Quelle mysteriöser kosmischer Strahlung endlich gefunden

Lange suchten Forscher nach der Quelle hochenergetischer Neutrinos. Ein Zufall brachte sie jetzt auf die richtige Spur.

Von Nadia Drake
Veröffentlicht am 13. Juli 2018, 18:32 MESZ
Das IceCube Neutrino Observatory, der größte Neutrinodetektor der Welt, misst tief unter dem Eis der Amundsen-Scott-Südpolstation ...
Das IceCube Neutrino Observatory, der größte Neutrinodetektor der Welt, misst tief unter dem Eis der Amundsen-Scott-Südpolstation die Lichtblitze der Neutrinos.
Foto von Sven Lidström, Icecube, Nsf, via T​he New York Times

Ein Lichtblitz, der etwa anderthalb Kilometer unterhalb des Südpols gemessen wurde, löst wahrscheinlich ein jahrhundertealtes kosmisches Rätsel. Aber nicht nur das: Er ist womöglich der Startschuss für eine neue Form der Astronomie, die sich mit den geisterhaften subatomaren Teilchen namens Neutrinos befasst.

Im frühen 20. Jahrhundert entdeckte der Physiker Victor Hess, dass die Erde konstant von energiereichen Teilen aus dem Weltraum bombardiert wird. Heutzutage bezeichnen wir diese Teilchen als kosmische Strahlung. Seit dieser Entdeckung haben Wissenschaftler nach den Quellen der energiereichen Neutrinos gesucht, die von mysteriösen astrophysikalischen Objekten durch das All geschleudert werden.

Ein Großteil der kosmischen Strahlung hat jedoch eine elektrische Ladung, sodass ihre Bahn von den Magnetfeldern im Weltraum abgelenkt wird. Dadurch ist es schwer, sie bis zu ihrer Quelle zurückzuverfolgen. Aus diesem Grund hat sich die Suche auf Neutrinos konzentriert, die eine neutrale Ladung und kaum Masse besitzen und daher bis zu ihrem Ursprung zurückverfolgt werden können.

Genau dieser Aufgabe widmet sich das IceCube Neutrino Observatory in der Antarktis, das – mit der Hilfe von ein paar Freunden – endlich eine Handvoll energiereicher Neutrinos bis zu einer weit entfernten Galaxie zurückverfolgen konnte. Es ist einer von derzeit noch überschaubar vielen Beiträgen in einer neuen Ära der Astronomie, in der neben Photonen auch andere Teilchen untersucht werden können, um bislang verborgene Geheimnisse des Universums zu enthüllen.

„Es ist zweifelsfrei aufregend, dass wir den kosmischen Beschleuniger endlich ausfindig gemacht haben“, sagt Francis Halzen von der University of Wisconsin-Madison, der Chefwissenschaftler von IceCube. Die Ergebnisse der entsprechenden Studie erschienen in „Science“ und „Monthly Notices oft he Royal Astronomical Society“.

NEUTRINOS IM EIS

Zuvor hatten Wissenschaftler bereits Neutrinos entdeckt, die von der Sonne oder von Supernova-Überresten gen Erde geschleudert wurden. Aber keine dieser beiden Quellen verfügt über genug Energie, um als Quelle jener Neutrinos mit der größten Teilchenenergie infrage zu kommen.

Da Neutrinos nur sehr schwach mit anderer Materie interagieren, gestaltet sich schon ihre bloße Entdeckung schwierig. In jedem Moment durchdringen zahllose dieser Teilchen die Erde und ihre Bewohner. Die IceCube-Station, die ein Teil der Amundsen-Scott-Südpolstation ist, nutzt insgesamt 5.160 Lichtsensoren. Diese wurden einzig dafür designt, winzige Lichtblitze aufzuspüren, die entstehen, wenn die kosmischen Neutrinos im Eis mit Atomkernen kollidieren.

Seit 2013 haben sich mehrere besonders energiereiche Neutrinos durch das polare Eis gebohrt und lösten dabei IceCubes Sensoren aus. Allerdings erwies es sich als frustrierend schwierig, sie bis zu einem einzelnen kosmischen Objekt zurückzuverfolgen. Immerhin gaben sie den Forschern aber ein paar Hinweise darauf, wo sich ihre Quellen befinden könnten.

EIN GUTER TAG FÜR DIE FORSCHUNG

Am 22. September 2017 schoss schließlich ein einzelnes Neutrino fast mit Lichtgeschwindigkeit durch die Erde und wurde von den Sensoren registriert. Es wartete mit eindrucksvollen 290 Elektronenvolt auf – fast 50 Mal mehr als die energiereichsten Protonenstrahlen im Large Hadron Collider. Damit begann für die Astronomen erneut die Jagd nach dem Ursprung des Teilchens.

Als sie den Weg des Neutrinos zurückverfolgten, führte er sie an einen Punkt im Sternbild Orion, wo diverse Teleskope fast zeitgleich ein gewaltiges kosmisches Aufflackern entdeckt hatten.

In diesem Bereich unseres nördlichen Nachthimmels war ein weit entfernter, riesiger Blazar erwacht und hatte begonnen, energiegeladene Teilchen in die Leere des Weltalls zu schleudern. Unter diesen Teilchen befanden sich auch Gammastrahlen, die das Fermi Gamma-ray Space Telescope entdeckte.

BELIEBT

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    Die Strahlen hatten ihren Ursprung in einer elliptischen Galaxie namens TXS 0506+056, in deren Zentrum sich ein Supermassereiches Schwarzes Loch befindet. Während es die Materie der Gas- und Staubwolken in seiner direkten Umgebung verschlingt, produziert es Ströme extrem energiegeladener Teilchen, die zufällig in Richtung Erde geschleudert werden.

    „Blazare zählen zu den hochenergetischsten astrophysikalischen Quellen im Universum“, erklärt Maria Petropoulou von der Princeton University. TXS 0506+056 ist einer der hellsten Blazare am Gammastrahlenhimmel. Das ist vor allem auch deshalb bemerkenswert, weil er etwa vier Milliarden Lichtjahre entfernt liegt. Es bedeutet aber auch, dass er einer der Hauptkandidaten für die Produktion hochenergetischer kosmischer Strahlung ist.

    „Das macht schon Sinn – es kann kein kümmerlicher Blazar sein“, sagt Paolo Padovani von der Europäische Südsternwarte in Chile. „Wenn man Neutrinos sieht, müssen die schon einem wirklich leistungsstarken Ungetüm entspringen, andernfalls würde man sie gar nicht erst sehen.“

    In den Tagen und Wochen nach den Entdeckungen von IceCube und Fermi untersuchten gleich mehrere Teams den Blazar. Mehr als ein Dutzend Kollaborationen beobachteten das Objekt in fast allen Wellenlängen des Lichts, darunter auch Radiowellen, Röntgenstrahlen und Gammastrahlen. Tatsächlich schien es so, als hätte ein Gammastrahlenblitz aus dem Blazar das IceCube-Neutrino vom September produziert.

    „Wenn Fermi den nicht auf frischer Tat ertappt hätte, wäre es für uns nur ein weiteres Neutrino gewesen und für sie nur ein weiteres Aufleuchten eines Blazars“, sagt Halzen.

    Aber die Arbeit der Teams war noch nicht beendet.

    RÜCKSCHLÜSSE

    Bald darauf durchsuchten die Forscher ältere Observationsdaten, die Fermi über TXS 0506+056 gesammelt hatte. Sie entdeckten, dass der Blazar Ende 2014 über einen Zeitraum von fünf Monaten schon einmal solche Gammablitze produziert hatte. Als das IceCube-Team Neutrinodaten aus fast zehn Jahren durchging, fand es mehr als ein Dutzend hochenergetischer Neutrinos, die während dieser Zeit auf das Eis am Südpol trafen.

    „Das hätten wir uns nie träumen lassen, so was mal zu sehen – 19 [Neutrinos] in einem Zeitraum von 150 Tagen, das ist einfach Wahnsinn“, sagt Halzen.

    Nun gibt es also zwei unabhängige Beweislinien, die auf TXS 0506+056 als eine Quelle der IceCube-Neutrinos hinweisen.

    ABSCHLIESSENDE WORTE

    Die Entdeckung sei „sehr beeindruckend, und einen Schritt näher daran, den Ursprung der kosmischen Strahlung auszumachen – eines der ungeklärten Rätsel der Astrophysik“, sagt Kathryn Zurek vom Lawrence Berkeley National Laboratory.

    Sowohl sie als auch andere Forscher sehen aber noch ein bisschen Freiraum für Spekulationen.

    „Meiner Meinung nach deuten die Ergebnisse zwar stark auf einen Zusammenhang hin, sind aber noch nicht ganz eindeutig“, so Petropoulou. „Es wäre beispielsweise möglich, dass andere Quellen in derselben Region des Himmels an dem Neutrinostrom beteiligt waren, der von IceCube registriert wurde. Unabhängig davon bringen uns die Ergebnisse aber einen Schritt näher an das Aufspüren der Quelle astrophysikalischer Neutrinos.“

    Die Wissenschaftler stimmen auch überein, dass Blazare wahrscheinlich nicht die einzige Quelle all der kosmischen Strahlen sind, die wir sehen. Die Jagd nach weiteren Quellen hochenergetischer Teilchen geht also weiter.

    „Es gibt einen ganzen Zoo an astrophysikalischen Quellen, die zu dem Fluss an IceCube-Neutrinos beigetragen haben könnten“, sagt Petropoulou. „Zum Beispiel sternbildende Galaxien, interagierende Supernovae, Gammastrahlenausbrüche mit ungewöhnlich geringer Leuchtkraft, Radiogalaxien im Zentrum von Galaxiehaufen und so weiter.“

    Weltall

    Science4:32

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