jahr ins All fliegen. Bei einer Mission des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums soll das Tomatenwachstum in der Schwerelosigkeit erforscht werden. Der Sensor der Jungforscher wird dann kontrollieren, ob die Böden feucht genug sind für die Pflanzen. „Der Kontakt ergab sich total zufällig bei der Langen Nacht der Wissenschaft an der Uni Erlangen. Wir haben da unser Projekt ausgestellt und ein Biologe der Mission kam vorbei“, berichten Lukas Kamm (20) und Thomas Maier (21), die inzwischen Physik und Elektrotechnik studieren. Für den Weltraumausflug verkleinern die beiden das Messgerät, aus dem ursprünglichen Würfel mit zehn Zentimeter Kantenlänge ist ein schmaler Streifen geworden. „Wenn man das Freunden erzählt, hört man oft nur ein Wow. Dass unsere Erfindung mit einer Rakete ins Weltall geschossen wird, ist schon beeindruckend“, sagt Thomas Maier.

Eine Software, die Allergikern den Restaurantbesuch erleichtert
Weizen in der Sauce? Nüsse im Dessert? Im Restaurant müssen Allergiker oft nachfragen, was in Gerichten enthalten ist. Um das zu vermeiden, entwickelte Danilo Gavronov die Bestellsoftware „My Food My Order“ für die Gastronomie. Sobald sich der Gast per Smartphone mit dem Netzwerk des Lokals verbindet, erscheint eine Website mit der Speisekarte inklusive Bildern und Zutaten. Die Gerichte lassen sich nach Kategorien wie Zutaten, Allergenen und Preise filtern. Außerdem soll sich so der Service verbessern: Der Gast gibt seine Tischnummer ein, die Online-Bestellung geht direkt an die Küche, und bezahlt wird digital. Noch kann man „My Food My Order“ in keinem Restaurant ausprobieren, aber möglicherweise bald. Denn für seine Idee erhielt der 19-Jährige dieses Jahr bei Jugend forscht den Gründerpreis der Wissensfabrik. Zusammen mit einem Mentor hat Danilo Gavronov einen Businessplan erstellt und will die Bestellsoftware nun realisieren – zuerst in seiner Heimatstadt Koblenz, dann in ganz Deutschland. „Die größte Herausforderung ist im Moment, von den Herstellern einen Zugang zu den Kassensystemen zu bekommen“, sagt der junge Entwickler, der gerade ein Studium in Business Administration begonnen hat.

Ein Sensor gegen Lackverlust im Autobau
Seinem Forschungsprojekt begegnet Thomas Nesch bei der Arbeit, als Mechatronik-Azubi beim Autobauer Daimler. Das Problem: schleichender Lackverlust. Beim Lackieren von Karosserien kann es passieren, dass die Schläuche der eingesetzten Industrieroboter sehr kleine Lecks haben, durch die Farbe ausläuft. Thomas Nesch konstruierte deshalb einen Sensor, der den Verlust selbst kleinster Substanzen anzeigt, sogar in zerstäubtem Zustand. Dahinter steckt eine optische Erkennungsmethode, durch die der Sensor auch in elektrostatischen Feldern, wie sie bei der industriellen Lackierung vorkommen, eingesetzt werden kann. Die Idee bringt dem Azubi 2008 den Jungend-forscht-Bundessieg in der Kategorie Technik und – ein Jahr später – auch einen ersten Preis beim weltgrößten Jungforscherwettbewerb, der Intel International Science and Engineering Fair im amerikani­schen Reno. Sein Arbeitgeber möchte die Erfindung umgehend in der Produktion einsetzen. „Bei den ersten Testläufen war ich noch beteiligt“, sagt Thomas Nesch, der inzwischen 28 ist und ein Master in Ingenieurwissenschaften von der University of Cambridge in der Tasche hat. „Für mich hat sich durch die Wettbewerbe die Möglichkeit ergeben, ins Ausland zu gehen. Die Erfindung war auch Thema beim Interview für den Studienplatz.“ Heute ist der Jungforscher von damals Innovationsmanager – und wieder bei Daimler.

Jugendliche, die wissenschaftlichen Fragen nachgehen wollen, sind in Schülerforschungszentren richtig. Das in Südwürttemberg wird in der Ausgabe 9/2017 von National Geographic vorgestellt (und hier).
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