Neue Tauchmission OceanX: Erforschung der unergründeten Tiefsee beginnt

Die tieferen Schichten des Meeres sind kaum erforscht. Das soll sich mit dem Projekt „OceanX“ ändern.

Von Annie Roth
Veröffentlicht am 8. Okt. 2024, 13:13 MESZ
Tauchboot im Roten Meer

Eines der Tauchboote beleuchtet im Roten Meer das Gelände am Meeresgrund. Die Erforschung geologischer Merkmale unter Wasser ist schwierig, aber dank der Tauchboote und ROV Technologie aus nächster Nähe möglich.

Foto von Ocean X

An einem warmen Junimorgen ließ ein strahlend weißes, 87 Meter langes Schiff die grünen Felsenklippen der Azoren hinter sich. Die Inselkette im Nordatlantik liegt etwa 1600 Kilometer westlich des portugiesischen Festlands. Das private Forschungsschiff OceanXplorer ragte hoch über das Wasser. Mit dem Hubschrauberlandeplatz am Bug und den zwei gelben Tauchbooten in Hecknähe sah sie fast aus wie eine Superjacht. Am Schiffsrumpf war unter der Meeresoberfläche ein hochauflösendes Sonarsystem zur unterseeischen Geländekartierung angebracht.

Die OceanXplorer war zu einer einzigartigen Mission aufgebrochen. Ihr Ziel: das Taggen von Stumpfnasen-Sechskiemerhaien, um Daten in ihrer natürlichen Umgebung zu sammeln. Diese Region liegt so tief unter der Meeresoberfläche, dass wir über das Verhalten dieser Haie nur wenig wissen. Die prähistorischen Raubtiere, deren Vorfahren erstmals vor 200 Millionen Jahren auftauchten, werden bis zu fünfeinhalb Meter lang und halten sich im Mesopelagial, der Dämmerzone des Ozeans, verborgen.

Die geheimnisvollen Tiefsee-Räuber

Die kalte, fast lichtlose Region erstreckt sich bis in eine Tiefe von mehr als 900 Metern. Von hier aus begeben sich die langsamen Sechskiemerhaie allabendlich in einer dreistündigen Wanderung hinauf in seichteres Gewässer, um nahe den Azoren auf dem Kamm eines Tiefseebergs zu jagen. Zur knapp 70-köpfigen Mannschaft an Bord zählten unter anderem die Haibiologin Melissa Márquez und die südafrikanische Ökologin und Tiefseeforscherin Zoleka Filander, die Entdeckerin mehrerer neuer Arten von Wirbellosen.

Auch der NASA-Veteran Eric Stackpole, Erfinder von Ozeantechnologie, sowie Jorge Fontes und Pedro Afonso, zwei Gastwissenschaftler der Universität der Azoren, gehörten zur Crew. Sie hatten ein Tagging-System entwickelt, um Haie zu orten und zu filmen.

Das Team hoffte, mindestens einen Stumpfnasen-Sechskiemerhai zu finden und ihn mit einer Kamera zu taggen, die später wieder eingesammelt werden würde – etwas, das in der Tiefsee noch nie zuvor gelungen war. Mehrere Tauchgänge in einer bordeigenen „Bubble Sub“ – einer Acrylkugel mit Platz für Besatzungsmitglieder – waren nötig. Selbst damit würden die Forscher nur einen kurzen Blick in die verborgene Welt der Haie erhaschen, denn die getaggte Kamera löst sich nach zwölf Stunden automatisch und steigt dann zur Bergung an die Meeresoberfläche.

Diese Art der Datenerfassung war eine wissenschaftliche Premiere des OceanX-Teams. Das Forschungsteam der gemeinnützigen Initiative hat in den vergangenen Jahren bereits eindrucksvolle Videos von Orcas bei der Jagd auf Buckelwale gedreht und seltene Aufnahmen des Kalmars Taningia danae in seinem natürlichen Habitat gemacht.

OceanXplorer: Eine schwimmende Forschungsstation

Die OceanXplorer ist das Flaggschiff des Forschungs- und Medienunternehmens OceanX. Ray Dalio, Milliardär und Gründer des Hedgefonds Bridgewater Associates, hatte es gemeinsam mit seinem Sohn Mark gegründet. 2018 startete die Organisation mit dem Ziel, „den Ozean zu erforschen und ihn der Welt zurückzugeben“. Ein ehemaliges norwegisches Versorgungsschiff wurde zu einem mobilen Forschungszentrum und Filmset umgebaut.

An Bord gibt es neben Hubschraubern und Tauchbooten auch ferngesteuerte Unterwasserfahrzeuge zum Filmen in tiefen Regionen, sowie bordeigene Labore. Ein Hologrammtisch ermöglicht die Erstellung von Modellen der gesammelten Daten für das Fernsehen. Mehr als 3000 Filmset-Leuchten sind über das Schiff verteilt. Ab August können Fernsehzuschauer auf der ganzen Welt die Ergebnisse der Sechskiemerhai-Expedition verfolgen, die Teil der National Geographic-Dokumentarserie OceanXplorers ist.

Ein berühmtes Werk von Jacques-Yves Cousteau und Louis Malle diente als Inspiration für die Serie OceanXplorers. Die Verfilmung von Cousteaus Bestsellerbuch Die schweigende Welt zählte vor fast 70 Jahren zu den ersten Unterwasserfilmen in Farbe und entfachte weltweit das Interesse am Ozean. Ray und Mark Dalio waren von Cousteaus Arbeit fasziniert und fragten sich: „Wie erzeugt man einen Cousteau-Moment in der Moderne?“

Neue Technologien stehen kurz vor einem wissenschaftlichen Durchbruch, doch sie benötigen weitere finanzielle Förderung und gesellschaftliches Engagement. Eine sechsteilige Doku-Serie mag als Ansporn für das Verständnis der Meere zunächst abwegig erscheinen, doch jede Expedition liefert neue, überraschende Entdeckungen.

Faszinierende Begegnungen in der Tiefe

Ungefähr um 10:30 Uhr liefen rund um das Schiff die Kameras, als die Neptune, eines der beiden Drei-Personen-Tauchboote, langsam in den dunklen Ozean gesenkt wurde. Im Inneren des Tauchbootes saßen die Haibiologin Melissa Márquez, der Meeresökologe Pedro Afonso und ein U-Boot-Pilot. Für Márquez und Afonso war es das erste Mal, dass sie die Gelegenheit hatten, Sechskiemerhaie direkt vom U-Boot aus zu beobachten.

Mehrere Kameras hielten ihre erstaunten Gesichter fest, als das Tauchboot schnell unter der Meeresoberfläche verschwand. Während der insgesamt acht Stunden, die das Team unter Wasser verbrachte, sichteten sie elf Sechskiemerhaie. Jeder Hai zeigte ein eigenes Verhalten – manche blieben auf Distanz, andere schwammen direkt auf das Tauchboot zu oder knapp unter ihm hindurch.

Bis auf ein männliches Jungtier handelte es sich nur um weibliche Haie, was die Vermutung stärkte, dass die Tiere außerhalb der Paarungszeit in gleichgeschlechtlichen Gruppen unterwegs sind. Keiner der Haie bewegte sich schnell. „Sie ist so träge“, stellte Márquez fest, als ein weiblicher Hai im Scheinwerferlicht vorbeizog. „Ich schätze, sie spart Energie. Und es ist kalt da draußen, nur vier Grad.“

Cover National Geographic 9/24

Cover National Geographic 9/24

Foto von National Geographic

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