Ein Land, in dem der Glaube ein „notwendiges Übel“ ist
Ein Fotograf erforscht den Schnittpunkt von Glaube, Aberglaube und Politik in der Nachkriegszeit der Demokratischen Republik Kongo.
Als der Fotograf Léonard Pongo aufwuchs, war die Demokratische Republik Kongo für ihn ebenso eine Faszination wie ein Geheimnis. Als Sohn eines kongolesischen Vaters und einer belgischen Mutter wuchs Pongo in Belgien auf und besuchte die DRK erstmals 2011, um über die mit Spannung erwartete Präsidentschaftswahl zu berichten.
Obwohl er mit Nachrichten aus seinem Land aufgewachsen war, erschreckte es ihn, wie sehr die DRK von seinen Erwartungen abwich. „Ich habe mich sehr verloren gefühlt. Mir fehlten Bezugspunkte“, sagt er. „Für mich wurde sehr deutlich, dass das alltägliche Leben im Land sehr weit von den Ereignissen entfernt war, die ich dokumentierte.“
Obwohl Pongo Recherchen über die religiöse Verehrung in der DRK angestellt hatte, war er von ihrer Vorherrschaft und ihrer Häufigkeit bei seinem ersten Besuch dennoch verblüfft: Mehr als 70 Prozent der 77 Millionen Einwohner des Landes wohnen wöchentlich einem Gottesdienst bei, und von denen sind 90 Prozent Anhänger einer der Formen des Christentums.
Einige von Pogos Familienmitgliedern waren Teil einer Erweckungsbewegung, was er besonders faszinierend fand. Erweckungsbewegungen sind christliche Strömungen, die sich in der DRK seit den 1980ern ausbreiten. Die Praktiken dieser unabhängigen Kirchen verbinden Doktrinen des Protestantismus mit Ritualen, die aus einer einheimischen Mischung aus Aberglaube und Hexerei bestehen. In diesen Kirchen wird auch der Glaube daran weiterverbreitet, dass Menschen von bösen Geistern besessen werden können.
Während eines typischen Gottesdienstes neigt der Pfarrer dazu, Exorzismen durchzuführen, indem er die versammelten Gemeindemitglieder leidenschaftlich anschreit und so Dämonen aus ihren Körpern austreibt. Es ist nicht ungewöhnlich, dass diese außergewöhnlichen Darbietungen – die in der extremen Hitze manchmal bis zu fünf Stunden dauern – damit Enden, dass sich erschöpfte Gläubige unkontrolliert auf dem Boden wälzen. Ein Korb wird herumgereicht, um Spenden zu sammeln.
Die selbsternannten Pfarrer sind oft junge, charismatische Männer, die in der DRK einen enormen Einfluss gewonnen haben. Oft gelang ihnen das auch, weil sie behaupteten, besondere Gaben von Gott erhalten zu haben. Manche sprechen in Zungen und behaupten, prophetische Visionen der Zukunft zu erhalten. Andere haben angeblich die Fähigkeit, Krankheiten nur durch Handauflegen heilen zu können.
Pongo erzählt von einer Begebenheit, als ein Cousin ihn zu einem dieser Pfarrer brachte, der ihm direkt die Erlaubnis gab, den Gottesdienst zu fotografieren. Dann besprach der Pfarrer „Geschäftliches“ mit Pongos Cousin, der zur damaligen Zeit eine Kampagne am Laufen hatte, um ein Lokalpolitiker zu werden. „Der Pfarrer erklärte ihm, wie viel Macht er hatte und wie einfach es für ihn wäre, seinen Anhängern zu erklären, dass sie Gottes Willen folgen würden, wenn sie ihn [meinen Cousin] wählten“, sagt Pongo. „Nach einigen Verhandlungen stand der Deal: 500 Stimmen für 500 Dollar.“
„Am Anfang war ich sehr verärgert darüber, wie viel Macht [die Pfarrer] haben“, sagt Pongo. Aber je länger er die unheimlichen Riten dieser Religion fotografierte, desto besser konnte er sich in die Gläubigen hineinversetzen. „[Die Kirchen] sind ein Ort, an dem die Menschen den Druck eines ziemlich harten Lebens abbauen können“, sagt Pongo. „Ihr Glaube war echt.“
Neben diesem Lichtstrahl der Hoffnung und des Trosts bieten die Kirchen auch öffentliche Dienstleistungen an, an denen es in vielen Gebieten der Nachkriegs-DRK noch mangelt. Allein im Bereich der Grundschulbildung gehen mehr als 70 Prozent aller Schüler auf Schulen, die zwar finanziell von der Regierung gefördert, aber von religiösen Institutionen verwaltet werden. Pongo sagt, dass die Kirchen, die er erlebt hat, zwar korrupt und ausbeuterisch erscheinen, dass es den Menschen ohne sie aber an grundlegenden Dienstleistungen mangeln würde. Das hat ihn dazu inspiriert, seiner Arbeit den Titel „The Necessary Evil“ (dt. Das notwendige Übel) zu geben.
Das Projekt war nur der Anfang eines langfristig angelegten Vorstoßes, um zu dokumentieren, wie das Leben in der Demokratischen Republik Kongo aussieht. Um das zu erreichen, will er sich mehr auf jene Themen konzentrieren, die für die Erfahrungswelt der Kongolesen von zentraler Bedeutung sind.
„Die Presse neigt dazu, den Kongo als bloße geopolitische Katastrophe und als Land in einer Krise zu sehen“, sagt er. „Die Krisen und Kriege sind zwar echt, aber ich habe begriffen, dass das Volk der Kongolesen nicht nur durch diese Kriege definiert wird. Die Menschen haben Leben, Identitäten, Träume und Ambitionen.“
Um ganz in die Kultur abtauchen zu können, hat er damit begonnen, die Lokalsprachen Lingala – die im Westen gesprochen wird – und Tshiluba zu lernen. Letztere wird in der Region Kasai gesprochen, aus der sein Vater stammt. Er hat sich auch mit Crews der lokalen TV-Sender in diversen Regionen zusammengetan.
„Ich kann all diese kleinen Veranstaltungen dokumentieren, die für die Einheimischen wirklich von Bedeutung sind, obwohl sie international völlig irrelevant sind“, sagt er. „Ich wette, dass eine Kombination all dieser kleinen Events letzten Endes mehr über das Leben in der DRK verraten kann.“
Léonard Pongo auf seiner Webseite folgen.