Was würde passieren, wenn heute der größte Sonnensturm aller Zeiten losbräche?

Wenn es in dieser Sonnenaktivitätsperiode zu einer Eruption wie 1859 beim Carrington-Ereignis kommt, könnten Schäden in Milliardenhöhe und Stromausfälle von bis zu einem Jahr die Folge sein.

Von Richard A. Lovett
Die Nacht liegt über den Südstaaten der USA, als sie im Oktober 2010 von der Internationalen Raumstation überflogen werden.
Foto von NASA

Am 14. Februar kam es auf der Sonne zur größten beobachteten Eruption der letzten vier Jahre – stark genug, um die Funkkommunikation und GPS-Signale für Flugzeuge auf Langstreckenflügen zu stören.

Gemessen an den Maßstäben von Sonnenstürmen verhielt sich die Eruption am Valentinstag zwar eher moderat. Der Ausbruch war allerdings auch nur ein Vorbote des in den kommenden Jahren bevorstehenden Maximums der Sonnentätigkeit.

„Die Sonne hat einen Aktivitätszyklus, der mit den Hurrikansaisons vergleichbar ist“, sagte Tom Bogdan, Direktor des Space Weather Prediction Center in Boulder, Anfang dieses Monats bei einem Treffen der American Association for the Advancement of Science in Washington, D.C.

„Sie hat sich vier oder fünf Jahre lang weitestgehend ruhig verhalten.“ Jetzt wacht sie langsam auf, und obwohl die Aktivität im bevorstehenden Maximum der Sonnenaktivität insgesamt rekordverdächtig gering ausfallen könnte, sind extrem starke Einzelereignisse nicht auszuschließen.

Der heftigste dokumentierte Sonnensturm ereignete sich 1859, während eines Maximums der Sonnenaktivität, dessen Intensität nach Angaben der NASA ungefähr dem entsprach, in das wir gerade eintreten.

Der damalige Sturm wird heute nach dem britischen Astronomen Richard Carrington als Carrington-Ereignis bezeichnet. Carrington beobachtete die gigantische Eruption und war der erste, der einen Zusammenhang zwischen der Sonnenaktivität und den geomagnetischen Störungen auf der Erde erkannte.

Das Carrington-Ereignis führte zu Polarlichtern, die selbst in Kuba und Honolulu beobachtet werden konnten. Südlichter wurden noch weit im Norden in Santiago de Chile gesichtet. „Die Eruptionen waren so energiereich, dass Menschen im Nordosten der USA ihre Zeitung im Licht des Polarlichts lesen konnten“, sagte Daniel Baker vom Laboratory for Atmospheric and Space Physics der University of Colorado auf einer Geophysikertagung im vergangenen Dezember.

„Die geomagnetischen Störungen waren so stark, dass Telegrafenämter von Funkenschlag aus ihren Geräten berichteten, der teilweise sogar das Papier in Brand setzte“, erinnerte sich Ed Cliver, Weltraumphysiker am U.S. Air Force Research Laboratory in Bedford, Massachusetts, USA.

1859 wurden solche Ereignisse als Kuriositäten berichtet. Träte ein ähnliches Ereignis heute auf, würde jedoch möglicherweise die gesamte Hightech-Infrastruktur der Welt zusammenbrechen.

„Heute stehen die hochgezüchteten technischen Infrastrukturen auf dem Spiel, die inzwischen nahezu alle Bereiche unseres Lebens durchdringen“, erklärte Tom Bogdan vom Space Weather Prediction Center.

SONNENERUPTIONEN WÜRDEN DEN „CYBER-KOKON“ DER ERDEN AUFBRECHEN

Nach den Worten von Daniel Baker von der University of Colorado würden elektromagnetische Störungen von der Stärke, die damals Telegrafiegeräte zerstörten – also „das Internet der damaligen Zeit“ – heute erheblich größere Schäden anrichten.

Sonnenstürme, die sich zur Erde bewegen, kommen hier in drei Phasen an.

Nicht alle Phasen treten bei jedem Sturm auf. Zuerst wird durch hochenergetisches Sonnenlicht, vor allem Röntgen- und UV-Strahlen, die obere Atmosphäre ionisiert. Dadurch wird der Funkverkehr gestört. Danach folgt ein Strahlensturm, der ungeschützten Astronauten gefährlich werden kann.

Zum Schluss folgt ein koronaler Massenauswurf (CME): eine langsam bewegte Wolke geladener Partikel, die mehrere Tage benötigen kann, um die Erdatmosphäre zu erreichen. Wenn ein CME auf die Erde trifft, können die Sonnenpartikel mit dem Magnetfeld der Erde wechselwirken und dabei starke elektromagnetische Feldschwankungen induzieren.

„Wir leben in einem Cyber-Kokon, in den die ganze Erde eingesponnen ist“, beschrieb Baker die Situation. „Stellen Sie sich einmal die möglichen Konsequenzen vor.“

„Besonders problematisch sind Störungen des GPS-Systems, das von Mobiltelefonen, Flugzeugen und Fahrzeugen genutzt wird“, ergänzte Baker. Es wird erwartet, dass die GPS-Industrie von einem Umsatz von 13 Milliarden US-Dollar im Jahr 2003 bis 2017 auf fast 1 Billion US-Dollar im wachsen wird.

Laut Baker wäre außerdem die Satellitenkommunikation gefährdet, die inzwischen ebenfalls zu einem integralen Bestandteil vieler Alltagsaktivitäten geworden ist.

„Jede Tankfüllung, die Sie mit Ihrer Kreditkarte bezahlen, ist mit einer Satellitentransaktion verbunden“, sagte er.

Die größten Sorgen betreffen jedoch das Stromversorgungsnetz, da Spannungsspitzen, die von Sonnenpartikeln induziert wurden, riesige Transformatoren zerstören könnten. „Derartige Transformatoren zu ersetzen, könnte sehr lange dauern – insbesondere, wenn Hunderte dieser Anlagen gleichzeitig zerstört würden“, meinte Baker, der auch Co-Autor eines Berichts des Nationalen Forschungsrats der USA zu den Gefahren von Sonnenstürmen ist.

Ed Cliver vom U.S. Air Force Research Laboratory pflichtet ihm bei: „Diese Anlagen werden nicht auf Vorrat gebaut.“ Die Osthälfte der USA ist besonders verletzlich, weil die Stromversorgungsinfrastruktur dort sehr eng vernetzt ist. Deshalb könnte es zu Dominoeffekten kommen.

„Stellen Sie sich vor, dass große Städte eine Woche, einen Monat oder ein Jahr lang ohne Strom sind“, forderte Baker die Zuhörer auf. „Die Schäden könnten sich leicht auf 1 bis 2 Billionen US-Dollar summieren. Die Folgen wären jahrelang spürbar.“

Selbst wenn das bevorstehende Maximum der Sonnentätigkeit keinen Sturm der Stärke des Carrington-Ereignisses mit sich bringt, können die Strom- und Kommunikationsnetze auch durch kleinere Stürme gestört werden.

Die „Halloween-Stürme“ von 2003 interferierten zum Beispiel mit der Satellitenkommunikation, führten zu einem kurzen Stromausfall in Schweden und erzeugten Polarlichter, die bis nach Florida und Texas sichtbar waren.

WELTRAUM-WETTERVORHERSAGEN VERBESSERN

Eine mögliche Lösung wäre es, das ohnehin alternde Stromnetz so aufzurüsten, dass es gegenüber Störungen durch Sonnenstürme weniger anfällig wird.

Eine andere Option sind bessere Vorhersagen. Wissenschaftler, die mit dem Sonnenforschungssatelliten Solar Dynamics Observatory arbeiten, hoffen auf neue Erkenntnisse zum Verhalten der Sonne, wenn diese ihrem nächsten Maximum der Sonnenaktivität näherkommt und größere Stürme erzeugt.

Anhand der Ergebnisse ihrer Untersuchungen lässt sich möglicherweise besser vorhersagen, wann und wo Sonneneruptionen auftreten könnten und ob ein bestimmter Sonnensturm die Erde treffen wird.

„Verbesserte Vorhersagen verschaffen [den Behörden] die Möglichkeit, Maßnahmen zur Begrenzung von Schäden zu ergreifen“, sagte Rodney Viereck, Physiker am Space Weather Prediction Center.

Schon jetzt bewegen sich die gefährlichsten Emissionen großer Stürme laut Tom Bogdan so langsam, dass sie von Sonnenbeobachtungssatelliten lange vor ihrem Auftreffen auf die Erde erkannt werden. „Wir haben dann noch [ungefähr] 20 Stunden Zeit, zu entscheiden, welche Maßnahmen wir ergreifen wollen“, berichtete Viereck.

Notfalls könnten Stromversorger wertvolle Transformatoren schützen, indem sie diese vor der Ankunft des Sturmes vom Netz trennen. Dies würde zwar zu regionalen Stromausfällen führen, aber nur für vergleichsweise kurze Zeit.

„Die gute Nachricht ist, dass diese Stürme meist nach wenigen Stunden abklingen“, fügte Bogdan hinzu. Inzwischen versuchen Wissenschaftler, alle verfügbaren Informationen über die Sonne zusammenzufassen, um möglichst bald noch langfristigere Vorhersagen treffen zu können.

Laut Viereck gibt es bei Weltraum-Wetterprognosen einen gewissen Nachholbedarf: „Wir sind ungefähr da, wo Erd-Wetterforscher vor 50 Jahren standen.“

Artikel in englischer Sprache veröffentlicht am 4. März 2011

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