Fund in Jerusalem könnte antikes Konzertgebäude sein

Bei Ausgrabungen an der Klagemauer entdeckten Archäologen ein öffentliches Gebäude, das Platz für 200 Leute bot.

Von Sarah Gibbens
Veröffentlicht am 9. Nov. 2017, 03:46 MEZ
Römisches Auditorium unter Klagemauer entdeckt

Was kann uns ein unfertiges römisches Theater über eine turbulente Zeit im alten Jerusalem verraten? Eine ganze Menge, sagen Archäologen.

Die Israelische Antikenverwaltung verkündete letzte Woche, dass bei aktuellen Ausgrabungen Gebäudereste entdeckt wurden, die einst vermutlich zu einem kleinen Theater oder einem öffentlichen Gebäude gehörten. Die Entdeckung gelang, als Archäologen einen Teil der Klagemauer ausgruben, eines der meistverehrten Bauten des Judentums.

Die alte Mauer umgibt ein Gebiet, dass die Juden als Tempelberg bezeichnen und die Muslime als Haram esh-Sharif. Heutzutage hat die religiöse Stätte sowohl für Juden und Muslime als auch für Christen eine große Bedeutung.

Archäologen begannen mit den Ausgrabungen in der Hoffnung, den Wilson-Bogen zu datieren – eine alte Steinbrücke, die zum Tempelberg führte. Kleine Artefakte wie Tonscherben und Münzen wurden schon zuvor unter dem Bogen gefunden, aber die Archäologen waren überrascht, bei den Ausgrabungen auf ein ganzes römisches Theater zu stoßen. Es ist das erste öffentliche römische Bauwerk dieser Art, das in der Stadt gefunden wurde.

„Wir hätten uns nicht träumen lassen, dass sich für uns ein Fenster in das Geheimnis von Jerusalems verlorenem Theater öffnen würde“, sagte die Israelische Antikenverwaltung in einer Pressemitteilung. „Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Freilegung des Verlaufs der Klagemauer und der Bestandteile des Wilson-Bogens aufregende Entdeckungen sind, die zu unserem Verständnis von Jerusalem beitragen. Aber die Entdeckung dieses theaterähnlichen Baus ist das eigentliche Drama.“

„Es befindet sich in diesem völlig eingeschlossenen Raum. Es ist ein sehr kleines, aber sehr schönes Theater“, sagte Jodi Magness, eine Archäologin und Professorin von der Universität von North Carolina in Chapel Hill. Sie besuchte die Stadt mit einer Touristengruppe und konnte das Bauwerk zufällig ansehen, kurz bevor seine Entdeckung verkündet wurde.

Seine Überreste wurden unter mehr als acht Metern Schutt freigelegt, der Steine bedeckte, die seit fast 2.000 Jahren kein Tageslicht mehr gesehen hatten. Erste Datierungen der römischen Steine lassen vermuten, dass die Stätte vermutlich im zweiten Jahrhundert erbaut wurde. Laut den Archäologen bot das Theater Platz für etwa 200 Menschen – eine relativ kleine Zahl. Das Kolosseum in Rom bietet Platz für 50.000 Zuschauer.

Aufgrund der kleinen Ausmaße vermuten Archäologen, dass das Gebäude eventuell als Odeon diente, also als ein antikes Konzertgebäude, oder als Bouleuterion, als Versammlungsort für Personen des öffentlichen Lebens.

Der Fund liefert nun einen physischen Beweis für das, was in alten Aufzeichnungen über das Leben in Jerusalem unter römischer Herrschaft geschrieben steht. Diese Ära war für Jerusalem von zentraler politischer Bedeutung. Im Jahr 70 wurde die Stadt vom Römischen Imperium bestürmt und dann als die römische Kolonie Aelia Capitolina wiederaufgebaut.

Laut Magness wird das Theater mit jener Periode in Verbindung gebracht, während der die Stadt unter römischer Kontrolle war und dem römischen Gott Jupiter huldigte.

„Wir haben einige Foren gefunden, die [der römische Kaiser] Hadrian in der Stadt gebaut hat. Aber bis jetzt hatten wir keine Theater gefunden“, sagte sie.

UNFERTIGES PROJEKT

Die Archäologen haben eine grobe Vorstellung davon, welchem Zweck der Bau dienen sollte, glauben aber auch, dass er noch vor seiner ersten Nutzung aufgegeben wurde. An einigen Steinen sind noch Markierungen erkennbar, die Arbeiter dort eingeritzt hatten, um anzuzeigen, wo sie den Stein schneiden wollten, was aber nie passiert ist. Zudem wurden einige Treppen in der Arena ebenfalls nie herausgearbeitet.

Magness weist darauf hin, dass der römische Kaiser Hadrian die Juden aus Aelia Capitolina verbannt hatte. Laut der Israelischen Antikenverwaltung blieb das Theater womöglich unvollendet, weil die Ressourcen umgeleitet wurden, um die Bar-Kokhba-Revolte zu bekämpfen, während der die Juden einen Aufstand zu proben versuchten.

Die Antikenverwaltung möchte noch weitere Ausgrabungen an dieser Stelle durchführen, was mitunter Kontroversen mit palästinischen Gruppen zur Folge hat, die ebenfalls einen Anspruch auf diese heiligen Stätten geltend machen.

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