„Eine Einzelperson wie Jesus können wir so gut wie nicht beweisen“

Welche Erkenntnisse die Archäologie liefern kann und was das mit der Bibel zu tun hat, erklärt der Theologe Wolfgang Zwickel.

Von Kathrin Fromm
Veröffentlicht am 6. Dez. 2017, 09:40 MEZ
Grabungsprojekte in Kinneret
Grabungsprojekte in Kinneret, einem Ort am See Genezareth.
Foto von Wolfgang Zwickel

Sie sind Professor für biblische Archäologie. Was kann man sich darunter vorstellen?
Unsere Aufgabe ist es auf jeden Fall nicht, die Bibel zu beweisen. Viel mehr betreiben wir Archäologie im Raum der biblischen Länder. Der Begriff ist erst einmal eine räumliche Definition. Wir forschen schwerpunktmäßig im Gebiet der heutigen Staaten Israel, Jordanien und Palästina. Aber natürlich beläuft sich das nicht in den jetzigen politischen Grenzen, sondern strahlt darüber noch etwas hinaus: in den Libanon, nach Syrien, auf die Sinai-Halbinsel.

Wenn es nicht darum geht, die Bibel zu beweisen, haben die Geschichten darin dann überhaupt etwas mit Ihrer Arbeit zu tun?
Ja, das ist die Zeit, die wir erforschen. Viele der Stätten, um die es in meiner Arbeit geht, kommen in der Bibel vor. Wir haben zum Beispiel eine ägyptische Festungsanlage in Jaffa ausgegraben. Das war eine wichtige Stadt vom 15. bis 12. Jahrhundert vor Christus. Der Hafen von Jaffa gilt als der älteste der Welt. Als Jona in der Bibel flieht, schifft er sich in Jaffa ein. Auch das zeigt die Bedeutung des Hafens, allerdings einige Jahrhunderte später.

Welche neuen Erkenntnisse konnten Sie bei dieser Grabung gewinnen?
Wir konnten zeigen, dass Jaffa eine richtige Festung war, mit einer riesigen Mauer und einem großen Tor. Außerdem konnten wir die Toranlage zeitlich genauer verorten als bei früheren Grabungen. Das geht heute dank moderner Untersuchungsmethoden wie der C14-Datierung. Die Geschichte der Stadt wird so lebendiger. Die Frage der Chronologie ist bei unserer Arbeit heute besonders wichtig. Das war einer der Forschungsschwerpunkt der vergangenen 20 Jahre. 

Grabungen an der ägyptische Festungsanlage in Jaffa, hier das Ramsestor.
Foto von Martin Peilstöcker

Warum ist das so wichtig?
Im besten Fall korrelieren unsere Grabungsergebnisse mit den Texten, die dazu überliefert sind. Eines meiner Grabungsprojekte war in Kinneret, einem Ort am See Genezareth. Da passten die Ergebnisse ins Bild. Die Siedlung existierte im 8. Jahrhundert vor Christus nur 30, 40 Jahre lang – und zwar unmittelbar bevor die Assyrer Jerusalem erobert haben. Auch für Kinneret ließ sich die völlige Zerstörung nachweisen. Das ist ein Ankerpunkt für die Chronologie des Landes. Unsere Arbeit kann man sich so vorstellen: Es gibt ein Puzzle mit 1000 Teilen, man besitzt aber gerade mal 50 Teile davon – und muss sich trotzdem überlegen, welches Motiv dargestellt sein könnte. Die Archäologie bietet zusätzliche Puzzleteile, die wir aus den textlichen Darstellungen noch nicht kannten.

Beschäftigen Sie sich nur mit der biblischen Zeit?
Größtenteils schon. Das liegt auch daran, dass meine Disziplin eine lokale Ausprägung der Vor- und Frühgeschichte ist. Alles was ab der hellenistischen Zeit, also etwa ab Alexander dem Großen kommt, dafür sind klassische Archäologen besser ausgebildet. Damals hat sich die Stadtstruktur gewandelt, deshalb sind andere Methoden gefragt. In hellenistischer, römischer und byzantinischer Zeit gab es große, monumentale Bauten. Diese Gebäude kann man freilegen, die Säulen wieder aufstellen. Ich beschäftige mich mehr mit Fragmenten dessen, was mal an Architektur gestanden hat. Damals wurde eben nicht so dauerhaft gebaut. Die Fußböden waren nicht aus Stein, sondern einfach festgetretene Erde, was sich aber noch heute in der Bodenschicht nachweisen lässt. Aber natürlich räumen wir nicht alles, was darüber liegt, einfach mit dem Bulldozer weg. Nebenbei liefern wir so auch Erkenntnisse über spätere Epochen.

Welche denn zum Beispiel?
In Jaffa gab es etwa im frühen 20. Jahrhundert einen Obst- und Gemüsemarkt. Davon existieren auch noch einige Fotos. Durch unsere Ausgrabungen konnten wir nachweisen, dass es ein etablierter Markt war, mit halbwegs festen Ständen, weil wir davon Reste gefunden haben. Das sind vielfältige Geschichten, mit denen wir uns beschäftigen.

BELIEBT

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    Wolfgang Zwickel ist Professor für Biblische Archäologie an der Universität Mainz.
    Foto von Privat

    Wie wichtig ist Jesus für die biblische Archäologie?
    Jesus und auch andere bekannte Personen wie König David sind auf jeden Fall Kernpunkte, an denen sich unsere Arbeit orientiert. Für die Öffentlichkeit sind neue Erkenntnisse dazu immer besonders spannend. Viele Laien hoffen, dass sich etwas findet, was die Bibel beweist. Aber man muss sich klar machen: Eine Einzelperson wie Jesus können wir so gut wie nicht beweisen. Was wir beweisen können, ist zum Beispiel wie die Straßen zur Zeit Jesus ausgesehen haben. Überhaupt lässt sich das damalige Jerusalem unglaublich gut rekonstruieren, dafür dass es eine bis heute bebaute Stadt ist. Die Lebenswelt der Vergangenheit lässt sich darstellen, da ist vieles ausgegraben und gut dokumentiert. Ich kann also sagen: So sahen die Straßen damals aus. Ich kann aber nicht sagen: Da ist Jesus drübergelaufen. 

    Eine Titelgeschichte zur Frage "Wer war Jesus?" steht in der Ausgabe 12/2017 des National Geographic Magazins. Jetzt ein Magazin-Abo abschließen!

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