Die „kickboxenden Omas“ aus Kenias gefährlichstem Slum
Eine Gruppe älterer Frauen aus Korogocho hat sich zusammengeschlossen, um sich selbst und ihre Gemeinde zu stärken.
„Nein! Nein! Nein! Ich will nichts mit dir zu tun haben!”, schreit die 75-jährige Beatrice Nyariara zusammen mit ihren Mitschülerinnen, während sie ihre Selbstverteidigungsübungen durchführen.
Noch vor ein paar Jahren waren die älteren Frauen aus Korogocho – der bei vielen als gefährlichster Slum Nairobis gilt – regelmäßig Opfer von sexuellen Übergriffen, Vergewaltigung und Mord. Einige Männer der Gemeinde griffen die „Omas“ von Korogocho nachts in dem Glauben an, sie wären leichte Opfer und vermutlich nicht HIV-positiv.
Eine Gruppe älterer Frauen beschloss schließlich, sich zur Wehr zu setzen. Sie lernten zu boxen, um Hilfe zu rufen und gefährliche Situationen einzuschätzen. Außerdem brachten sie ihrer Gemeinde bei, wie sie den Opfern bei solchen Angriffen helfen kann.
Wir sprachen mit dem Regisseur Brent Foster über seinen neuen Kurzfilm „Enough: The Empowered Women of Korogocho“, seine Erfahrungen bei der Zusammenarbeit mit dieser inspirierenden Gruppe und darüber, wie sich diese Frauen ihr Viertel zurückerobert haben.
Erzählen Sie uns etwas über „Enough“.
Ich bin in einer sehr kleinen, typischen kanadischen Kleinstadt aufgewachsen, in der jeder Hockey spielte. Ich kannte diesen alten Mann, der immer für alle die Kufen geschliffen hat und dafür nie auch nur einen Cent verlangte. Ich habe mir immer geschworen, dass ich dorthin zurückkehren und seine Geschichte erzählen würde. Aber zu jener Zeit arbeitete ich gerade als internationaler Fotojournalist und dann verstarb er. Ich hatte nie die Chance, seine Geschichte zu erzählen.
Der Film ist Teil eines größeren Herzensprojekts namens „While I’m Here, the Legacy Project“, an dem ich in den letzten drei Jahren gearbeitet habe. Das Projekt begann mit der Idee, Menschen festzuhalten, die ein lebendes Vermächtnis sind. Ganz alltägliche Menschen, die Außergewöhnliches tun und ihre Geschichten erzählen, solange sie noch unter uns weilen.
Was hat Ihr Interesse an dieser Gruppe von Frauen geweckt?
Vor fast acht Jahren sah ich einen kurzen Nachrichtenbeitrag über die Frauen. Damals lebte ich in Indien und arbeitete viel als Freiberufler. Das hat mich nicht mehr losgelassen.
Aber es war sinnvoll zu warten, weil ich in der Zwischenzeit als Filmemacher gewachsen bin und mehr über das Reisen und Arbeiten in schwierigem Umfeld gelernt habe. Und Korogocho ist ein wirklich schwieriger Ort zum Leben und Arbeiten.
Erzählen Sie uns mehr über Korogocho.
Korogocho ist nur ein paar Quadratkilometer groß, aber dort leben etwa 200.000 Menschen auf engstem Raum. Es gibt dort lauter Gangs, viele Verbrechen, Drogenprobleme und psychische Erkrankungen. Für eine ältere Frau ist es ein sehr schwieriger Ort zum Leben. Es ist dort für jeden ein hartes Leben, aber besonders für ältere Frauen, die sich vielleicht angreifbarer fühlen.
Mir erschien es sehr wichtig, diese Geschichte zu erzählen, weil wir hier diese unglaubliche Gruppe von Frauen haben, die sich nicht nur zusammengetan haben, die sich gegenseitig durch Selbstverteidigungstraining zu stärken, sondern auch ihre Gemeinde geeint haben.
Mit welchen Gefahrensituationen müssen diese Frauen fertigwerden?
Ältere Frauen werden oft schlecht behandelt. Die Männer in ihrer Gemeinde glaubten, sie hätten kein AIDS, und so fingen die sexuellen Übergriffe an. Die Frauen boten ihnen die Stirn und sagten: Das lassen wir uns nicht mehr bieten. Sie gingen sogar noch einen Schritt weiter und eroberten sich den Respekt zurück, den sie verdienen.
Haben Sie und Ihre Crew sich während der Dreharbeiten bedroht gefühlt?
Wir haben definitiv schnell gemerkt, dass wir ziemlich schnell Ärger bekommen hätten, wenn wir nicht die Leute dabeigehabt hätten, die wir dabeihatten. Wir hatten Glück, dass wir vorausgeplant haben und so ein gutes Team hatten, dem wir sofort vertrauen konnten. Es kam durchaus zu kleineren Konfrontationen. Aber bevor die Situation eskalieren konnte, entschärften sie die ehemaligen Gangmitglieder, mit denen wir arbeiteten. Die kannten die Gemeinde sehr gut und konnten sehr gut abschätzen, wie die Leute reagieren würden. Sie redeten dann einfach ruhig mit ihnen und gingen mit ihnen weg, bevor irgendwas aus dem Ruder laufen konnte. Ohne sie hätte die Situation für uns ganz anders ausgesehen. Aber dank ihnen konnten wir uns auf den kreativen Aspekt des Erzählens dieser Geschichte konzentrieren.
Erzählen Sie uns etwas über die Hauptfigur des Films, Beatrice Nyariara.
Wir sind ein paar verschiedene Möglichkeiten durchgegangen, um die Geschichte zu erzählen, zum Beispiel aus Sicht der ganzen Gruppe oder einer einzelnen Person. Als wir Beatrice kennenlernten, wussten wir sofort, dass das die Richtung war, in die wir gehen mussten. Sie war so eine starke, leidenschaftliche Frau, die sich überhaupt nicht dafür interessierte, ob man da war oder nicht. Sie lebte einfach ihr lebten, sie schauspielerte nicht. Sie hatte keine Angst, ganz genau zu sagen, was sie von der Gemeinde dachte. Im Grunde war sie ein offenes Buch.
Hat die Gruppe einen Namen?
Sie hat keinen offiziellen Namen, aber wir nannten sie die „kickboxenden Omas von Korogocho“. So haben sie sich mitunter auch selbst bezeichnet, aber ich denke, dass sie das womöglich von anderen Leuten aufgeschnappt haben.
Leitet Beatrice die Gruppe?
Es gab ein paar Organisationen, die nach Korogocho gekommen sind und dabei geholfen haben, die Frauen in Selbstverteidigung zu unterrichten. Beatrice und eine andere Frau haben bei der Organisation und der weiterführenden Arbeit mit den Frauen die Führung übernommen. Eine der jüngeren Frauen, die man [im Film] unterrichten sieht, ist eine Lehrerin von der Schule, in der die Frauen trainieren. Sie ist eher im Unterricht involviert, während Beatrice sich eher um die Organisation der Gruppe kümmert, die Zeiten für das Training festlegt und sicherstellt, dass alle in Kontakt stehen.
Wie viele Frauen sind in der Gruppe?
Sie wächst beständig. Aber ich würde sagen, dass etwa 20 Frauen regelmäßig daran teilnehmen. Ich glaube, manche kommen und gehen, aber es gibt ein paar wichtige Dauermitglieder.
Welche Fähigkeiten werden in dem wöchentlichen Selbstverteidigungskurs gelehrt?
Es ist ein informelles Training, sie lernen also keine bestimmten Tritte oder Schläge. Sie lernen, wie man zurückschlägt, wie man schreit und kommuniziert, damit die Nachbarn und die Menschen in der Nähe sie hören und ihnen so schnell wie möglich zur Hilfe eilen können.
Ein wichtiger Aspekt bestand auch darin, die Gemeinde selbst zu trainieren. Der Mann, der sie angreift, könnte zum Beispiel eine Waffe haben. Also lernen sie, was sie dann realistisch gesehen tun können, um sich zu schützen. Sie lernen auch zu schreien: „Nein! Nein! Nein! Ich will mit dir nichts zu tun haben!” Weil sie in so einer dicht bevölkerten Gemeinde leben, wird sie jemand hören, sobald sie schreien. Jetzt weiß die Gemeinde auch, wie sie darauf reagieren muss.
Denken Sie, die Frauen fühlen sich jetzt sicherer?
Die Frauen fühlen sich jetzt definitiv sicherer. Das heißt aber nicht, dass sie naiv genug sind, um zu glauben, dass sich das Problem erledigt hat. Es gibt immer noch Angriffe auf ältere Frauen, aber die Zahl ist rückläufig, wie alle Mitglieder der Gemeinde sagten, mit denen wir gesprochen haben.
Wozu soll das Projekt andere Menschen inspirieren?
Ich hoffe, es inspiriert Menschen in Gemeinden wie dieser dazu, sich zu behaupten und weiterhin füreinander zu kämpfen und einzustehen. Ich glaube, das ist das Wichtigste, was die Leute davon mitnehmen können. Ich hoffe, dass die Menschen diesen Film sehen und beschließen, in ihrer eigenen Gemeinde auszuhelfen, weil es solche Probleme überall gibt.
Das Interview wurde zugunsten von Länge und Deutlichkeit redigiert.