Fotografie: Wo sind die Frauen?
Beeindruckende Naturfotografie zeigt die Schönheit der Welt. Doch nicht alle Menschen hinter der Kamera erhalten die gleiche Sichtbarkeit – die Arbeit von Fotografinnen scheint in der männerdominierten Branche oft unterzugehen.
Schaut man auf die großen Wettbewerbe für Tier- und Naturfotografie der letzten Jahre fällt auf: Die prämierten Fotografien zeigen spektakuläre Aufnahmen wilder Tiere, eindrucksvolle Landschaften und kreativ inszenierte Details aus der Natur – Highlights, die auch wir bei nationalgeographic.de gerne vorstellen. Doch so unterschiedlich die Motive auch sind, die meisten Gewinnerbilder haben eines gemeinsam: Sie wurden von Männern aufgenommen.
Ich selbst arbeite als Fotografin. Und so fällt mir dieser Umstand womöglich besonders auf. Doch ich weiß auch, dass es jede Menge Fotografinnen gibt, die Preise oder Magazin-Cover verdient hätten und deren Arbeiten ich ebenso kunstvoll, kreativ und einfühlsam finde wie die der männlichen Kollegen. Und so frage ich mich: Woher rührt diese Diskrepanz?
Frauen bei Wettbewerben und in Magazinen in der Unterzahl
Die Frage, ob es sich womöglich um mein individuelles Gefühl – also eine kognitive Verzerrung – handelt, ist durch Nachzählen schnell ausgeräumt. Beim Europäischen Naturfotograf des Jahres 2024 von der Gesellschaft für Naturfotografie (GDT) stammen lediglich elf der 92 prämierten Fotos von Fotografinnen. Auch der Gesamtsieger und die meisten Gewinner der einzelnen Kategorien sind männlich. Ähnlich beim Wildlife Photographer of the Year-Award, der als einer der renommiertesten weltweit gilt: Nur neun der insgesamt 100 prämierten oder vorgestellten Fotos im letzten Jahr wurden von Frauen fotografiert.
Galerie: Die Gewinnerbilder des „Wildlife Photographer of the Year“ 2024

Gleiches gilt für Magazincover und Titelstories. Das zeigt eine Auswertung von Freelens e.V., der größten Organisation für Fotografinnen und Fotografen in Deutschland, dem Deutschen Journalisten-Verband (DJV) Nord und dem Female Photoclub aus dem Jahr 2022: Bei 72 untersuchten Magazinen und insgesamt 928 Ausgaben waren lediglich 25 Prozent der Titelseiten von Fotografinnen und Illustratorinnen gestaltet.
Natalia Carstens ist Vorständin des Female Photoclub, der als Interessenverband Fotografinnen innerhalb der Branche vernetzen will. Sie erklärt mir, dass auch National Geographic Deutschland keine Ausnahme ist: „Nur acht Prozent der Coverfotos im Jahr 2022 waren von Frauen fotografiert“, sagt sie. Auch andere Zeitschriften wie Geo wiesen mit jeweils über 60 Prozent einen deutlichen Männerüberschuss auf, beim Walden Magazin waren es sogar 100 Prozent. „Diese Zahlen verdeutlichen die anhaltende Ungleichheit in der Fotografiebranche, sowohl in der Sichtbarkeit als auch in der Anerkennung weiblicher Arbeit“, sagt Carstens.

Der Ausschnitt der Auswertung von Magazincovern aus dem Jahr 2022 zeigt: Fotografinnen sind deutlich unterrepräsentiert.
Auch das National History Museum in London, das den Wildlife Photographer of the Year verleiht, ist sich der Problematik bewusst. Auf Anfrage heißt es, die wechselnde internationale siebenköpfige Jury küre ihre Favoriten anonym. Seit 2018 würde das Gremium zudem von Frauen geleitet – zuletzt von National Geographic-Fotoredakteurin Kathy Moran. Außerdem sollten für den nächsten Award 2025 gezielt Fotograf*innen, die weiblich oder nicht-binär sind, sowie Fototalente aus global unterrepräsentierten Regionen angesprochen werden. Und: Im letzten Jahr habe es mit 38 Prozent eine Rekordteilnahme von weiblichen Teilnehmerinnen gegeben.
Karine Aigner hat es geschafft: 2022 wurde sie als fünfte Frau in der mittlerweile 60-jährigen Geschichte des Wettbewerbs Gesamtsiegerin des Wildlife Photographer of the Year. Den begehrten Preis gewann sie mit der Weitwinkel-Makroaufnahme eines Paarungsrituals südtexanischer Kaktusbienen, bei dem eine Schar von Männchen ein Knäuel um ein Weibchen bildet. Aigner ist in Saudi-Arabien aufgewachsen und lebt heute in den USA. Nachdem sie zuvor neun Jahre als leitende Bildredakteurin beim National Geographic Kids Magazine gearbeitet hatte, entschied sie sich 2011 für die Freiberuflichkeit. Auf meine Mail antwortet sie schnell – und während mich die geringe Anzahl an Siegerinnen in all den Jahren bewegt, sieht sie das Thema erstaunlich gelassen: „Frauen gewinnen vielleicht weniger Wettbewerbe, aber möglicherweise nehmen sie auch einfach weniger teil?“
Erfolg in der Fotografie: Eine Frage der Mittel – oder der Entschlossenheit?
Dafür gibt es viele Gründe. „Diese Genres erfordern oft Reisen und längere Aufenthalte in der Natur, was mit höheren Kosten und einer größeren zeitlichen Flexibilität verbunden ist“, sagt Natalia Carstens. Das kann sich nicht jede leisten: Laut der Künstlersozialkasse (2022) haben künstlerisch frei arbeitende Frauen ein um 34 Prozent niedrigeres Einkommen als Männer. Der Gender Pay Gap ist in der Branche also massiv – und auch ich selbst habe es schon erlebt: Während ein befreundeter Fotograf für eine ausführliche Dienstreise und Werbefotos eine fünfstellige Gage erhielt, sollte ich für eine ähnliche, wenn auch kürzere Reise und Werbefotos kein Honorar bekommen.
Außerdem gibt es Ungleichheiten in Sachen Betreuungs-, Familien- und Hausarbeit. Die Statistikplattform Statista sowie der sogenannte Gender Care Gap besagen, dass Frauen wöchentlich rund 30 Stunden unbezahlte Care-Arbeit stemmen. „Das erschwert die Vereinbarkeit von Karriere und anspruchsvollen Fotoprojekten“, sagt Natalia Carstens. Dazu kämen geschlechtsbezogene Vorurteile. So veröffentliche eine Fotografin im Outdoorbereich ihre Arbeit unter einem geschlechtsneutralen Agenturnamen, „damit Kund*innen ihr auch größere Touren und Reisen mit schwerem Gepäck zutrauen.“
Die Auswahl des besten Bildes erfolgt unabhängig vom Geschlecht
Karine Aigner sieht die größte Hürde allerdings woanders: nämlich in der persönlichen Entscheidung, wie viel eine Fotografin für ein Foto zu opfern bereit ist. „Fotografie ist in vielerlei Hinsicht einschränkend“, sagt sie. Das gelte für Frauen und Männer gleichermaßen. Bei allen finanziellen und körperlichen Herausforderungen gehe es am Ende vor allem um den eigenen Willen: „Bist du bereit, einen Monat im Auto zu schlafen, dich von Ameisen überrennen zu lassen oder im Regen zu zelten, um ein Bild zu machen?“ Wer den Weg als Naturfotograf*in wirklich gehen wolle, müsse sich den Härten des Berufs stellen – unabhängig vom Geschlecht.
Außerdem sagt Aigner: „Ich habe immer die Person engagiert, die den Job am besten machen kann – egal, ob Mann oder Frau.“ Entscheidend sei die Qualität der Arbeit, nicht das Geschlecht. Statt sich also nur auf mögliche Ungerechtigkeiten zu fokussieren, müsse man sich laut Aigner fragen: Wie bekommen wir mehr Frauen dazu, auf dem Niveau der besten Fotografen zu arbeiten?
Girls Who Click: Fotografie-Nachwuchs braucht mehr weibliche Vorbilder
Mir wird klar: Sowohl in vielen Redaktionen als auch in den meisten Jurys der Wettbewerbe werden viele Entscheidungen bereits von Frauen getroffen – und Männer nicht zwangsläufig bevorzugt. Und auch ein Netzwerk, das mehr Frauen in die von Männern dominierte Branche bringen will, gibt es schon: Girls Who Click. Seit 2017 fördert die Non-Profit-Organisation junge Frauen in der Naturfotografie. Es gibt kostenlosen Workshops und Mentoring-Programme.
Lea Milde ist eine von vielen Fotografinnen in diesem Netzwerk. Die 31-jährige Wildtierbiologin fotografiert nun seit sechs Jahren. Google führt sie mittlerweile als „Internetpersönlichkeit“, über 100.000 Menschen folgen ihr auf Instagram. Bei „Girls Who Click“ findet sie Menschen, mit denen sie sich austauschen kann. Nicht selten geht es dabei um ganz banale Dinge wie Frauenhygieneartikel: „Wie mache ich das, wenn ich 48 Stunden im Hide sitze und meine Periode bekomme? Darüber kann ich mich mit Männern nicht austauschen, weil sie diese Probleme nicht haben.“ Im Netzwerk habe sie auch zahlreiche Vorbilder gefunden. „Davor konnte ich vermutlich gerade einmal drei Frauen aufzählen, die wirklich etabliert in diesem Bereich sind. Mittlerweile kenne ich so viele von ihnen – und das zeigt mir einfach, was man erreichen kann.“

Obwohl Lea Mildes Herz für Südafrika schlägt, muss sie für ihre Fotografie nicht weit weg reisen: Hier ist sie mit einem Kanu in Lübeck auf der Wakenitz unterwegs.
Was Milde oft umtreibt und teils sogar vom Fotografieren abhält, ist das Thema Sicherheit, erzählt sie. „Wenn ich alleine unterwegs bin, ist das Thema immer präsent. Ich muss mich zum einen vor Tieren schützen, deren Verhalten ich jahrelang studiert habe und gut einschätzen kann – aber auch vor anderen Menschen, deren Absichten für mich unvorhersehbar sind.“ Um in fremden Umgebungen oder nachts alleine loszuziehen, müsse sie diese Hürde überwinden. „Für Männer mag diese womöglich grundsätzlich etwas kleiner sein, vielleicht würden sie für das perfekte Foto eher einen Schritt weiter gehen“, sagt Milde.
Hier kann ein Netzwerk mit anderen fotografierenden Frauen vielleicht nicht viel ausrichten. In einer anderen Sache hat ihr die Vernetzung mit internationalen Fotografinnen jedoch Mut gemacht: Seit einigen Jahren nimmt Milde an Awards wie dem WPY teil und ist dort mittlerweile schon mehrmals in die engere Auswahl der Jury gelangt. „Das habe ich auch dem Input meiner Mentorinnen zu verdanken, vorher habe ich mir das nicht zugetraut“, sagt sie.
Frauen ermutigen, Herausforderungen anzunehmen
Der wachsende Erfolg der Angebote von Girls Who Click zeigt: Viele Frauen wollen mit ihrer Leidenschaft und Arbeit erfolgreich sein – und auch Titelstories fotografieren. Auch die gehen nämlich immer noch meist an männliche Kollegen. Ich möchte wissen, wie es zu diesen Entscheidungen kommt und spreche mit Kathy Moran. Bis vor drei Jahren arbeitete sie als stellvertretende Leiterin der Fotoredaktion bei National Geographic. 20 Jahre hat sie nach den besten Fotostrecken für die US-Ausgabe des Magazins gesucht, heute ist sie im Ruhestand. Ich erreiche sie via Zoom-Call in ihrem Zuhause im verschneiten Maine. Wichtig sei, dass Fotografinnen mit eigenen Ideen und neuen Ansätzen an die Redaktionen treten, sagt sie. „Sie müssen auf ihre Vision vertrauen und voll hinter der Geschichte stehen, die sie erzählen wollen.“
Ein weiterer Punkt sei, dass Morans Erfahrung nach viele Frauen das schlichte Dokumentieren von Lebenszyklen von Tieren weniger interessierte. „Vor zehn bis fünfzehn Jahren beschäftigten sich viele Fotografinnen mit komplexen geopolitischen Themen. Sie dokumentierten die Situation in Krisengebieten, reine Naturgeschichten jedoch oft weniger“, sagt sie. „Erst als wir beim Magazin unseren Ansatz änderten – hin zu einer umfassenderen Erzählweise über Naturschutz – waren Frauen daran interessiert, diese Geschichten zu erzählen.“ So habe eine Fotografin einen Auftrag abgelehnt, als sie eine klassische Naturgeschichte über Fledermäuse machen sollte. „Später lieferte sie eine Reportage über Zoonosen – eine Geschichte mit vielen Fledermäusen, aber eben in einem anderen Kontext, den sie erzählen wollte.“
Grundsätzlich sei gutes Storytelling immer der Schlüssel für eine Geschichte in einem Magazin – nicht einzelne gute Aufnahmen: „Ich möchte ein komplettes Narrativ“, sagt sie. „Ein Porträt eines Löwen, die mütterliche Fürsorge, Interaktionen im Rudel, die Jagd, und dann die größeren ökologischen und menschlichen Herausforderungen.“ Es gehe darum, die breite Perspektive zu zeigen. Die finde man derweil auch vor der eigenen Haustür, nicht nur in der Serengeti. „Du kannst eine großartige Geschichte über Eichhörnchen in deinem Garten erzählen, wenn du etwas einfängst, das niemand anders zuvor gezeigt hat.“ Als erfahrene Bildredakteurin ist Moran überzeugt, dass Fotograf*innen damit auch nachhaltig Anklang bei Wettbewerben und Magazinen finden könnten.
Zukunft der Fotografie: Eine Herausforderung für alle
Moran rät außerdem dazu, sich als Fotograf*in nicht auf Genres zu limitieren. „Man sollte in der Lage sein, alles zu fotografieren.“ Die Branche habe sich in den letzten Jahren stark verändert, und noch nie hätten Frauen so viele Möglichkeiten gehabt, in ehemals männlich dominierte Felder vorzudringen. Talent, Hingabe und eine starke Erzählweise seien entscheidender als das Geschlecht.
Karine Aigner geht sogar noch weiter: „Naturfotografie kann als das Feld mit den wenigsten Einschränkungen angesehen werden – sie ist offen für alle.“ Natur sei schließlich überall. Tatsächlich sind ein tiefes Naturverständis, eine gute Idee und eine Handykamera manchmal schon alles, was man braucht, um ein preisgekröntes Bild zu machen. Letztes Jahr wurde genau so ein Foto, aufgenommen mit einem Smartphone, erstmals von der Jury des WPY als „highly commended“ besonders anerkannt.
Dass unter den Sieger*innen immer öfter auch Frauen sind, zeigt zu guter Letzt ein aktuelles Beispiel: Der Gesamtsieg des frisch vergebenen Close-Up Photography Award 2025 ging an Svetlana Ivanenko – mit einem Foto zweier kämpfender Hirschkäfer-Männchen.

