Gesicht eines 9.000 Jahre alten Teenagers rekonstruiert

Die akribische Rekonstruktion zeigt, wie sich unsere Gesichtszüge im Laufe Tausender Jahre verändert haben.

Von Sarah Gibbens
Veröffentlicht am 29. Jan. 2018, 16:54 MEZ
Gesicht eines 9.000 Jahre alten Teenagers rekonstruiert
9.000 Jahre nach ihrem Tod wurde das Gesicht einer 18-jährigen Frau enthüllt.

Ihr Name ist Avgi, und das letzte Mal, dass jemand ihr Gesicht sah, ist 9.000 Jahre her. Als sie um etwa 7.000 v. Chr. am Ende der Mittelsteinzeit in Griechenland lebte, befand sich die Gesellschaft dort gerade in einer Umbruchsphase, in der die Jäger und Sammler langsam zu Ackerbauern wurden.

Avgi bedeutet übersetzt Sonnenaufgang – ein Name, den die Archäologen wählten, weil sie während einer Periode lebte, die als Anbeginn der Zivilisation gilt.

Über ihr Leben und ihren Tod ist nur wenig bekannt, aber jetzt können die Archäologen die stark ausgeprägten Wangenknochen der Frau sehen, ihre breite Nase und das Grübchen in ihrem Kinn.

Avgis Gesicht wurde im Januar von Forschern der Universität von Athen enthüllt und kann im Akropolismuseum bewundert werden.

Die Gesichtszüge des Menschen haben sich im Laufe der Jahrtausende „geglättet“, sodass sie heutzutage nicht mehr so maskulin wirken, sagt Oscar Nilsson, der das Gesicht rekonstruiert hat.
Foto von Oscar Nilsson

Die Rekonstruktion des Gesichts war eine anspruchsvolle Aufgabe. Endokrinologen, Orthopäden, Neurologen, Pathologen und Radiologen waren nötig, um eine akkurate Rekonstruktion von Avgis Gesichtszügen zu erstellen. Das Rekonstruktionsteam wurde von dem Kieferorthopäden Manolis Papagrigorakis geleitet. Bei der feierlichen Enthüllung des Kopfes im Museum verwies er auch darauf, dass Avgis Knochen einer 15-Jährigen zu gehören schienen, während ihre Zähne eher auf ein Alter von 18 Jahren hindeuteten, „plus/minus ein Jahr“.

Neben dem Team aus Ärzten arbeitete die Universität von Athen auch mit Oscar Nilsson zusammen. Der schwedische Archäologe und Bildhauer hat sich auf Rekonstruktionen spezialisiert. Er hat schon vielen Projekten dabei geholfen, alte Gesichter wieder zum Leben zu erwecken, und hat sogar eine Lieblingsepoche für die Gesichtsrekonstruktion: "die Steinzeit“, sagt er.

„Das ist eine so immens lange Zeit, die ganz anders als unser heutiges Zeitalter ist, aber körperlich sind wir uns so ähnlich.“

Nilsson begann mit dem Schädel des Mädchens, der 1993 in der Theopetra-Höhle in Griechenland gefunden wurde. Die Höhle wurde etwa 130.000 Jahre lang durchgehend bewohnt. Die Forscher machten einen CT-Scan des Schädels und erstellten dann einen 3D-Druck davon.

„Auf diese Kopie werden dann kleine Stifte geklebt, die anzeigen, wie dick das Muskelfleisch an bestimmten anatomischen Punkten des Gesichts ist“, sagt er.

Auf diese Weise konnte er Avgis Gesicht Muskel für Muskel herausarbeiten. Manche ihrer Merkmale ergaben sich aus den Schädelmaßen, bei anderen – wie Haut- und Augenfarbe – orientierte man sich an den allgemeinen Merkmalen der Bevölkerung aus der Region. (Lesenswert: Diese frühen Menschen lebten vor 300.000 Jahren – hatten aber moderne Gesichter)

Es ist nicht das erste Mal, dass Papagrigorakis, Nilsson und das Team der Universität von Athen ein altes Gesicht wieder zum Leben erweckt haben. 2010 rekonstruierten sie das Gesicht eines 11-jährigen Mädchens aus Athen, das um etwa 430 v. Chr. lebte und den Spitznamen Myrtis erhielt. In den fast 7.000 Jahren, die zwischen Avgi und Myrtis liegen, scheinen sich die Gesichtszüge geglättet zu haben.

BELIEBT

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    Das Team hat auch das Gesicht der elf Jahre alten Myrtis rekonstruiert, die im 5. Jahrhundert v. Chr. in Athen an Typhus starb.
    Foto von Oscar Nilsson

    „Avgi hat einen sehr einzigartigen und nicht besonders weiblichen Schädel und Gesichtsmerkmale. Myrtis, die noch ein Kind ist, unterscheidet sich überhaupt nicht von den Merkmalen, die wir heutzutage sehen können“, sagt Nilsson. „Ich habe schon viele Männer und Frauen aus der Steinzeit rekonstruiert und glaube, dass einige Gesichtszüge anscheinend verschwunden sind oder sich mit der Zeit ‚geglättet‘ haben. Insgesamt sehen wir – sowohl Männer als auch Frauen – heutzutage nicht mehr so maskulin aus.“

    Über Avgis Todesumstände ist nicht viel bekannt, aber die Archäologen wissen, dass Myrtis an Typhus starb, als Athen im 5. Jahrhundert von einer Epidemie heimgesucht wurde. Auch heute noch fordert diese Krankheit Tausende Todesopfer.

    Da die Technologie für die 3D-Modellierung immer fortschrittlicher wird, verwenden Archäologen sie immer häufiger, um alte Gesichter zu rekonstruieren. Im vergangenen Dezember erweckten sie so das Gesicht einer alten peruanischen Königin zum Leben.

    GESICHTSREKONSTRUKTIONEN

    3:12

    So entstand das Gesicht des neu gefundenen Vorfahren

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