Blackbeards Lektüre: Was haben Piraten eigentlich gelesen?

Archäologen ist es gelungen, kleine Papierschnipsel aus dem 300 Jahre alten Wrack der Queen Anne’s Revenge zu identifizieren.

Von Kristin Romey
Veröffentlicht am 8. Jan. 2018, 17:56 MEZ
Ein Papierschnipsel von der Queen Anne’s Revenge im Vergleich mit der entsprechenden Seite des Buches, aus ...
Ein Papierschnipsel von der Queen Anne’s Revenge im Vergleich mit der entsprechenden Seite des Buches, aus dem er stammt.
Foto von N.C. Department of Natural and Cultural Resources

Die Seeräuber auf dem Flaggschiff des berüchtigten Piraten Blackbeard schienen sich im 18. Jahrhundert womöglich mit thematisch passender Literatur zu vergnügen. Der unerwartete Hinweis auf diese Erkenntnis stammt ausgerechnet aus einem Kanonenrohr.

Eine Handvoll Papierschnipsel, die aus dem Wrack der Queen Anne’s Revenge geborgen wurden, wurden als Teile des Buches „A Voyage to the South Sea, and Round the World“ (dt. Eine Reise zur Südsee und um die Welt) identifiziert, das 1712 erschien und von Kapitän Edward Cooke geschrieben wurde.

Die Entdeckung wurde letztes Jahr beim Treffen der Gesellschaft für historische Archäologie in New Orleans während einer Präsentation des Queen Anne’s Revenge (QAR) Conservation Lab verkündet.

Die Queen Anne’s Revenge lief 1718 vor dem heutigen Beaufort in North Carolina auf Grund. Ein paar Monate später starb Blackbeard bei einem Kampf gegen britische Marinetruppen in der Lagune Pamlico Sound. Das Wrack des Piratenschiffs wurde 1996 von privaten Bergern entdeckt und ein Jahr später begann die Ausgrabung, die von der Behörde für natürliche und kulturelle Ressource von North Carolina geleitet wurde.

Die Buchfragmente waren von einer nassen Masse von Stofffetzen umgeben, die 2016 während Reinigungsarbeiten aus einem Kanonenrohr entfernt wurden, wie Erik Farrell vom QAR-Labor berichtete. Die Masse, die durch Schießpulverreste schwarz gefärbt war, diente womöglich als Dichtung für den hölzernen Pfropfen, der das Kanonenrohr vor den Elementen schützte.

Insgesamt wurden 16 Papierfragmente identifiziert, von denen keines größer als eine Münze war. Auf sieben der Fragmente befand sich noch lesbarer Text. Die Restauratoren trennten die Fragmente voneinander und bemerkten, dass der Text von aufeinanderfolgenden Schichten in dieselbe Richtung verlief. Das führte sie zu der Annahme, dass es sich um Fetzen mehrerer Seiten desselben Buches handelte.

Schließlich konnten sie Worte wie „Süden“ und „Faden“ erkennen, was darauf hindeutete, dass die Fragmente aus einem Text mit Meeres- oder Navigationsbezug stammten. Aber es gab ein spezielles Wort, das schließlich die eindeutige Zuordnung ermöglichte, sagte die Restauratorin des QAR-Labors Kimberly Kenyon.

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    Nachdem dieses Papierfragment aus dem Kanonenrohr entnommen, gesäubert und getrocknet wurde, ließ sich darauf Text erkennen. ...
    Nachdem dieses Papierfragment aus dem Kanonenrohr entnommen, gesäubert und getrocknet wurde, ließ sich darauf Text erkennen.
    Foto von N.C. Department of Natural and Cultural Resources

    „Es gab ein Schlüsselwort, das wirklich auffiel: ‚Hilo‘. Das war sehr markant und kursiv gedruckt, was darauf hindeuten könnte, dass es ein Ortsname ist“, erzählte Kenyon National Geographic.

    „Das war pures Glück.“

    Mit diesem markanten Hinweis bewaffnet, kontaktierten die Restauratoren des QAR-Labors Johanna Green, eine Spezialistin für die Geschichte von gedrucktem Text an der Universität von Glasgow. Die Forscher schlossen Berichte über Hilo auf Hawaii aus, die in der europäischen Literatur erst nach James Cooks Expedition 1778 auftraten. Aber Green verwies auf frühere Erwähnungen der spanischen Siedlung Ilo an der peruanischen Küste.

    Die frühesten Berichte darüber stammten von englischen Seefahrern, die während der Reise über den Pazifik an einem Angriff auf Ilo beteiligt waren. Kenyon zufolge waren Geschichte über Plünderungen spanischer Besitztümer im 17. und 18. Jahrhundert beliebt. „Die englische Leserschaft verschlang das geradezu.“

    Da diese gedruckten Berichte nicht zu den Fragmenten von der Queen Anne’s Revenge passten, sahen sich die Forscher andere Geschichten über Pazifikreisen an, welche die Plünderung von Ilo erwähnten. Schließlich entdeckten sie, dass ihre Papierschnipsel von den Seiten 177, 178 und 183-188 der 1712er Edition von Kapitän Edward Cookes „A Voyage to the South Sea, and Round the World, Perform’d in the Years 1708, 1709, 1710, and 1711“ stammten.

    Darin beschreibt Cooke seine Erlebnisse auf einer Expedition zweier Schiffe, der Duke und der Duchess, die von Kapitän Woodes Rogers angeführt wurde. Rogers veröffentlichte seine Berichte der Reise ebenfalls, und beide Bücher beschreiben die Rettung von Alexander Selkirk, der vier Jahre lang auf einer einsamen Insel gestrandet war. Diese Rettung diente als Inspiration für Daniel Defoes 1719 veröffentlichten Roman Robinson Crusoe.

    Historische Berichte zeigen, dass oft mindestens ein paar Mitglieder einer Piratenmannschaft lesen konnten. Die Offiziere mussten beispielsweise Schiffskarten lesen können, sagt Kenyon. Sie verweist auch auf Berichte, laut denen Seeräuber Bücher von eroberten Schiffe klauten, oder auf Blackbeards Tagebuch, das nach seinem Tod gestohlen wurde.

    Das Team des QAR-Labors arbeitet mit spezialisierten Papierrestauratoren zusammen, um die brüchigen Papierschnipsel zu erhalten.

    Die Überreste von „A Voyage to the South Sea“ erhielten einen Platz neben anderen bemerkenswerten Artefakten vom Wrack der Queen Anne’s Revenge, darunter die Schiffsglocke, ein verziertes Schwert und die Überreste einer Taschenuhr. Im letzten Jahr warteten noch etwa 100.000 bis 400.000 Artefakte aus dem Wrack auf ihre Restaurierung.

    „Und die Hälfte des Schiffes liegt noch unausgegraben auf dem Meeresboden“, fügt Kenyon hinzu.

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