Hinter den Kulissen von Chinas übertriebenen Hochzeitsshootings

Während der Modernisierung Chinas und dem Aufstieg der Mittelklasse haben sich Hochzeiten zu einem einträglichen Geschäft entwickelt – und zu einer Möglichkeit für Paare, ihren Reichtum und ihre Persönlichkeit zur Schau zu stellen.

Von Nina Strochlic
bilder von Guillaume Herbaut
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:33 MEZ

Vor ein paar Jahren war der Fotograf Guillaume Herbaut in Shanghai für einen Bericht über den „Love Market“ – ein Hochzeitsmarkt, auf dem sich Eltern treffen, um ihre alleinstehenden Kinder zu verkuppeln. Auf seinem Weg schaute er bei einem Unternehmen namens The Only Photo Studio vorbei. Darin fand er ein Disneyland mit Hochzeitsthema, mehr als 20 dramatische Fotokulissen von verschneiten Schlössern bis hin zu griechischen Inseln. Maskenbildner, Kostümdesigner und Fotografen führten die verlobten Paare von Szene zu Szene und lichteten die nachgespielten Fantasy-Hochzeiten ab.

„Es war eine Mischung aus echten Liebesgeschichten [und] nachgestellten Szenerien“, erinnert sich Herbaut. „Der Eindruck, dass die Universen der Seifenopern aus den 80ern Realität wurden.“

Zu Hochsaison, so erfuhr er, kommen bis zu 80 Paare pro Tag in das Studio, um in voller Montur ihre Porträts von den 60 hauseigenen Fotografen machen zu lassen.

Im letzten Jahrhundert hat sich das Heiraten in China dramatisch verändert. Traditionell wurden Ehen von Eltern und Heiratsvermittlern arrangiert – man brauchte nicht einmal die Zustimmung von Braut und Bräutigam. Als die letzte Dynastie des Kaiserreichs im frühen 20. Jahrhundert zu Ende ging, wurde die Hochzeitsfotografie eingeführt. Aber wie viele Aspekte der Zeremonie wurden auch die Bilder für den Eindruck wertgeschätzt, den sie nach außen vermittelten, und nachfolgenden Generationen vermacht.

Als wirtschaftliche Reformen im 20. Jahrhundert eine chinesische Mittelklasse hervorbrachten, verschob sich der Fokus der Hochzeiten auf das Brautpaar. Als Werkzeug dieser neugewonnenen Personalisierung explodierte die Beliebtheit vorhochzeitlicher Studio-Shootings geradezu.

„Fotoshootings sind fast wie Cosplay“, sagt Jiajing Mao, ein Experte für chinesische Hochzeitstraditionen. Viele Paare machen nicht nur Fotos von sich selbst in Anzügen und Kleidern, sondern gestalten auch den Hintergrund so wie zu ihrer Schulzeit, zur Zeit der kulturellen Revolution, zur Zeit der Republik China oder wie Szenen des alltäglichen Lebens. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie zusammen zur Schule gegangen sind, [diese geschichtliche] Periode miterlebt oder ein sehr ähnliches Leben gelebt haben.“

Vermutlich stammt der Fotostudiotrend aus Taiwan, wo er zum Verkauf von Kleidern genutzt wurde, und kam in den 1980ern dann nach China. Mittlerweile ist es eine milliardenschwere Industrie. Die Kunden, die Herbaut im Only Photo Studio getroffen hat, gaben pro Termin zwischen 400 und 18.000 Dollar aus.

Chinesische Familien gaben geschichtlich gesehen schon fast immer große Geldsummen für Hochzeiten aus, sagt Tianyi Li, der eine mündliche Geschichte von Hochzeitsritualen in der chinesischen Provinz Jiangsu zusammenstellt. Laut Statistiken, auf die er sich beruft, kosten moderne Hochzeiten im Schnitt 11.000 Dollar – das ist mehr als das typische Jahreseinkommen eines städtischen Arbeiters.

Nun, da luxuriöse Hochzeiten von Stars live im Fernsehen übertragen werden, hofft jeder, ein bisschen Glanz und Glamour für sich zu erhaschen. Letztes Jahr heiratete die „Kim Kardashian Chinas“ in einer 30 Millionen Dollar teuren Zeremonie.

Manche Paare gehen vor ihrem großen Tag nach Thames Town, ein Viertel nach britischem Vorbild in Shanghai. Wer das nötige Kleingeld hat, verzichtet auf nachgeahmte Hintergründe und verreist. Chinesische Reiseunternehmen bieten Fotoshooting-Pakete für verlobte Paare an. England mit seinen Schlössern und pastoralen Landschaften ist zu einer besonders beliebten Shooting-Location geworden. Das liegt nicht zuletzt am Erfolg von Sendungen wie „Downton Abbey“ in China.

Auch Retro-Trends werden langsam beliebt. Zu Zeiten des Kaiserreichs trugen Brautpaare offizielle Gewänder zu ihrer Hochzeit. Nun, so Mao, haben Unternehmen damit begonnen, traditionelle Hochzeitspakete inklusive der altmodischen Kleidung anzubieten. „Viele Leute beginnen zu hinterfragen, warum wir hauptsächlich Hochzeitskleider im westlichen Stil haben, aber nur selten traditionelle chinesische Gewänder. Sie versuchen also, zu ihren Wurzeln zurückzufinden“, erklärt Mao.

Diese Trends finden vor dem Hintergrund fallender Hochzeitsraten in China statt. Aufgrund der Ein-Kind-Politik gibt es ein dramatisches Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern, mit einem Überschuss an Männern. Chinas Frauen sind gebildeter als je zuvor, und die Geburtenrate ist rückläufig. Diese demografischen Änderungen lockern auch alte Tabus auf. Zum Beispiel gilt es nun langsam als akzeptabel für eine Frau, einen verwitweten Mann zu heiraten, selbst einen, der weniger verdient als sie.

Sogar jene, die lange vor dem Aufkommen aufwendiger Fotoshootings geheiratet haben, bekommen nun ihren Moment vor der Kamera. Heutzutage, so der Geschichtswissenschaftler Tianyi Li, arrangieren einige Altenpflegeheime Fotoshootings für Paare, die ihre Goldene Hochzeit feiern.

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