Die ungesüßte Wahrheit über Zucker

Zucker ist in unserer Ernährung allgegenwärtig. Doch nicht nur in Softdrinks stecken die süßen Kristalle. Schon lange warnen Gesundheitsexperten vor einem zu hohen Zuckerkonsum. Doch wie gesundheitsschädlich ist Zucker wirklich?

Von Sarah Langer
Veröffentlicht am 31. Jan. 2024, 14:00 MEZ
Die ungesüßte Wahrheit über Zucker

Donuts sind voll damit: Zucker. Ist das schädlich für die Gesundheit?

Foto von anniespratt

Laut des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft ist „mehr als jeder zehnte Mensch in Deutschland zuckerkrank. Ungesunde Ernährung wird mit 14 Prozent aller frühzeitigen Todesfälle in Verbindung gebracht.“ Um dem entgegenzuwirken, wurde im Januar 2024 die neue Ernährungsstrategie der Bundesregierung verabschiedet. Sie will rund 90 geplante und bestehende ernährungspolitische Maßnahmen bündeln - mit dem Ziel, gesundes Essen für alle Menschen in Deutschland leichter zu machen. 

„Zucker sind Kohlenhydrate und erstmal nichts Schlechtes“

Doch welche Rolle spielt Zucker in unserer Ernährungsweise überhaupt? Christina Holzapfel ist Ernährungswissenschaftlerin, Professorin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Fulda und Forschungsgruppenleiterin an der Technischen Universität München am Institut für Ernährungsmedizin. Sie erklärt, dass Zucker zuerst einmal nichts Schlechtes sei: „Zucker sind Kohlenhydrate und Kohlenhydrate bilden die Hauptenergiequelle in der menschlichen Ernährung. Es gibt Einfach-, Zweifach-, Mehrfach- und Vielfachzucker. Glukose ist für den menschlichen Organismus sogar lebenswichtig. Wir nehmen aber schlichtweg zu viel davon zu uns“.

Tatsächlich liefern Lebensmittel wie Kartoffeln oder Brot genug Kohlenhydrate, die aus Zuckermolekülen bestehen. Zucker in Form von Schokolade oder in Fertiggerichten ist für die Aufnahme von Glukose gar nicht notwendig, er dient hier vorrangig dem Süßgeschmack oder als Konservierungsstoff.

Besorgniserregender Zuckerkonsum in Deutschland durch freie Zucker

Der Verzehr von Zucker in Deutschland liegt besorgniserregend über dem Richtwert. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt eine Zufuhr von freiem Zucker von unter 10 Prozent der Gesamtenergiezufuhr, was circa 50 Gramm Zucker pro Tag entspricht. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) wären die Hälfte davon noch besser. Die aktuelle Zufuhr der Deutschen pro Tag liegt im Durchschnitt allerdings bei etwa 90 Gramm, also fast doppelt so hoch. 

Das Problem wird durch die „freien Zucker“ verursacht. Darunter versteht man Monosaccharide und Disaccharide, die Lebensmitteln nachträglich zugesetzt werden, sowie die von Natur aus in Honig, Sirup, Fruchtsäften und Fruchtsaftkonzentraten enthaltenen Zucker. Zum Vergleich: In einem Glas Apfelsaft stecken bereits 25 Gramm Zucker - genau wie in einer Dose Coca-Cola. Damit wäre laut WHO der Tagesbedarf an Zucker schon gedeckt. Zuckerhaltige Getränke sind in Deutschland sehr beliebt: 2017 wurden so viele Süßgetränke wie Wasser aus Flaschen konsumiert, rund 148 Liter pro Kopf, so die Deutsche Diabetes Gesellschaft. In Deutschland bildeten mit 36 % jedoch Süßwaren die Hauptquelle für die Zufuhr von freiem Zucker. Der Anteil von Fruchtsaft und Nektar liegt bei 26 Prozent, Limonade bei 12 Prozent.

All diese Lebensmittel enthalten Zucker - manche mehr als andere. 

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Fettleibigkeitsepidemie: Absurde Aussagen der Zuckerlobby

Die WHO spricht von einer „globalen Adipositasepidemie“, denn allein in Deutschland gelten circa 60 Prozent aller Erwachsenen und 15 Prozent aller Kinder als zu dick. Die Folgekosten von Adipositas werden in Deutschland auf circa 63 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt, da durch Übergewicht gesundheitliche Risiken wie Diabetes Typ 2, verschiedene Krebsarten oder chronische Krankheiten entstehen. Grund hierfür sind Fette und Zucker. 

Seit einigen Jahren werden verschiedene Lösungen für das Problem besprochen: Darunter ein Werbeverbot für Kinder, verständliche Nährwertkennzeichnung und eine höhere Besteuerung von Zucker. 

Dagegen wehrt sich die Zuckerindustrie. Der deutsche, gemeinnützige Idealverein foodwatch arbeitet seit vielen Jahren für eine gesündere und gerechter aufgeteilte Ernährung, bei der gesunde Lebensmittel für alle zugänglich und bezahlbar sind, und setzt sich für transparentere Informationen aus Politik und der Lebensmittelindustrie ein. Die Zuckerindustrie täusche, laut foodwatch, „mit haarsträubenden Falschaussagen (…) die Öffentlichkeit, um unliebsame politische Maßnahmen zu verhindern oder zu verzögern“. 

In einem 2022 veröffentlichten Artikel deckt der Verein die „drei absurdesten Aussagen der Zuckerlobby“ auf: Obwohl die Deutsche Diabetes Gesellschaft, die Deutsche Gesellschaft für Ernährung und die WHO einen Zusammenhang zwischen Zuckerkonsum, Fettleibigkeit und einem Diabetesrisiko gesichert ansieht, schreibe die Wirtschaftliche Vereinigung Zucker (WVZ), dass es hierfür keine wissenschaftlichen Belege gäbe und Zucker nicht krank mache. 

Ebenfalls werbe die WVZ damit, dass eine Zuckersteuer wirkungslos wäre, um das „komplexe Übergewichtsproblem zu lösen“. Laut Foodwatch ging jedoch „sowohl in Großbritannien als auch in Mexiko, Finnland, Berkeley oder Frankreich der Zuckergetränke-Verbrauch nach Einführung einer Steuer signifikant zurück.“ In Mexico ging laut eines Berichts aus dem Britisch Medical Journal „der Verkauf süßer Softdrinks im Schnitt um sechs Prozent zurück, dafür stieg der Verkauf nicht besteuerter Getränke, darunter in erster Linie Wasser, um vier Prozent.“

Zuletzt erkläre der Zuckerverband, dass es keinen Unterschied mache, welche Lebensmittel man zu sich nehme, solange man die Kalorienzufuhr eines Tages nicht überschreite. Die Harvard School of Public Health wiederum erklärt, dass man sehr wohl zwischen 100 Kalorien Haferflocken und 100 Kalorien Würfelzucker unterscheiden müsse, da auch die Qualität des Nährstoffs eine Rolle spiele. 

Einige der falschen Aussagen habe der WVZ laut foodwatch mittlerweile zurückgenommen, viele stünden jedoch immer noch auf der Website und würden in Kampagnen verwendet. 

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    Warum essen wir so viel Zucker?

    Zucker war Jahrhunderte lang nur kleinen Bevölkerungsgruppen in Europa zugänglich. Während er von der griechischen und römischen Antike bis ca. 1200 nach Christus als seltenes Importprodukt vor allem als Medizin ("indisches Salz") genutzt wurde, war er im 12. Jahrhundert als Gewürz für Wohlhabende fast flächendeckend erhältlich. Der Plantagenanbau durch Sklaven trieb den Handel ab dem 15. Jahrhundert zwar weit voran, trotzdem blieb das "weiße Gold" den Reichen vorbehalten. Langsam breitete sich der Brauch, Zucker nicht nur als Gewürz, sondern auch zu Dekor-Zwecken zu verwenden, in die nichtadligen Bevölkerungsschichten Europas aus. Schließlich wurde die erste profitable Anlage, um Zuckerrüben zu Zucker zu verarbeiten, 1811 in Frankreich gebaut. Bis Ende des 19. Jh. wird Zucker für alle Bevölkerungsschichten erschwinglich.

    Heute isst jeder Deutsche pro Jahr über 34 Kilogramm Zucker. Waren es im Jahr 1951 noch 28,1 Kilo, erreichte der Pro-Kopf-Zuckerkonsum mit 37,6 Kilo im Jahr 2013 einen Höhepunkt, um seitdem wieder abzunehmen - 2021/22 auf 34,8 Kilo. 

    Doch wieso isst die Gesellschaft so viel Zucker? Ernährungswissenschaftlerin Christina Holzapfel erklärt: „Die meisten Menschen mögen die Kombination von süß und fettig, da man z.B. aufgrund von Muttermilch darauf geprägt wurde. Zusätzlich handelt es sich bei Zucker um Kohlenhydrate, die den Blutzuckerspiegel schnell ansteigen lassen. Das wiederum führt zu einem kurzfristigen schnellen Energieschub und es werden Glückshormone wie beispielsweise Dopamin ausgeschüttet“. 

    Um den Zuckerkonsum in der Gesellschaft langfristig auf ein gesundes Maß zu reduzieren, muss die Politik neue Regelungen aufnehmen - findet auch Ernährungswissenschaftlerin Christina Holzapfel. 

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