Wenn Vögel jagen

Die Falknerei ist von der Unesco als immaterielles Kulturgut anerkannt. In vielen Ländern wird auf diese Weise gejagt. Oliver Grimm vom Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie in Schleswig erklärt die Ursprünge.

Von Andrea Henke
bilder von Brent Stirton
Veröffentlicht am 1. Okt. 2018, 06:00 MESZ
Falknerei
Ein Sakerfalkenweibchen hütet in der mongolischen Ebene seine Küken in einem Nest. Dschingis Khan soll Hunderte dieser Jagdvögel gehalten haben.
Foto von Brent Stirton

In 18 Ländern von Deutschland über Marokko bis in die Mongolei ist die Falknerei als Immaterielles Kulturerbe der Menschheit durch die UNESCO anerkannt worden. Was ist das Besondere an der Beziehung zwischen Greifvögeln und Menschen?

Das Besondere besteht darin, dass die Greifvögel unverändert wilde Tiere sind. Die Habichte sind Waldbewohner und extrem menschenscheu. Die Beziehung von Wolf zu Mensch, Mensch zu Hund ist eine Geschichte der Domestikation. Bei Greifvögeln ist das anders. Sie sind nicht domestiziert, und das ist auch gar nicht möglich. Dennoch erkennen sie sehr schnell, dass es ein großer Vorteil sein kann, mit dem Menschen zusammenzuarbeiten, um Beute zu machen. Macht der Falkner jedoch Fehler, fliegt der Vogel im schlimmsten Fall davon. Das macht letztendlich auch den besonderen Reiz in der Falknerei aus.

Wie richtet man einen Greifvogel ab?

Die Gewöhnung eines Habichts an einen Menschen ist sehr zeitaufwendig. Man verbringt beim Erstkontakt Tage und Nächte zusammen, um Vertrauen aufzubauen. Der Falkner singt, um den Vogel mit seiner Stimme vertraut zu machen. Der Habicht sitzt dabei lange Zeit auf der von einem Handschuh geschützten Faust. Dabei wird dem Vogel ständig Futter angeboten. Wenn der Vogel ohne zu zögern auf Vogel- oder Hasenattrappen reitet, kann mit dem Jagen begonnen werden.

Werden nur noch Vögel aus der Zucht verwendet?

Die Verwendung von Wildvögeln ist weltweit größtenteils zum Erliegen gekommen, in Europa vollständig. Hier hatten wir das Problem, das DDT und andere Pflanzenschutzgifte fast zum Aussterben der Wanderfalken geführt haben. Vogelfreunde und Falkner haben dann Zuchtprogramme begonnen: Inzwischen nehmen wir in Europa nur noch Zuchtvögel für die Falknerei. Außerdem wir ein Teil der Zuchtvögel wieder ausgewildert.

Wo gibt es Falknerei, und seit wann?

Europa ist das westliche Ausbreitungsgebiet, nach Osten sind es China, Korea und Japan. Die südliche Verbreitung führt bis auf die arabische Halbinsel. Das Erstaunliche ist, dass in all diesen Verbreitungsräumen die Falknerei vor mindestens 1500 Jahren ihren Anfang nahm. Wenn man die geografische Mitte dieser drei Ausbreitungsgebiete sucht, gelangt man in die Eurasische Steppe. Dort gab es eine nomadische Bevölkerung, die mit großen Viehherden umher zog. Ihr Fortbewegungsmittel war das Pferd. Die Steppe ist eine weite offene Landschaft – wie jagt man dort? Als Jäger sitzt man auf dem Pferd und hat als Jagdhelfer Hunde und Greifvögel, oft Steinadler.

Vereinzelt werden auch heute noch Wölfe mit mehreren Steinadlern in der Mongolei gejagt...

Das stimmt. Bei einzelnen Steinadlern kann es dann durchaus so sein, dass der Vogel den Kürzeren zieht. Steinadler wurden in der Steppe und in den Gebirgsregionen Asiens verwendet, in allen anderen Gebieten spielen sie historisch keine Rolle. In Europa beginnt die Falknerei mit der Habichtjagd, passend zur stark bewaldeten Landschaft. Die Falkenjagd spielt erst nach 1000 nach Christus zunehmend eine Rolle, das hat mit der Öffnung der Landschaft zu tun, der Entforstung.

Falken können weitere Strecken fliegen als Habichte?

In der Regel ja. Das geht nur in einer offenen Landschaft. Deswegen wurde teilweise auch vom Pferd aus mit Falken gejagt. In der europäischen Falknerei gibt es das allerdings nicht mehr.

Im Nordosten Chinas hat man in einem Grab eine deutliche ältere Gürtelschnalle gefunden, die zwei Reiter mit einem Greifvogel zeigt.

Diese Gürtelschnalle gehört bereits in das 2. Jahrhundert vor Christus! Sie ist das älteste, gesicherte Zeugnis zur Falknerei. Zu der Zeit gab es Kontakte zwischen Reiternomaden der Eurasischen Steppe, zu denen auch das Grab gehört, und der einheimischen Hochkultur, der Han-Dynastie weiter im Süden Chinas. Es liegt also nahe, dass genau dort der Funke übergesprungen ist, durch den geografischen Kontakt zwischen Reiternomaden und einer sesshaften Bevölkerung. Die Reiternomaden haben die Idee weitergetragen und lokal hat dann vor ca. 1500 Jahren eine Anpassung an die Landschaft und die vorherrschenden Greifvögel stattgefunden.

Wer hat im europäischen Mittelalter gejagt?

In Europa hatten wir zu der Zeit eine bäuerliche Gesellschaft mit ziemlich gesicherter Nahrungsproduktion. Für die Nahrungsbeschaffung war Falknerei nicht notwendig, sondern reiner Luxus. Wir können anhand der Schriftquellen sagen, dass die Falknerei fest im karolingischen Königtum verankert war. Schriftquellen belegen, dass es Falkner als Berufsbezeichnung unter Karl dem Großen gab. Wenn der Falkner den Vogel weit genug an sich gewöhnt hatte, konnte er ihn sogar dem König oder der Königin auf die Faust setzen. Diese jagten dann bei besonderen Gelegenheiten mit dem Vogel.

Auch die Königin hat gejagt?

Ja. In Europa ist die Herzogin Maria von Burgund eine dieser benennbaren historischen Adligen, die ganz deutlich in den Schriftquellen als passionierte Falknerin auftaucht. Diese schriftlichen Beweise finden sich für die Zeit deutlich nach 1000. Aus der Zeit davor gibt es Gräber weiblicher Adliger aus Mittel- und Nordeuropa mit der Beigabe von Habichten. Das deutet wahrscheinlich auf die Beizjagd einer weiblichen Oberschicht schon vor dem Jahr 1000 hin.

Die Vögel waren Grabbeigaben?

Ja. Der Ausgangspunkt unserer Forschungen zur Falknerei sind 40 Gräber in Mittelschweden. Sie datieren vom 6. bis 10. Jahrhundert. Das ist die Wikinger-, teils Vorwikingerzeit. Habichte waren passende Jagdvögel für die schwedische Landschaft.

Was ist das Besondere an dieser Entdeckung?

Es war eine bestimmte soziale Schicht, die sich in den Gräbern mit dieser Art Vögel präsentieren ließ. In dieser hohen Zahl und Form sind die schwedischen Gräber einzigartig. In China zum Beispiel gibt es keine Vogelskelette in den Gräbern. Dort findet man hingegen Grabkammern mit Bilderfriesen: Jagddarstellungen mit Greifvögeln. In beiden Fällen ist Falknerei ein Statussymbol. Unter den schwedischen Gräbern ist sogar das Grab einer Königin!

Welchen symbolischen Wert haben Falken abgesehen davon, dass sie Statussymbole waren?

Falken gibt es bei Walther von der Vogelweide im hohen Minnegesang. Und Reiter tragen den Greifvogel auf der Faust. Diese innige Beziehung von Falkner zum Vogel wird auf die Angebetete übertragen und so zum Symbol für die Liebe.

Wann war die Blütezeit der europäischen Falknerei?

Die Blütezeit setzte mit dem Stauferkönig Friedrich II. ein, der im 13. Jahrhundert ein bis heute unerreichtes Buch über Falknerei geschrieben hat, und sie reichte bis kurz vor die Französischen Revolution. Die Reiherjagd mit Wander- und Gerfalken war damals ein großes Ereignis. Da sind mehrere Falken gleichzeitig in der Luft gewesen, das war ein Luftspektakel! Mit dem Erstarken des Bürgertums endet die Falknerei, danach besteht sie nur in England fast unverändert fort. In Deutschland ist die Falknerei erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder eingeführt worden.

Womit wird aktuell gejagt?

Ganz klassisch mit dem Habicht oder Falken. Daneben spielen auch Steinadler und Wüstenbussarde eine Rolle. Um mit Vögeln zu jagen, muss man in Deutschland nicht nur einen Jagdschein haben, sondern auch noch eine Falknerprüfung bestanden haben. Aktiv gibt es einige hundert Falkner in Deutschland, deutlich mehr in Nordamerika. Auf der Arabischen Halbinsel und in Mittelasien ist die Falknerei noch heute am stärksten verbreitet

Der Archäologe Oliver Grimm (rechts) mit seinem Kollegen Karl-Heinz Gersmann bei einer von ihm organisierten Falknerei-Tagung an der New York University Abu Dhabi im März 2018.
Foto von Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie

Lesen Sie auch unsere Reportage "Blitze mit Federn" über einen Scheich und seinen Falkner in Heft 10/2018 des National Geographic-Magazins. Jetzt ein Abo abschließen!

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