Erstmals zeigen Bilder, wie Gravitationswellen entstehen
Diese unglaubliche Entdeckung hilft bereits jetzt Astronomen, eine hitzige Debatte über den kosmischen Ursprung von Gold und Silber zu beenden.
Der Artikel wurde ursprünglich am 9. November 2017 veröffentlicht und wurde am 2. Januar 2018 mit Informationen zu den neuesten Erkenntnissen und Beobachtungen aktualisiert.
Vor etwa 130 Millionen Jahren kollidierten zwei tote Sterne in einer gewaltigen Explosion und setzten damit eine Reihe von Ereignissen in Gang, die Astronomen überall auf dem Planeten in den letzten zwei Monaten in helle Aufregung versetzt haben.
Heute haben die Wissenschaftler in Pressekonferenzen auf der ganzen Welt den ersten Nachweis für Gravitationswellen bekanntgegeben, die durch zwei aufeinanderprallende Neutronensterne verursacht wurden.
Albert Einstein stellte im Jahr 1916 die erste Theorie über Gravitationswellen auf, der zufolge diese Phänomene Erschütterungen oder Krümmungen in der Oberfläche der Raumzeit darstellen, die von überaus gewaltigen, kosmischen Ereignissen verursacht werden. Bislang hatten alle bestätigten Aufzeichnungen von Gravitationswellen einen tödlichen Tanz zweier schwarzer Löcher beinhaltet, der keine sichtbaren Spuren am Himmel hinterlässt.
Aber bei diesem jüngsten Ereignis waren verschiedene Teams durch die Nutzung von 100 Instrumenten in rund 70 Observatorien in der Lage, die Explosion in verschiedenen Längen des Lichtwellenspektrums zu verfolgen und zu beobachten. Das gab den Astronomen die Gelegenheit, zum ersten Mal die Quelle dieser kosmischen Erschütterungen zu untersuchen.
„Wir sahen ein vollkommen neues Phänomen, das noch kein Mensch zuvor gesehen hat“, sagt Andy Howell von der Universität von Kalifornien in Santa Barbara. „Es ist etwas Unglaubliches, das sich so vielleicht nicht mehr zu unseren Lebzeiten wiederholen wird.“
Anders als kollidierende schwarze Löcher, setzen zerstörte Neutronensterne metallische, radioaktive Rückstände frei, die von Teleskopen entdeckt werden können – wenn man weiß, wann und wo man nach ihnen suchen muss.
„Wir haben gespürt, wie das Universum bei der Verschmelzung der beiden Neutronensterne gewackelt hat, und das hat uns gesagt, wohin wir unsere Teleskope ausrichten mussten“, sagt Howell. Sein Team war eines von mehreren, die die für die Gravitationswellen verantwortlichen Sterne aufspürten.
Alles in allem waren etwa 3.500 Menschen am Nachweis der Gravitationswellen und der anschließenden astrophysikalischen Auswertung beteiligt. Die Resultate des riesigen Projekts wurden heute in 40 wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht und erschienen in einigen Fachzeitschriften wie "Science", "Nature" und "Physical Review Letters".
Die Beobachtungen helfen den Astronomen, einige schon lang bestehende Theorien der Physik zu bestätigen. Außerdem bieten sie eine Lösung für die Debatte um den Ursprung von Gold und anderen schweren Elementen im Kosmos – Erkenntnisse, die durch das gerade entstehende Fachgebiet der Gravitationswellenastronomie möglich gemacht werden.
“Es ist das erste Mal, dass wir die Todesspirale von zwei Neutronensternen hören, und wir sehen auch das Feuerwerk der finalen Verschmelzung“, sagte Vicky Kalogera von der Nothwestern University kürzlich auf einer Pressekonferenz in Washington, D.C.
ABENTEUERZEIT
Der erste, wenn auch noch indirekte Nachweis für die Existenz von Gravitationswellen wurde im Jahr 1974 erbracht. Die tatsächliche Aufzeichnung der Wellen war jedoch jahrzehntelang undenkbar, da die Raumzeit auf der Erde durch sie nur minimal gekrümmt wird – in der Größenordnung eines Bruchteils des Durchmessers eines Atomkerns.
Bei dem Versuch, diese unglaublich winzigen Bewegungen im Universum aufzuspüren, entwickelten Wissenschaftler das Laser-Interferometer Gravitationswellen-Observatorium, kurz LIGO.
Die beiden Schwesterobservatorien nutzen Laserstrahlen, um kleinste Veränderungen im Abstand zwischen Spiegelpaaren zu messen. Diese werden durch Gravitationswellen verursacht, die über die Erde hinwegfegen. Ein dritter, gleichartiger Detektor wird vom europäischen Virgo-Team betrieben.
Anfang 2016 berichteten die Forscher von LIGO von einem Durchbruch: Ihre hochsensiblen Instrumente hatten endlich Beute gemacht. Seitdem hat LIGO drei weitere Ereignisse bestätigt. Jedes markierte die Vereinigung von schwarzen Löchern, und für diese Erkenntnisse erhielten die führenden Wissenschaftler des Projekts im Jahr 2017 den Nobelpreis für Physik.
Früh am Morgen des 17. Augusts verzeichneten die LIGO-Observatorien jedoch etwas Neues: Gravitationswellen sprangen zwischen den Spiegelpaaren hin und her und transportierten dabei Hinweise darauf, dass ihre Quelle nicht aus schwarzen Löchern, sondern aus aufeinanderprallenden, toten Sternen bestand.
Zwei Sekunden, nachdem diese Signale die Detektoren von LIGO alarmiert hatten, fing das erdumkreisende Fermi Gamma-ray Space Telescope der NASA ein Aufkommen von Gammastrahlung ein. Diese stammte aus der gleichen Region des Himmels wie das LIGO-Signal. Das Aufflackern dauerte nur einige Sekunden und sah aus wie ein kurzer Gammablitz – eine kosmische Explosion, die vermutlich von zwei kollidierenden Neutronensternen ausgelöst wird.
Ein Zufall? Daran glaubten die Teams von LIGO und Virgo nicht. Sie sandten das Äquivalent eines astronomischen Batman-Signals aus und teilten Beobachtungsgruppen mit, dass sie die Überreste der Verschmelzung untersuchen könnten – wenn sie sich beeilten. Zum ersten Mal konnten so die Nachwehen der Gravitationswellenentstehung beobachtet werden.
Dieses Signal zog Untersuchungen durch Forschergruppen auf der ganzen Welt nach sich. Alle waren nur zu gerne bereit, bei der Lösung des kosmischen Puzzles zu helfen. Aber zunächst war entscheidend, dass die Gruppen erfuhren, wohin sie ihre Geräte ausrichten mussten.
TANZ DER STERNE
Hier kommt Charlie Kilpatrick ins Spiel, ein Post-Doktorand der Universität von Kalifornien in Santa Cruz. Nachdem Gravitationswelle und Gammastrahlung verzeichnet worden waren, durchsuchten Kilpatrick und seine Kollegen eine ganze Reihe von Galaxien aus der gleichen Region, aus der die neuen Signale gekommen waren.
Dafür benutzten sie ein kleines, unscheinbares Teleskop in Chile und sobald sich der Himmel über ihnen verdunkelte, wollten sie jede einzelne dieser Galaxien unter die Lupe nehmen und nach Anzeichen für Aktivitäten Ausschau halten. Aber sie mussten sich beeilen: Dieser Teil des Himmels war nur für ein oder zwei Stunden sichtbar, bevor er hinterm Horizont verschwand.
Etwa zehn Stunden, nachdem LIGO und Virgo Alarm geschlagen hatten, fand Kilpatrick in der fünften von ihm untersuchten Galaxie einen hell leuchtenden Punkt, der dort zuvor nicht gewesen war – ein untrügliches Indiz dafür, dass dort etwas Außergewöhnliches stattgefunden hatte. Das Team schickte eine Mitteilung über diese Entdeckung an alle anderen. Innerhalb von 42 Minuten hatten fünf weitere Gruppen, inklusive Howells, die Galaxie ins Fadenkreuz genommen.
„Mir ist erst ganz langsam bewusst geworden, wie groß diese ganze Sache ist“, sagt Kilpatrick.
Während der folgenden Tage schloss sich eine wahre Flut von Observatorien den Beobachtungen an. Wochenlang war die Quelle der Gravitationswelle nahe der Grenze einer oval geformten Galaxie namens NGC 4993 der am intensivsten beobachtete Punkt des Himmels.
In dieser Region des Universums waren seit unendlich langer Zeit zwei Neutronensterne umeinander gekreist. Ihr atemloser Tanz resultierte schließlich in einem zweiten, noch gewaltigeren Tod. Nach Millionen von Jahren war ihr tödliches Verschmelzen so explosiv, dass es die kosmische Oberfläche der Raumzeit krümmte und Gravitationswellen erzeugte, die uns schließlich auf ihr Ableben aufmerksam machten.
BIG BANG THEORY
Dank schneller Detektivarbeit waren die Wissenschaftler in der Lage, die Explosion auf dem elektromagnetischen Spektrum zu studieren, von Radiowellen bis hin zur Gammastrahlung.
Die Vereinigung beendet nun die langjährige Debatte um den Ursprung der schweren Elemente im Periodensystem: Edelmetalle wie Gold und Platin und Elemente wie Neodym, das Forscher bei der Entwicklung von Lasern wie LIGO verwendeten.
Lange Zeit gingen die Experten davon aus, dass diese Metalle vor allem im Inneren großer Sterne entstehen, wenn diese explosive Tode sterben. Doch neuere Erkenntnisse lassen darauf schließen, dass solche Supernovae nicht annähernd genug dieser Materialien ins Universum abgegeben haben.
Die Entstehung dieser Elemente erfordert eine ungeheure Masse an Neutronen, die Bestandteil von Atomkernen sind. Man kann sich vorstellen, dass enorme Mengen davon freigesetzt werden, wenn Neutronensterne auseinandergerissen werden.
Durch die Untersuchung der Explosion im Infrarotspektrum ermittelten Forscherteams, dass die Überreste den Gegenwert von mindestens zehntausend Erden an Edelmetallen beinhalteten – mehr als genug, um das Universum mit den festgestellten Mengen zu versorgen.
„Diese Ereignisse könnten tatsächlich für die kompletten heutigen Vorkommen von Gold und schweren Elementen im Universum verantwortlich sein“, sagt Enrico Ramirez-Ruiz von der Universität von Kalifornien in Santa Cruz. Die Beobachtungen, sagt er, sind „einfach atemberaubend – diese Quantität und Qualität der Daten, es ist einfach wunderschön.“
Allerdings sind immer noch Teile der Geschichte dieser Ereignisse ein Rätsel. Tatsächlich ist nicht ganz klar, was eigentlich zurückbleibt, wenn zwei Neutronensterne miteinander kollidieren. Wir wissen nur, dass die Überreste der Kollision 2,6-mal so viel Masse besitzen wie unsere Sonne.
Angesichts dieser Masse und der Bewegung der Neutronensterne sei es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Schwarzes Loch, sagt Feryal Ozel von der Universität von Arizona. Unwahrscheinlichere Möglichkeiten beinhalten einen anomal hypermassiven Neutronenstern; aber solch ein Objekt könnte das Wissen der Experten über die Physik von Neutronensternen komplett auf den Kopf stellen.
AHNUNGSLOS DURCH DIE GALAXIS
Die Überreste werfen aber unabhängig von ihrem Ursprung eine Reihe von Fragen über die kompaktesten bekannten Objekte im Universum auf.„Noch nie wurde ein Neutronenstern oder ein schwarzes Loch mit einer Masse von zwei bis fünf Sonnenmassen beobachtet“, sagt Alan Weinstein von Caltech, ein Mitglied des LIGO-Teams.
Außerdem sind die Explosion und ihre Nachwehen nicht so verlaufen wie erwartet. Der Gammablitz war verhältnismäßig schwach und besaß wesentlich weniger Strahlung, als in früheren, ähnlichen Ereignissen gemessen wurde, sagt Mansi Kasliwal von Caltech. Dazu kommt, dass die Röntgenstrahlung und Radiowellen länger als erwartet benötigten, bis sie die Detektoren nach dem großen Knall erreichten.
Das könnte bedeuten, dass die von der Explosion ausgesendeten Hochgeschwindigkeitsstrahlen nicht direkt auf die Erde gerichtet waren, sondern leicht daran vorbeigingen, sagt Daryl Haggard von der McGill-Universität, dessen Team das Chandra X-ray Observatory nutzte, um die Vereinigung zu beobachten.
Oder es könnte bedeuten, dass etwas noch Komplexeres im Gange ist. Vielleicht, so deutet Kaslial an, hat sich ein Kokon aus den Energieüberresten der Explosion gebildet. Dieser könnte den ursprünglichen Strahl geschluckt haben. Die Wissenschaftler hoffen, dass die weiterführenden Untersuchungen der Radiowellen bei der Lösung des Rätsels helfen. Diese sollten noch eine ganze Weile sichtbar sein
„Die Radioemissionen kamen zwar zu spät zur Party, aber sie werden die Letzten sein, die gehen – und sie bringen Geschenke mit!“, sagt Gregg Hallinan von Caltech.
Ende Dezember erschienen Berichte über Beobachtungen – darunter Radiodaten von mehr als 100 Tagen –, die die Theorie des Energiekokons stützen. Das wirft die Frage auf, ob solche Verschmelzungen tatsächlich für die kurzen Gammastrahlenausbrüche verantwortlich sind. Das Team, welches die Ergebnisse am 20. Dezember in „Nature“ veröffentlicht hat, kann sich vorstellen, dass kollidierende Neutronensterne vielleicht für eine Art flüchtigen astrophysikalischen Ausbruch verantwortlich sind, der bis dato nicht bekannt war.
Aber weitere Untersuchungen müssen warten: Im Moment befindet sich die Galaxie so nah an der Sonne, dass die Beobachtung für einige Teleskope gefährlich ist. Wenn sie sich etwas vom grellen Schein unseres Sterns entfernt hat, werden die Teleskope wieder auf die letzten Reste des großen Knalls gerichtet werden.
In der Zwischenzeit feiern die Astronomen mit Sicherheit das große Glück, die Explosion überhaupt so detailliert gesehen zu haben.
„Dieses Ding ist vor 130 Millionen Jahren explodiert“, sagt Maria Drout von den Carnegie Observatories. „Aber wenn es nur einen Monat später passiert wäre, hätten wir es nie sehen können. Die Detektoren wären abgeschaltet und es wäre hinter der Sonne verborgen gewesen.“