Jack London: Ein Leben so abenteuerlich wie seine Bücher

Als mittelloser Vagabund versuchte sich London als Seemann, Pirat und Goldsucher, eher er zum literarischen Star wurde. Die Exzesse seines Abenteuers verkürzten sein Leben jedoch dramatisch.

Von Simon Ingram
Veröffentlicht am 2. März 2020, 13:20 MEZ
Jack London in Kalifornien, 1905.
Jack London in Kalifornien, 1905. Heute ist er vor allem für seine Geschichten „Ruf der Wildnis“, „Wolfsblut“ und „Der Seewolf“ bekannt, publizierte aber insgesamt 50 Bücher von Science-Fiction bis Satire. Pro Tag schrieb er mindestens 1.000 Wörter.
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Es ist eine Geschichte über Freundschaft, Loyalität und die Wiederentdeckung der Wildnis und der ursprünglichen Natur. Geschrieben wurde sie 1903 von Jack London – und gilt heute als einer der besten amerikanischen Romane überhaupt. Nach wie vor ist sie so aktuell und ihr Reiz so nachvollziehbar, dass Anfang des Jahres eine Neuverfilmung mit Harrison Ford in die Kinos kam. Die Rede ist natürlich von „Ruf der Wildnis“ (orig.: The Call of the Wild), in dem ein kanadischer Goldsucher sich während des Klondike-Goldrauschs mit einem Hund anfreundet.

Der Erfolg seines Romans – zusammen mit dem folgenden Werk „Wolfsblut“ und insgesamt 50 Büchern – machte London zu einem von Amerikas bestbezahlten und am häufigsten übersetzten Autoren. Gleichzeitig wurde er dank seiner charismatischen Persönlichkeit und seinem abenteuerlichen Leben zu einem der ersten literarischen Stars.

Londons Lebensweg aus der Armut zu einem weltbekannten Literaten ist eine fast schon unglaubwürdige Geschichte, die von vielen Rückschlägen überschattet war und ein jähes Ende fand, als er gerade mal 40 Jahre alt war. Über die Umstände seines Todes gibt es zahlreiche Berichte – die wenigsten davon korrekt.

Harrison Ford als Jack Thornton – zusammen mit Buck – in der Neuverfilmung von „Ruf der Wildnis“.
Foto von 20th Century Studios

Abenteuerliche Jugend

Der Mann, der später Jack London werden sollte, wurde 1876 in San Francisco als John Griffith Chaney geboren. Er war der Sohn der Musiklehrerin und Spiritistin Flora Wellman und vermutlich des Astrologen William Chaney. Der verneinte seine Vaterschaft jedoch und verließ Flora vor Johns Geburt. Da seine Mutter unter psychischen und körperlichen Problemen litt, gab sie ihren Sohn zur Pflege an die Afro-Amerikanerin Virginia Prentiss. Später wurde sie mit ihrem Sohn aber wiedervereint, als sie den Bürgerkriegsveteranen John London heiratete. Die Familie zog anschließend nach Oakland.

John nahm den Nachnamen seines Stiefvaters an und gab sich gleich noch einen neuen Vornamen. Mit 14 verließ Jack London die Schule und begann, sich mit reihenweise zermürbenden Arbeiten in der Gegend um San Francisco über Wasser zu halten. Dazu zählten auch eine kurze Karriere als Austernpirat – ein Verbrechen, das mit einem Gefängnisaufenthalt bestraft werden konnte – und ironischerweise eine Anstellung bei der Fischereipatrouille.

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Durch diese Jobs wurde Jack zu einem zähen Seefahrer. 1893 heuerte er als Matrose auf der Sophie Sutherland an, die zur Robbenjagd über die kalten, wilden Gewässer des Beringmeers Richtung Japan fuhr. Er war 17 Jahre alt.

Als er nach Amerika zurückkehrte, tobte dort eine Depression, die als Panik von 1893 in die Geschichte einging. Er schloss sich einem Protestzug arbeitsloser Arbeiter nach Washington, D.C., an, um dort für den Ausbau der Infrastruktur und somit für Arbeitsplätze zu demonstrieren. 1895 verbrachte er wegen Vagabundierens 30 Tage in einem Gefängnis. Danach kehrte er nach Kalifornien zurück und studierte kurzzeitig an der University of California in Berkeley, bis ihm das Geld ausging. Dann erreichte ihn Nachricht von Goldfunden im Norden.

Jack London im Alter von neun Jahren mit einem vierbeinigen Freund, 1885. Ein späterer Bekannter, Marshall Bond, sagte über Londons Liebe zu Hunden: „Er hatte ein gutes und direktes Gespür für gute Eigenschaften und wusste sie in einem Hund ebenso zu schätzen wie in einem Menschen.“ Bonds eigener Hund Jack war die Inspiration für Buck, den Helden in „Ruf der Wildnis“.
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Die Spur des Goldes

Im August 1896 war eine Gruppe von Bergarbeitern in Rabbit Creek auf Gold gestoßen. Der kleine Ort liegt bei Dawson City in der Region Klondike, im nordwestlichen Territorium Yukon. Im Laufe der folgenden drei Jahre pilgerten schätzungsweise 100.000 Goldsucher aus dem amerikanischen Westen nach Yukon. Viele von ihnen reisten per Schiff von Küstenstädten wie Seattle und San Francisco über Alaska an. Angeblich schafften es nur um die 30.000 von ihnen durch das erbarmungslose Hinterland bis zum Goldfeld – und einer von ihnen war Jack London.

Der Klondike-Goldrausch wurde nach dem Fluss benannt, der durch die Region fließt. Als London 1897 in Dawson City eintraf, war die raue Wildnis von Yukon zwischen Alaska und Kanada größtenteils nicht erschlossen und die Infrastruktur primitiv.
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Die Zustände waren furchtbar. In Berichten über jene Zeit ist die Rede von Mangelernährung, von Menschen, die schwer beladen in Mooren ertranken, und von Goldsuchern, die vor Kälte und Hunger wahnsinnig wurden. Viele ließen sich als Lohnarbeiter von den „Klondike Kings“ anstellen, die bereits die besten Claims ergattert hatten und andere Goldsucher dafür bezahlten, ihr Gold zu schürfen.

Ein Briefmarkenmotiv illustriert die Strapazen des Goldrausches, der auch Jack London in den Norden lockte. Seine dortigen Erfahrungen inspirierten später Geschichten wie „To Build a Fire“, „Ruf der Wildnis“ und „The White Silence“.
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Nachdem er in Alaska angekommen war, kämpfte sich Jack London zusammen mit einer Gruppe gut ausgerüsteter Goldsucher durch gefahrvolle Seenlandschaften und tückische Stromschnellen. Sie schafften es schließlich bis zum Chilkoot Pass an der Grenze zu Yukon, der das Nadelöhr für die Goldsucher von Alaskas Küste darstellte. Um bis zu eine Tonne Ausrüstung über den steilen Pass zu transportieren, waren teils bis zu 40 Auf- und Abstiege nötig, immer vorbei am wachsenden Slum erschöpfter Goldsucher.

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Nachdem er ein 150 Meter großes Gebiet am Stewart River abgesteckt hatte, kehrte Jack London nach Dawson City zurück, um seinen Claim offiziell zu machen. Die Zeit, die er in den verrauchten und mit allerlei Gestalten gefüllten Saloons der Goldrausch-Stadt verbrachte, war eine willkommene Abwechslung zu der Goldgräberei an den eiskalten Flussufern. Dort fand er außerdem Inspiration für viele Charaktere seiner späteren Geschichten. Einer davon war ein Bernhardiner-Collie-Mix namens Jack, der zwei Brüdern gehörte, die er dort traf. Sie erlaubten es Jack, neben ihrer Hütte zu campen. Der Besitzer des Hundes, Marshall Bond, schrieb später über London: „Er hatte ein gutes und direktes Gespür für gute Eigenschaften und wusste sie in einem Hund ebenso zu schätzen wie in einem Menschen.“

Der Chilkoot Trail 1898, der zum gleichnamigen Pass führt. Für die schwer beladenen Goldsucher auf dem Weg nach Yukon war dieser die schwerste Prüfung. Von den schätzungsweise 100.000 Goldsuchern, die sich auf den Weg machten, erreichten nur etwa 30.000 die Region Klondike.
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Dawson City wurde Ende des 19. Jahrhunderts zur Stadt des Goldrauschs. Die endlosen Polarnächte und Polartage sollen in Kombination mit Erschöpfung und Unterernährung zahlreiche Goldsucher in den Wahnsinn getrieben haben. Die düstere Atmosphäre jener Zeit wurde in den Romanen von London und den Gedichten von Robert W. Service verewigt.
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Aufgrund von Unterernährung und einer zu geringen Ausbeute kehrte London nach elf Monaten in Yukon schließlich nach Kalifornien zurück. Später schrieb er: „Ich habe nichts aus Klondike mitgebracht außer Skorbut.“ Ganz richtig war das aber nicht. Seine intensiven Erfahrungen in Kanada und seine Entscheidung, aus dem Arbeitskarussell mit einer Karriere als Schriftsteller auszubrechen, brachten am Ende mehrere Kurzgeschichten hervor, die den Überlebenskampf in den rauen Elementen des harten Nordens thematisierten. „In Klondike habe ich mich gefunden“, schrieb er später. „Dort spricht niemand. Alle denken nach. Da bekommt man eine neue Perspektive. Da habe ich meine gefunden.”

Eine Goldsucherkarte aus einem Ratgeber für Klondikers, ca. 1898.
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Die Menschen, die London hoch im Norden traf, wurden später zu Charakteren in seinen Geschichten. 1903 war dann auch Marshalls Hund Jack an der Reihe. Er wurde zu Buck, einem gestohlenen kalifornischen Mischling, der im Norden als Schlittenhund eingesetzt wurde. Er ist der Hauptcharakter in jenem Buch, das Jack Londons erster literarischer Erfolg werden sollte. Schon direkt nach seiner Veröffentlichung wurde „Ruf der Wildnis“ mit positiven Rezensionen überhäuft und war mehrfach ausverkauft.

Dawson City hat sich viel von seinem alten Charme erhalten. Die Atmosphäre eines Außenpostens in der nördlichen Wildnis ist überall zu spüren. Außerdem gibt es einen Jack-London-Platz und Besucher können seine alte Hütte besuchen, die vom Ufer des Stewart River in die Stadt gebracht wurde.
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Seiner Zeit voraus

Jack London heiratete 1900 die Lehrerin Bess Maddern und das Paar bekam zwei Töchter. 1904 war London dann als Kriegsreporter tätig und schrieb für den San Francisco Examiner Berichte über den Russisch-Japanischen Krieg. Als er auf der SS Siberia nach Japan reiste, fand er sich in Gesellschaft einer Gruppe trinkfester Journalisten wider, den Vultures (dt.: Aasgeier), zu denen auch Korrespondenten der Times und des New York Herald gehörten.

Londons Depeschen wurden kontrovers diskutiert. Kritiker fanden, sie würden Angst vor den aufsteigenden Mächten Asiens schüren und von Londons eigenen rassistischen Vorurteilen zeugen. Wie genau der Autor, der seit seinen Protesttagen während der Depression ein engagierter Sozialist war, über Rasseproblematiken zu denken schien, war vielen Leuten unklar. Sein Biograf Earle Labor beschrieb Londons Ansichten als „ein Bündel von Widersprüchen“.

Jack London (fünfter von links) und die „Vultures“ – eine Gruppe von amerikanischen Reportern, die über den Russisch-Japanischen Krieg berichten sollten – auf der SS Siberia im Jahr 1904.
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Spätere Analysen seiner Berichte aus dem Krieg schienen jedoch auf das Gegenteil hinzudeuten: Jack London schien ein aufmerksamer Liberaler gewesen zu sein, der mit den Unterdrückten sympathisierte und künftige Konflikte prophezeite. „Eine genaue Untersuchung von Londons Schriften zeigt […], dass er seiner Zeit intellektuell und moralisch voraus war“, schrieb Daniel A. Métraux in seiner Analyse im „Asia Pacific Journal“. Er beschrieb Londons Depeschen als „ausgewogene und objektive Berichte, die Sorge um den ganz normalen japanischen und russischen Soldaten erkennen lassen, aber auch um den koreanischen Bauern oder die normale chinesische Frau.“

„Ruf der Wildnis“ (1903) war Londons erster kommerzieller Erfolg. Das Buch erzählt die Geschichte eines Hundes, der seine Menschen verlässt und zu seinen wilden Wurzeln zurückkehrt. Der Roman „Wolfsblut“ (1906) kehrte diese Dynamik um, während „Der Seewolf“ (1904) an Londons Zeit auf einem Robbenschoner im Nordpazifik angelehnt ist.

Londons Werke bauten auf seinen eigenen Erfahrungen auf, gingen aber auch über diese hinaus. Einige seiner gefeiertsten Werke sind dabei gleichzeitig auch die am wenigsten bekannten. „London schrieb Dutzende von erstklassigen Kurzgeschichten. ‚A Piece of Steak‘, ‚Koolau the Leper‘ und ‚South of the Slot‘ (alle 1909) sind drei ausgezeichnete Beispiele”, sagt Kenneth Brandt, ein Professor für Englisch am Savannah College of Art and Design. Brandt ist außerdem der Redakteur von „The Call“, dem Magazin der Jack London Society. „Er hat einmal gesagt, dass ‚The People of the Abyss‘ (1903) sein Lieblingswerk sei. Es ist ein Exposé der ärmlichen Bedingungen im Londoner East End. Er hat sich als Obdachloser verkleidet, um undercover Recherchen für sein Buch zu betreiben.“

Der Ruf des Meeres

Mit seinem regelmäßigen Einkommen und seinem Weltruhm konnte London es sich leisten, zwei seiner Leidenschaften nachzugehen: dem Land und dem Meer. Nach dem Ende seiner ersten Ehe heiratete er Charmian Kittredge. 1906 gab er den Bau einer 17 Meter langen Ketsch in Auftrag. Sein Schiff nannte er die „Snark“ – nach dem maritimen Unsinnsgedicht von Lewis Carroll. Der Bau der Ketsch verdeutlicht Londons abenteuerliche und unkluge Einstellung zu Geld: Die geplanten Kosten von 7.000 Dollar wurden haushoch überschritten. Am Ende kostete ihn die Snark 30.000 Dollar. London bemerkte dazu nur trocken: „Ich habe die Schecks unterschrieben und das Geld aufgetrieben.“

London und seine zweite Ehefrau Charmian auf der Snark, 1907.
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Obwohl sein Schiff nicht besonders groß war, wollte er damit auf einer mehrjährigen Expedition um die Welt segeln. Ein Artikel in „Popular Mechanics“ aus dem Jahr 1907 berichtete, dass London sich auf dem Schiff „sieben Jahre Ärger einhandeln“ würde, aber auch, dass es mit allen modernen Annehmlichkeiten ausgestattet war – und „einem Arsenal an Schrotflinten, Gewehren, Revolvern und einem Schnellfeuergeschütz“. Später verewigte er seine Seereise in „The Cruise of the Snark“ (1911) und seinen „South Sea Tales“ (1911). Die Kurzgeschichtensammlung gilt als eines von Londons besten Werken.

An abenteuerlichen Erlebnissen mangelte es auf der Reise jedenfalls nicht. Die erste Strecke von San Francisco nach Hawaii war ein einziges Chaos aus verschmutzten Treibstofftanks, Lecks in der Schiffshülle, Stürmen, provisorischen Zahn-OPs, schlechter Navigation und Abstecher in das Territorium angeblicher Kannibalen. Die Weltreise endete vorzeitig in Australien, als London – neben anderen Erkrankungen – eine Frambösie erlitt. Die schwere Infektionskrankheit, die vornehmlich die Haut befällt, verhinderte, dass er die festgelegte Menge Text an Bord seines Schiffes produzieren konnte. Fieber, Hautverschorfungen, die rapide Verdickung seiner Fingernägel und eine Ganzkörperschuppenflechte führten zu der Befürchtung, er hätte sich die Lepra zugezogen. Auf fünf Woche in einem australischen Krankenhaus folgten fünf Monate der Genesung in einem Hotel, aber so richtig ausheilen wollte die Krankheit nicht. Die Ärzte waren ratlos – und am Ende heilte ihn nur die Rückkehr nach Kalifornien. London selbst beschrieb es als eine „glückliche, unbeschwerte Reise“.

Jack London am Ruder seiner 17 Meter langen Ketsch, der Snark, 1907.
Foto von Design Pics Inc., Alamy

“Er wollte alles, versuchte sich an allem und schien dabei eine Vielzahl von Identitäten gleichzeitig zu besitzen: professioneller Autor, Goldsucher, Sozialist, Seefahrer, Bohemian, Draufgänger, politischer Aufrührer, Bauer, Surfer, Journalist. ”

PROFESSOR KENNETH BRANDT, Savannah College of Art and Design

Das Unglück von Wolf House

Londons optimistische Sicht auf die zahlreichen Eskapaden mit seiner Snark sagen vermutlich viel über seinen Charakter. Er brauchte das Abenteuer mit all den Erfahrungen, die es mit sich brachte. „Er wollte alles, versuchte sich an allem und schien dabei eine Vielzahl von Identitäten gleichzeitig zu besitzen: professioneller Autor, Goldsucher, Sozialist, Seefahrer, Bohemian, Draufgänger, politischer Aufrührer, Bauer, Surfer, Journalist. Die Liste geht noch weiter“, sagt Brandt. „London hatte eine extrem große Vorstellungskraft und war bemerkenswert dynamisch und effizient.“

Seine „Rückkehr auf den Boden“ veranlasste ihn, 566 Hektar Land in Glen Ellen in den Hügeln über Oakland zu kaufen. Dort betrieb er eine Farm, bestellte das Land und baute „Wolf House“ – ein großes Anwesen mit 26 Zimmern und einer riesigen Bibliothek.

Aber Londons Traum von einem romantischen, abgeschiedenen Leben im eigenen Haus, das „tausend Jahre lang Bestand haben“ sollte, endete in der Nacht des 22. August 1913, als Farmarbeiter am Himmel ein rotes Glühen bemerkten. Wolf House stand in Flammen und brannte bis auf seine steinernen Grundmauern nieder. Das Paar hatte gerade erst seine ganzen Besitztümer ins Haus bringen lassen und wollte dort einziehen. Als die Londons zu Pferd an den Unglücksort kamen, blieb ihnen nichts weiter übrig als zuzusehen, wie ihr Traum in Flammen aufging.

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Es war eine heiße, aber ruhige Sommernacht gewesen – und das unglückliche Timing sowie eine fehlende Brandursache veranlassten Charmian London dazu zu schreiben, es sei ein „unumstößlicher Fakt, dass es von irgendeinem Widersacher angezündet wurde“. Viele Gerüchte machten die Runde und der Verdacht fiel auf eine Vielzahl von Personen, von unzufriedenen Farmarbeitern über neidische Nachbarn bis zu Charmian selbst, die außer sich gewesen sein soll, weil ihr Mann so viel Zeit auf den Bau des Hauses verwendet hatte.

Erst 1995 wurde die Brandursache ermittelt: Der forensische Analytiker Bob Anderson hielt einen Haufen in Leinöl getränkter Baumwolltücher für die wahrscheinlichste Ursache. Sie entzündeten sich durch Erwärmung vermutlich selbst, nachdem sie von achtlosen Schreinern liegen gelassen worden waren.

Die Londons hatten viel in das Haus investiert – nicht nur finanziell, sondern auch emotional. Charmian schrieb später, dass der Verlust des Hauses „etwas in Jack sterben ließ“.

Die Ruinen von Wolf House im Jack London Historic Park, Glen Ellen, Kalifornien. Das Haus brannte kurz vor dem Einzug der Londons nieder.
Foto von Jon Arnold Images Ltd, Alamy

Die Kosten des Exzesses

Londons Extravaganz, seine landwirtschaftlichen Projekte und der Bau – und Verlust – des Hauses brachten ihn in finanzielle Schwierigkeiten. Hinzu kam, dass die Versicherungen für das Haus nur einen Bruchteil vom Wert des Anwesens auszahlten. Seine selbst auferlegtes Schreibziel von 1.000 Wörtern pro Tag wirkte auf viele daher eher wie eine finanzielle Notwendigkeit (und immerhin bescherte es ihm 49 Bücher in 17 Jahren).

Zum Zeitpunkt des Brandes war die Gesundheit des Autors bereits angeschlagen. London war ein lebenslanger Raucher, und seine Zeit in Klondike hatte seinem Gesundheitszustand schon früh einen harten Schlag verpasst. Wie viele Goldsucher litt er an Unterernährung und Skorbut, verlor seine Schneidezähne und wurde von starken Unterleibsschmerzen geplagt. Er erholte sich zwar, aber seine Erkrankungen im Südpazifik sowie sein Alkoholmissbrauch auf den kalten Meeren und in den Saloons von Dawson City rächten sich. Vermutlich bescherte ihm das giftige Quecksilberchlorür, mit dem er seine Frambösie behandelte, eine Nierenerkrankung, die seine Lebenszeit beträchtlich verkürzte. Jack London starb im November 1916 auf seiner Ranch in Kalifornien im Alter von 40 Jahren.

Jack London in seinem kalifornischen Büro, kurz vor seinem Tod im Jahr 1916.
Foto von Design Pics Inc., Alamy

“Die Geschichte um den Selbstmord packt einfach noch mehr Sensation in eine Lebensgeschichte, die ohnehin schon hyperromantisch ist. Drama verlangt immer nach mehr Drama.”

PROFESSOR KENNETH BRANDT, Savannah College of Art and Design

Das Erbe eines Abenteurers

Heutzutage findet sich Jack Londons Name nicht nur in seinen Büchern, sondern auch an diversen Wahrzeichen und Denkmälern, in Namen von Organisationen, die ihm und seinem Lebenswerk gewidmet sind, und in einem State Historic Park auf dem Gebiet seiner ehemaligen Ranch, wo die Ruinen des Wolf House noch heute stehen. Im aktuellen Film ist Harrison Ford bereits der achte Schauspieler, der in die Rolle des John Thornton schlüpft.

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Auch, wenn Londons Werk mitunter als Fall von „Quantität vor Qualität“ angesehen wird, kann niemand bestreiten, wie beliebt seine Geschichten waren. Seine besten Werke können sich mit denen anderer Größen der Literaturgeschichte messen – auch wenn sie erst in jüngerer Zeit angemessen gewürdigt wurden. „Das Establishment des frühen und mittleren 20. Jahrhunderts bevorzugte die formalen Komplexitäten von Autoren wie William Faulkner und T.S. Eliot, nicht so sehr den direkten, zugänglichen Stil Londons“, erklärt Kenneth Brandt. „In letzter Zeit ist die Forschung um London aber regelrecht aufgeblüht, da sich die Kritiker jetzt mehr für Themen wie Rasse, Klasse, Gender, Umweltschutz und Tierstudien interessieren – Themen, die London immer wieder bearbeitet hat.“

Abseits aller Literaturkritik hat London in seinen Werken vor allem die Essenz großer Abenteuer eingefangen, die noch heute begeistern. Im Vorwort für die englische Ausgabe von „South Sea Tales“ aus dem Jahr 2002 schrieb der Pulitzer-prämierte Journalist Tony Horwitz: „Wenn Londons Geschichten uns in ihren Bann ziehen, sind wir ganz und gar dort – an der Grenze der Welt und des menschlichen Durchhaltevermögens.“

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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