So stattete die NASA ihre Helden der Nation aus

Diese sieben Artefakte erzählen die Geschichte der Raumfahrt aus einer neuen Perspektive.

Von Simon Ingram
Veröffentlicht am 6. Okt. 2020, 16:18 MESZ
Artefakte des Weltraumzeitalters für den Lebensstil des Weltraumzeitalters: Von experimentellen Flugzeugen über Raketen bis hin zu ...

Artefakte des Weltraumzeitalters für den Lebensstil des Weltraumzeitalters: Von experimentellen Flugzeugen über Raketen bis hin zu Autos prägten diese Objekte die Ästhetik des amerikanischen Wettlaufs ins All.

Foto von Smithsonian National Air and Space Centre, NASA, Alamy

In den späten Fünfzigern waren in Amerika alle Augen auf den Himmel gerichtet. Der Zweite Weltkrieg war vorbei. Der Kalte Krieg begann gerade erst – und mit ihm ein Wettlauf zwischen zwei rivalisierenden Nationen: den Vereinigten Staaten und der UdSSR. Der große Preis war ein ultimativer technologischer Meilenstein – den ersten Menschen der Weltgeschichte in den Weltraum zu bringen.

Dieser Wettlauf ins All speiste sich aus den Trümmern des hektischen Fortschritts, den die letzten Jahre des Zweiten Weltkriegs befeuert hatten. Er war enorm kostspielig und wurde gelegentlich auch mit Geheimdienstinformationen unklaren Ursprungs vorangetrieben. Ein Großteil davon stammte von ehemaligen Nazi-Waffenwissenschaftlern, die sowohl von den Sowjets genutzt als auch im Rahmen der „Operation Paperclip“ von der NASA (damals NACA) rekrutiert wurden. Dieser Wettbewerb auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs führte unweigerlich zur steilsten Ära der Raumfahrt. Und er gipfelte in den USA im Project Mercury, dem ersten bemannten Raumfahrtprogramm Amerikas.

Testpiloten wurden aus allen Bereichen des Militärs angeworben, aber dennoch gab es gewaltige Probleme zu lösen: Man wusste wenig darüber, wie der menschliche Körper auf Schwerelosigkeit reagieren würde, auf die gewaltige Hitze beim Wiedereintritt, auf extreme G-Kräfte oder potenziell tödliche kosmische Strahlung. Ganz zu schweigen davon, dass die Piloten unter all diesen Bedingungen einen sicheren Kurs in den Weltraum und wieder zurück zur Erde halten mussten – innerhalb jenes schmalen Toleranzbereiches, in dem sie überleben konnten. Der zermürbende Auswahlprozess zur Rekrutierung der ersten amerikanischen „Astronauten“ stellte den wenigen Auserwählten die polarisierende Aussicht auf ewigen Ruhm oder einen tragischen Tod in Aussicht.

Die „Mercury 7“ waren die Testpiloten, die für das erste US-Astronautenprogramm ausgewählt wurden. Sie wurden über Nacht zu Berühmtheiten, und auch ihre Familien rückten ins internationale Rampenlicht. Ihr Leben wurde von Tom Wolfe in seinem Buch „The Right Stuff“ dramatisiert, das von Disney+ adaptiert wurde. (Die Walt Disney Company ist Mehrheitseigner von National Geographic).

Foto von NASA

Es war eine Zeit, die von überlebensgroßen Charakteren und Lebensweisen geprägt war, mit großen Ambitionen und allgegenwärtigen Gefahren. Und in der neuen Technicolor-Welt der heimischen Fernseher, Zeitschriften und Nachrichtensendungen wurden die sieben ausgewählten Astronauten und ihre Familien zu einer neuen Generation an Prominenten aus dem wirklichen Leben.

Das Buch „The Right Stuff“ von Tom Wolfe, das 1979 erschien – und jetzt in einer neuen Adaption auf Disney+ zu sehen ist –, erzählt die Geschichte von Project Mercury. Das Projekt definierte auch die Optik des Weltraumzeitalters, und zwar mit einer Ästhetik, die dem befreiten, wohlhabenden Amerika der späten 1950er Jahre entstammt. Es war ein Zeitalter von Autos, die von Raumfahrzeugen inspiriert waren, von Piloten, die Astronauten werden wollten, und von Technologien, die die Grenzen des Möglichen verschoben.

Von Schätzen der Americana bis hin zu Objekten, die vor Einfallsreichtum und Adrenalin nur so strotzen, stellen wir sieben Artefakte vor, die im Großen wie im Kleinen die Epoche mitbestimmten.

Chuck Yeager (rechts) und der Schauspieler Sam Shepard posieren neben einer Nachbildung der Bell X-1, die für Philip Kauffmans Adaption von „The Right Stuff“ (1983) verwendet wurde. Shepard spielte in dem Film Yeager, Yeager selbst diente als technischer Berater. 

Foto von Everett Collection, Alamy

1.  Bell X-1

1947 durchbrach Chuck Yeager die Schallmauer in dem tonnenförmigen Flugzeug Bell X-1, dem er – nach seiner Frau – den Spitznamen Glamorous Glennis verpasste. Die Maschine läutete praktisch den Beginn der menschlichen Raumfahrt ein.

Yeager kämpfte im Zweiten Weltkrieg, bevor er auf Testflüge mit Versuchsflugzeugen umsattelte. Diese Testflüge dienten eigentlich dazu, die Konstruktion von Flugzeugen zu verbessern, aber damit waren sie auch der Wegbereiter für ehrgeizigere Projekte. Yeager brach sich nur Tage vor seinem rekordverdächtigen X-1-Flug bei einem Sturz von einem Pferd zwei Rippen. Es war schon im gesunden Zustand kompliziert, im Sitz der Maschine Platz zu nehmen. Zu seinem großen Testflug musste der verletzte Pilot dann einen Besenstiel an der Flugzeugtür befestigen, damit er sie schließen konnte. 

Die Bell X-1, geflogen von Chuck Yeager, war das erste Flugzeug, das die Schallmauer durchbrach.

Foto von Smithsonian National Air and Space Museum

„Furcht lauerte in den tiefen Windungen des Geistes – gegenwärtig, begründet, aber unter Kontrolle“, als die X-1 – kaum mehr als eine orangefarbene Rakete mit Tragflächen – auf über 6.000 Metern aus einer B-29 abgeworfen wurde, wie Yeager später schrieb. Er zündete die Triebwerke und stieg auf 13.700 Meter. Fünf Minuten später beschleunigte er und durchbrach mit Mach 1,06 die Schallmauer. Yeager flog 18 Sekunden lang mit Überschall, bevor er auf einem kalifornischen Seebett landete.

Der Blick eines Piloten in das Innere der Bell X-1 zeigt Instrumente der 1947er-Spezifikation, die denen in damaligen Kampfflugzeugen ähneln. Oben rechts ist das Machmeter zu sehen.

Foto von Smithsonian National Air and Space Museum

Obwohl er jene Qualitäten verkörperte, mit denen er in Tom Wolfes Worten das Zeug („the right stuff“) zum Astronauten hätte, wurde Yeager nie ein Raumfahrer. Stattdessen kehrte er zum Kampfgruppenstab zurück und ging 1975 nach Einsätzen im Kalten Krieges und in Vietnam als Brigadegeneral in den Ruhestand. Zuletzt durchbrach er 2012, im Alter von 89 Jahren, die Schallmauer in einer F-15. Mittlerweile ist er 97 Jahre alt – und überlebte damit jeden einzelnen der Mercury 7. 2014 sagte Yeager in einem Interview mit „Wired“, dass sein Erlebnis des frühen Wettlaufs ins All ganz anders als die glamourösen späteren Jahre war: „Wir bekamen keine kostenlosen Häuser oder Ruhm. Wir arbeiteten uns für 250 Dollar im Monat den Arsch ab. Viele von uns starben dabei.”

Aktueller Standort: The Smithsonian National Air And Space Museum, Washington, D.C.

2. Primaten-Kapsel

Ein umstrittener Aspekt des Mercury-7-Programms war der Einsatz von Tieren als Versuchssubjekte. Eine Reihe von Tieren musste bei frühen Flügen als Proto-Astronauten herhalten – eine Praktik, die auch in der UdSSR Anwendung fand. Der Einsatz der Sowjets von Hunden bei Raumflügen verfolgte ein ähnliches Ziel: Man wollte die Fähigkeit von Lebewesen testen, den Strapazen der Raumfahrt standzuhalten. Im Gegensatz zu den berühmteren russischen Hunden (beispielsweise Laika) war für die meisten Tiere, die die NASA ins All schoss, zumindest ein sicherer Rückflug eingeplant. Das galt auch für die ersten Erdlinge überhaupt im Weltraum: eine Partie Fruchtfliegen, die 1947 in der Kapsel einer erbeuteten V-2-Rakete der Nazis hochgeschickt wurde. Die Insekten kehrten per Fallschirm sicher auf die Erde zurück.

Ham wird im Januar 1961 in seine ‚Couch‘ geschnallt, die speziell auf seinen Körper angepasst wurde, wie bei allen Mercury-Astronauten.

Foto von NASA

Die berühmt-berüchtigten „Astroschimpansen“ waren die letzten Testsubjekte vor den bemannten Raumflügen – und sie durchliefen ihren eigenen Auswahlprozess. Schließlich schafften es 6 von 40 Schimpansen in die letzte Testphase vor dem großen Flug. Die Phase war eine Steigerung früherer Versuche mit kleineren Affen. Die Schimpansen wurden ausgewählt, weil sie „intelligent und normalerweise fügsam waren... [und] ein Primat von ausreichender Größe und Bewusstsein sind, um ein angemessenes Abbild des menschlichen Verhaltens zu liefern“.

Sie waren aber nicht nur Passagiere: Um zu beweisen, dass grundlegende Aufgaben im Weltraum durchgeführt werden können, wurden alle Schimpansen darauf trainiert, einen Hebel zu betätigen, wenn ein blaues Lämpchen aufleuchtete. Bei einer falschen Reaktion erhielt der Primat einen kleinen Stromschlag an den Fußsohlen, als Belohnung für eine korrekte Reaktion winkte ihm ein Bananenpellet. 

Direkt vor dem großen Flug wurde der Schimpanse Ham ausgewählt, weil er „besonders lebhaft und gut gelaunt“ war. Ham startete am 31. Januar 1961 und erreichte eine Höhe von etwa 250 Kilometern, wobei er 18G aushalten musste. Der Schimpanse betätige erfolgreich seinen Hebel, als er dazu aufgefordert wurde. Während seines 16-minütigen Fluges erlebte er etwa sechs Minuten Schwerelosigkeit. 

Viele Tierflüge nahmen bei der Landung ein tragisches Ende – und fast wäre es auch Ham so ergangen. In seine Kapsel drang bei der Wasserlandung Wasser ein, aber er wurde erfolgreich geborgen und war „scheinbar unbeeindruckt“. Spätere Kommentatoren widersprachen der Einschätzung und beharrten darauf, dass Hams Lächeln in Wirklichkeit eine Grimasse war. Sein Bild zierte die Titelseite von Zeitschriften wie „Life“ und er war Gegenstand mehrerer Dokumentarfilme.

Ham in seiner Lebenserhaltungskapsel. Die Kapsel – eine Alternative zu einem Raumanzug – wurde um den Sitz herum gebaut, um im Falle eines Druckabfalls Schutz zu bieten. Rechts: Mit einem „Händedruck“ begrüßt Ham nach seiner Wasserlandung den Kommandanten seines Bergungsschiffes, der USS Donner.
 

Foto von NASA

Ein zweiter Schimpanse, Enos, flog am 29. November 1961 in den Orbit, kurz vor dem ersten Orbitalflug von John Glenn im darauffolgenden Februar. Auch er kehrte wohlbehalten zurück, obwohl eine Fehlfunktion an Bord dazu führte, dass der Schimpanse selbst bei korrektem Ziehen des Hebels Elektroschocks erhielt.

Genau wie Enos erhielt auch Ham seinen Namen (angeblich ein Akronym des Holloman Aerospace Medical Centre, wo er ausgebildet wurde) erst nach seiner Rückkehr aus dem Weltraum. Vor seinem Flug wurde er einfach Nummer 65 genannt, um die Persönlichkeit des Tieres im Falle einer gescheiterten Mission zu anonymisieren.

Ham starb 1983 in einem zoologischen Park in North Carolina. Es kam zu Kontroversen über die Pläne, den Schimpansen zu präparieren und auszustellen. Am Ende wurden seine Überreste – abgesehen von seinem Skelett, das zu Forschungszwecken aufbewahrt wurde – respektvoll in der International Space Hall of Fame in Alamogordo, New Mexico, beigesetzt.  

Sein Flug wurde zwar als Erfolg gewertet, führte aber auch zu gewichtigen Fragen über die Art und Weise, wie Primaten im Interesse des Fortschritts in der Raumfahrt eingesetzt wurden. Diese Praxis wurde schließlich 1997 von der NASA verboten, als sie sich nach dem Tod des Affen Multik aus dem amerikanisch-russischen Bion-Forschungsprojekt zurückzog.

Als die Primatologin Jane Goodall einem Film von Ham bei seinem Flug 1961 sah, war sie entsetzt. Sie sagte 2013 zu Henry Nicholls vom Guardian: „Ich habe noch nie einen Schimpansen gesehen, dem dermaßen das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben stand.“

Aktueller Standort: Das Smithsonian National Air and Space Museum hat mehrere Primaten-Kapseln in seiner Sammlung. Ham ist in der International Space Hall of Fame in New Mexico beigesetzt.

3. Alan Shepards MR-3-Raumanzug

John Glenn war der erste Amerikaner, der den Planeten im Orbit umkreiste. Shepard hingegen wurde die Ehre zuteil, der erste Amerikaner im All zu werden. Der Anzug, den er trug – entworfen vom Reifenhersteller B.F. Goodrich –, wurde aus einem bereits von der US-Marine genutzten Druckanzug entwickelt und durchlief mehrere Designs, während Project Mercury voranschritt.

Mit einer Außenseite aus aluminiumbeschichteten Nylon und einer Innenseite aus Neopren-Nylon wurden die Anzüge hauptsächlich im „weichen“ Zustand getragen und standen während der Mercury-Flüge nie unter vollem Druck. In diesem Fall wäre die Beweglichkeit der Astronauten stark eingeschränkt gewesen, weshalb die Funktion nur bei einem unbeabsichtigten Druckverlust in der Kabine genutzt worden wäre. Dazu kam es aber nie. Das größte Manko war, dass den Astronauten in den Anzügen sehr heiß wurde.

Alan Shepard wird für den Start der MR-3-Mission am 5. Mai 1961 vorbereitet. Obwohl sein Flug nur 15 Minuten dauern sollte, verbrachte Shepard über 8 Stunden auf der Startrampe – eingeschlossen in seinem Anzug.

Foto von NASA

Jeder Anzug war auf den Astronauten zugeschnitten, und Shepard war der erste, der ihn im Weltraum einsetzte. Aufgrund der eigentlich kurzen geplanten Flugdauer fehlte seinem Anzug aber ein wichtiges Feature: Während er durch Verzögerungen mehrere Stunden auf der Startrampe wartete, war Shepard gezwungen, in seinen 29.000-Dollar-Anzug zu urinieren.

John Glenn hatte es besser: 1962 war sein Raumanzug mit einem Prototyp eines Sammelbehälters ausgestattet. Und der war auch nötig, da Glenn während seines 5-stündigen Fluges fast 800 ml Urin absonderte. Das war, wie die Ärzte später feststellten, deutlich mehr als die durchschnittliche menschliche Blasenkapazität – was eine rege Diskussion über die Auswirkungen der Raumfahrt auf die Flüssigkeitsausscheidung auslöste.

Derzeitiger Standort: Im Lager des Smithsonian National Air and Space Museum.

4. Liberty Bell 7

Die Namen der Mercury-Missionen setzten sich zusammen aus dem Programmnamen und dem Raketentyp – zum Beispiel Mercury-Redstone (MR) und Mercury-Atlas (MA) –, gefolgt von der Nummer der Mission. Die Ein-Personen-Kapseln wurden vom Astronauten getauft, alle mit dem Suffix „7“ als Verweis auf das Mercury-Team. So gab Alan Shepard seiner Kapsel den Spitznamen „Freedom 7“, John Glenn wählte „Friendship 7“, Carpenter „Aurora 7“, Schirra „Sigma 7“ und Cooper „Faith 7“. Virgil Grissom, der als zweiter der Mercury-Astronauten startete, benannte seine „Liberty Bell 7“ nach jener Glocke, die 1776 geläutet wurde, als erstmals die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung verlesen wurde. Auf die Kapsel war ein weißer Riss gemalt worden, wie ihn auch das namensgebende Nationalsymbol hat. Dieser kleine Scherz hat das Schicksal möglicherweise etwas zu sehr herausgefordert.

Die NASA hatte die Aufgabe, Raumfahrzeuge zu entwickeln, die bisher beispiellosen Strapazen standhalten mussten. Diese wurden von einer Besatzung aus noch unerfahrenen Astronauten gesteuert. Und in dem Wettlauf, noch vor den Russen einen Menschen ins Weltall zu bringen, arbeitete die US-Raumfahrtbehörde mit halsbrecherischer Geschwindigkeit. Insofern überrascht es vielleicht auch nicht, dass einige Dinge schiefgingen. Eine der frühen Beinahe-Katastrophen ereignete sich, als Grissom am 21. Juli 1961 nach einem ansonsten perfekten Flug in der Liberty Bell 7 Probleme bekam.

Durch die Weiterentwicklung der Kapseln nach jeder Mission hatte die Liberty Bell 7 ein paar neue Features erhalten. Sie hatte ein größeres, einzelnes Fenster und ein neues Sprenglukensystem, das es dem Astronauten erleichtern sollte, schnell aus der mit 70 Bolzen verschlossenen Luke zu entkommen. 

1961: Virgil Grissom posiert vor der Kapsel der Liberty Bell 7 – inklusive dem aufgemalten „Riss“, den auch die namensgebende Glocke trägt.

Foto von NASA

Grissom landete im Atlantik. Während er auf die Bergung durch den Hubschrauber wartete und sich seinen Aufgaben widmete, hörte er plötzlich einen dumpfen Schlag aus Richtung der Luke. Als er zu ihr aufblickte, sah er, dass sie verschwunden war: Er konnte den Himmel sehen – und das Meerwasser, das nun in seine Kapsel strömte. Grissom war zur Evakuierung gezwungen. Die Hubschrauberbesatzung versuchte, die sinkende Kapsel zu bergen. Durch das hineinströmende Wasser wurde sie jedoch immer schwerer, sodass der Hubschrauber die Bergung aufgab – und sowohl Kapsel als auch Grissom zurückließ, nichtsahnend, dass der Astronaut selbst damit kämpfte, sich über Wasser zu halten. Durch die plötzliche Evakuierung hatte er keine Zeit mehr gehabt, seinen Anzug zu versiegeln, sodass nun Wasser in diesen eindrang.

Glücklicherweise konnte Grissom rechtzeitig gerettet werden. Die Liberty Bell 7 hingegen sank auf den Meeresboden, wo sie verblieb, bis sie 1999 von einer Expedition aus der kalten Dunkelhait in fast 6.000 Meter Tiefe geborgen wurde. (Zum Vergleich: Die Titanic liegt in einer Tiefe von 3.803 Metern).

Ein Hubschrauber der US-Marine versucht, die angeschlagene Liberty Bell 7 aus dem Wasser zu heben, nachdem sich ihre Luke bei der Wasserlandung unerwartet geöffnet hatte. Der Kopf von Grissom ist rechts von der Mitte im Wasser zu sehen. Der Astronaut kämpfte darum, sich über Wasser zu halten – er hatte keine Zeit gehabt, seinen Anzug zu schließen, ehe Wasser eindrang.

Foto von NASA

Grissom war erschüttert von der Fehlfunktion der Luke und von seinem Kampf im Wasser. Nach dem Vorfall wurde er außerdem in eine Kontroverse verwickelt. Es gab Spekulationen darüber, ob der Astronaut die Luke in seiner Panik versehentlich oder absichtlich gesprengt hatte. Er widersprach beidem und bestand darauf, dass die letzte Öffnungsphase fünf Pfund Druck auf einen Kolben erfordern würde, der, wie Grissom im Buch „We Seven“ beschrieb, „so weit weg war, dass ich absichtlich danach greifen musste, um ihn zu treffen. Das habe ich nicht getan.“  

Bei einem späteren Einsatz löste Wally Schirra seine eigene Sprengluke von Hand aus, während er sich nach einer Wasserung sicher an Deck befand. Er erhielt einen Schnitt und eine Prellung durch den Krafteinsatz, der für das Auslösen der Sprengung nötig war. Die Verletzungen schienen zu beweisen, dass Grissom seine eigene Luke nicht ausgelöst hatte, da er keine solchen Wunden davongetragen hatte. Ob es nun ein bewusster Versuch war, seinen Freund und Kollegen zu rehabilitieren, oder nicht – es schien seinen Zweck zu erfüllen.  

Trotz solcher technischen Schwierigkeiten liefen sowohl das Mercury- als auch das Gemini-Programm ohne menschliche Todesopfer nach dem Abheben von der Startrampe ab. Auch das spätere Apollo-Programm verlor keine Astronauten im Weltraum – auch wenn es durchaus Tragödien gab. Es war ausgerechnet eine überdesignte Luke, die Grissom, Ed White und Roger Chaffee bei einem Startrampentest der Apollo 1 von 1967 daran hinderte, einem elektrischen Brand zu entkommen. Alle drei Besatzungsmitglieder starben.

Derzeitiger Standort: Die geborgene Liberty Bell 7 ist in der Cosmosphere in Hutchinson, Kansas, ausgestellt.

5. Das Celestial Training Device

„Sie sagen mir, wann und wo sie landen soll, und ich gehe von dort aus rückwärts und sage Ihnen, wann sie starten soll.“ So formulierte es Katherine Johnson, das mathematische Genie hinter den Berechnungen, die sicherstellen sollten, dass die Reisen des Project Mercury ins Unbekannte zumindest in numerischer Hinsicht etwas berechenbarer wurden.

Eine Metallkapsel von einem rotierenden Körper aus in einem Bogen ins All zu schießen, ist keine leichte Aufgabe – speziell dann, wenn man den Astronauten wieder sicher nach Hause holen will. Ganz zu schweigen davon, dass man bei der Landung nicht versehentlich etwas treffen oder irgendwo im Meer landen wollte, hunderte Kilometer entfernt vom nächsten Rettungsschiff. Das war eine komplexe Angelegenheit: Man stelle sich vor, man würde einen Tennisball aus einer Kanone in den Himmel schießen und versuchen vorherzusagen, durch welches offene Fenster er in einer 300 Kilometer entfernten Stadt fliegen könnte. Und das meiste davon war neu: Johnson erinnerte sich später: „Wir schrieben unser eigenes Lehrbuch [...] denn es gab keinen anderen Text über den Weltraum.“

Katherine Johnson arbeitet mit ihrem Rechenschieber und dem „Celestial Training Device“ (links), das ihr bei ihren Berechnungen half.

Foto von Langley Space Centre, NASA

Es war eine teuflische Mischung aus Geschwindigkeit, Schwerkraft, Aufstieg und Neigung, und das alles gegen die Erdumdrehung berechnet. Es kamen mechanische Computer zum Einsatz, um die Berechnungen anzustellen – aber es war ein „menschlicher Computer“, der dafür sorgte, dass die kritischen Berechnungen zusammenpassten. Zusätzlich zu Rechenschiebern und altmodischer Geometrie war ein wichtiges Hilfsmittel das „Celestial Training Device“ (dt.: Himmelsübungsgerät). Dieser Globus im Globus half Johnson bei Berechnungen für die komplexeren Orbitalmissionen. Ihre Prüfung erfolgte angeblich auf Drängen von John Glenn, der über Johnsons mathematische Fähigkeiten sagte: „Wenn sie sagt, [die Berechnungen] stimmen, dann kann’s von mir aus losgehen.“

John Glenn wirft einen Blick auf das Celestial Training Device, den „Globus im Globus“.

Foto von NASA

Johnson behauptete sich gegen Rassen- und Geschlechterstereotypen, um sich ihren Platz in der Geschichte der Raumfahrt zu verdienen. Sie lieferte auch die Koordinaten, mit denen die Apollo-Mission zum Mond und zurück gelangte, und arbeitete am Space-Shuttle-Programm mit. Sie starb im Februar 2020.

Derzeitiger Standort: Unbekannt.

6. Modifizierte Hasselblad 500C

In den frühen 1960er Jahren wurden die ersten von Menschenhand geschossenen Fotos der Erde zu einem mächtigen PR-Verbündeten in dem teuren Wettlauf ins All: der Lohn für gewaltige Investitionen von Steuergeldern und all das öffentliche Interesse. Zwar waren alle Kapseln mit einer automatischen Videokamera ausgestattet, dennoch „wurde der Fotografie bei den ersten beiden suborbitalen Flügen der amerikanischen Astronauten keine hohe Priorität eingeräumt, da sie sich auf den Betrieb des Raumfahrzeugs konzentrieren mussten“, erklärt Albert J. Derr in „Photography Equipment and Techniques“.

Mit Juri Gagarin schaffte es die UdSSR kaum einen Monat vor den Amerikanern, am 12. April 1961 den ersten Menschen ins All zu bringen – ebenfalls ohne Kamera. John Glenn war dann der erste, der einen Fotoapparat mitnahm, den er am 20. Februar 1962 schließlich auf die Erde richten konnte.
 
Glenns Kamera war eine von Minolta hergestellte Ansco Autoset 35mm-Kamera, die er in einem Drogeriemarkt in Florida gekauft hatte. Sie wurde mit einem neuen Auslöser und einem Filmtransport, einem speziellen Filter für experimentelle UV-Spektrografie-Fotografie und einem Distanzokular für die Verwendung mit einem Helm modifiziert. Glenn mochte die Kamera, da sie über eine automatische Belichtungseinstellung verfügte – so war sie auch mit Handschuhen leicht zu bedienen. Er nahm auch die von der NASA zugelassene Leica 1g, mit der er Standard-Farbaufnahmen der Erde machte.

Astronaut Wally Schirra testet die modifizierte Hasselblad vor seiner Mission Mercury-Atlas 8 im Jahr 1962.

Foto von NASA

Glenns Bilder waren stimmungsvoll genug, um den Appetit der Öffentlichkeit auf mehr anzuregen. Aber erst, als der begeisterte Fotograf Wally Schirra mit den Vorbereitungen für Mercury 8 begann, warf die NASA ihr Auge auf jene Kamera, die einige der berühmtesten Bilder der Weltgeschichte einfangen sollte. Bei der Kamera handelte es sich um eine stark modifizierte Hasselblad 500C, ein in Schweden hergestelltes 6x6cm-Modell im Quadratformat, das mit einem Zeiss-Objektiv kombiniert wurde. Um zu vermeiden, dass das Licht auf die silberne Oberfläche traf und das Gerät sich im Fenster des Raumfahrzeugs spiegelte, wurde die Kamera mattschwarz lackiert. Ein neuer paralleler Sucher wurde seitlich angebracht, ebenso wie ein Filmmagazin für 100 Aufnahmen (statt der üblichen 12), um einen Filmrollentausch im Orbit zu vermeiden.

Eine von zwei Kameras, die John Glenn an Bord der Friendship 7 mitnahm – eine stark modifizierte Minolta Hi-Matic (umbenannt in Ansco Autoset) mit Pistolenauslöser und Filmtransport, die für die UV-Spektrografie-Fotografie umgerüstet wurde.

Foto von NASA, John Glenn

Schließlich wurde die Hasselblad mit Klettband beschichtet, um sie auf dem Raumschiff zu befestigen, und von jeglichem überflüssigen Gramm befreit, sodass sie einsatzbereit war. Die Bilder, die Schirra einfing, wurden weiträumig, scharf und farbenprächtig. Sie verschafften einer ähnlich modifizierten Hasselblad einen Platz bei den Gemini-Missionen und später vor allem bei den Apollo-Missionen zum Mond. Dort nutzte Neil Armstrong eine weiterentwickelte Version der Kamera.  

Derzeitiger Standort: Glenns Kameras befinden sich im Smithsonian National Air and Space Museum. Die bei den Mercury-Missionen verwendete Hasselblad-Kamera wurde 2014 an einen privaten britischen Sammler verkauft.

7. 1961 Chevrolet Corvette

Mit seinen futuristischen Konturen, der extrovertierten Akustik und der dazu passenden Leistung fällt es nicht schwer, den Appeal zu verstehen, denn Chevrolets Sportwagen-Ikone für Raketenpiloten hatte. Aber die Corvette wurde nicht nur aus bloßem Zufall zu dem Auto des Astronautenprogramms. Die Begeisterung des geselligen Mercury-7-Astronauten Alan Shepard für das Modell trug dazu ebenso bei wie ein findiger Autohändler aus Florida, der den Astronauten einen besonderen Leasing-Vertrag anbot. Und so wurde die Corvette zum Auto der ersten Astronauten.  

Eine Chevrolet Corvette von 1961. Ein ähnliches Modell leasten auch die ersten Astronauten.

Foto von Alamy

Shepard, der bereits Corvette-Fahrer war, erhielt nach dem ersten Mercury-Flug 1961 vom Präsidenten von General Motors ein maßgefertigtes Modell. Der Corvette-Händler Jim Rathmann aus Florida witterte ein großes Geschäft: Er bot allen Astronauten ähnliche Autos für einen dreisten Leasing-Vertrag an, bei dem sie nur einen Dollar pro Jahr für das Gefährt zahlten – weil die Astronauten laut ihrem Vertrag keine Geschenke annehmen durften. Die meisten der Mercury 7-Astronauten entschieden sich für eine Corvette – und John Glenn wurde aufgezogen, als er bei seinem nüchterneren Familienwagen blieb. Die Astronauten waren berüchtigt für ihre Autorennen und Streiche rund um ihre Fortbewegungsmittel. Der ein oder andere spekulierte sogar, dass sich die Fahrer in ihrem Übermut früher oder später mit Vollgas aus dem Leben befördern würden.

Mit dem Fortschritt des Raumfahrtprogramms entwickelten sich auch die Corvettes weiter, vom 50er-Jahre-Modell zur Muscle-Car-Inkarnation der 1970er. Die Präsenz der Astronauten-Autos zog sich sogar bis in die Gemini- und Apollo-Programme. Die damit verbundene Publicity war oft ein Ärgernis für die NASA, die befürchtete, dass die Begeisterung ihrer Astronauten für das Auto die Unterstützung der Behörde implizierte.

Nur noch wenige Astronautenautos sind heute im Blick der Öffentlichkeit, geschweige denn auf der Straße. Zu ihnen gehören Neil Armstrongs restaurierter Stingray von 1967 und ein Paar nach Kundenwunsch lackierte Modelle für die Apollo 12-Crew, die im Corvette Museum in Kentucky ausgestellt sind. Shepard – der erste Amerikaner im Weltraum und der einzige Mercury-Astronaut, der bei Apollo 14 auch den Mond betrat – soll mindestens zehn Corvettes besessen haben. Aus dieser Sammlung stand kürzlich ein viel ausgestelltes und recht heruntergefahrenes 1968er-Modell zum Verkauf, komplett mit einem vom Fachhändler ausgetauschten Motor. Der wurde eingebaut, nachdem der Astronaut das Original angeblich geschrottet hatte. Der Preis für den Besitz dieses authentisch gealterten Überbleibsels einer adrenalingeladenen Ära liegt bei etwas über 100.000 Pfund.

Derzeitiger Standort: Die meisten verbliebenen Autos befinden sich in Privatsammlungen. Das Corvette Museum in Kentucky stellt zwei Apollo-Astronautenautos aus.

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.co.uk veröffentlicht.

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