Einzigartige Zwillingsstudie zeigt Gesundheitsrisiken von Weltraumreisen

Knapp ein Jahr lang arbeitete der Astronaut Scott Kelly auf der ISS, während sein Zwilling auf der Erde blieb. Forscher beobachteten die genetischen, körperlichen und kognitiven Veränderungen zwischen den beiden.

Von Catherine Zuckerman
Veröffentlicht am 15. Apr. 2019, 16:49 MESZ
Der Astronaut Scott Kelly (rechts) und sein Zwillingsbruder, der ehemalige Astronaut Mark Kelly, bei einer Medienveranstaltung ...
Der Astronaut Scott Kelly (rechts) und sein Zwillingsbruder, der ehemalige Astronaut Mark Kelly, bei einer Medienveranstaltung vor Scotts einjähriger Mission an Bord der ISS.
Foto von Robert Markowitz, NASA

Die medizinische Forschung liebt eineiige Zwillinge. Die körperlich und genetisch nahezu identischen Duos eignen sich ideal für Vergleichsstudien. Und wenn es sich bei den Zwillingen auch noch um Astronauten handelt, ist das für die Forscher gewissermaßen eine Goldgrube. Da überrascht es nicht, dass die NASA nicht lange überlegte, als der US-Astronaut Scott Kelly vorschlug, er und sein Zwillingsbruder Mark könnten als Testsubjekte für die Untersuchung der gesundheitlichen Auswirkungen von Langzeitaufenthalten im Weltall dienen.

Das war der Beginn einer bislang einmaligen Studie: Scott reiste auf die ISS und lebte und arbeitete dort etwa ein Jahr lang als Astronaut in der Schwerelosigkeit. Auf der Erde diente Mark als genetisch identisches Kontrollsubjekt, während er seinem ganz normalen Leben als irdischer Zivilist nachging.

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Das Experiment dauerte vom 27. März 2015 bis zum 2. März 2016. Vor, während und nach Scotts Weltraumaufenthalt untersuchte ein multidisziplinäres Team aus Wissenschaftlern die eineiigen Zwillinge fortwährend auf molekularer, körperlicher und kognitiver Ebene. Die Ergebnisse, die im Fachmagazin „Science“ veröffentlicht wurden, liefern eine ganze Reihe von Erkenntnissen, die bei künftigen Missionen zum Mond, Mars oder in noch größere Tiefe des Alls von großer Bedeutung sein könnten.

Hatte sein Weltraumaufenthalt Scott Kelly nachhaltig verändert? Ist es Menschen überhaupt möglich, langfristig jenseits der Erde zu überleben? Wir haben die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst.

Was geschah während seines einjährigen Weltraumaufenthaltes mit Scott Kellys Körper?

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    Nach einem sechsmonatigen Aufenthalt auf der ISS sieht der Astronaut Scott Kelly 2011 aus dem Fenster eines russischen Rettungshubschraubers. Nach seiner Rückkehr zur Erde reiste Kelly nach Qostanai in Kasachstan, von wo aus er seinem Heimweg fortsetzte.
    Foto von Bill Ingalls, NASA

    Insgesamt blieb Scott während seines Aufenthalts auf der ISS bei bester Gesundheit. Direkte Vergleiche zwischen ihm und Mark offenbarten jedoch ein paar geringfügige Unterschiede.

    Einer davon betrifft die Telomere, die Endstücke unserer Chromosomen. Diese Bereiche, die genetisches Material enthalten, gelten als Biomarker für Alterungsprozesse und potenzielle Gesundheitsrisiken, erklärt Susan Baily, eine Co-Autorin der Studie und Forscherin an der Colorado State University. An Bord der ISS verlängerten sich Scotts Telomere. Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich allerdings nur schlecht bis gar nicht vorhersagen, welche Auswirkungen das haben könnte.

    Darüber hinaus entdeckten die Forscher Abweichungen wie Inversionen und Translokationen in einigen von Scotts Chromosomen sowie Schäden an seiner DNA und Veränderungen in der Genexpression. Jenseits dieser genetischen Effekte verdickten sich Scotts Netzhaut und seine Halsschlagader. Außerdem veränderte sich sein Darmmikrobiom auf andere Weise als das seines irdischen Zwillings.

    Während einer Trainingssimulation auf der Erde befindet sich Scott Kelly 2010 in einer EMU (Extravehicular Mobility Unit).
    Foto von Mark Sowa, NASA

    Normalisierte sich Scotts Zustand auf der Erde wieder?

    Nicht gänzlich. Mehr als 90 Prozent von Scotts Genen kehrten zu ihren normalen Expressionen zurück, aber ein paar kleine Veränderungen blieben bestehen. Während die meisten seiner verlängerten Telomere schon kurz nach seiner Rückkehr wieder ihre ursprüngliche Größe annahmen, wurden einige kürzer als vor seinem Weltraumaufenthalt. Bailey zufolge könnte diese übermäßige Verkürzung ein Faktor sein, dem man in künftigen Studien mehr Aufmerksamkeit schenken sollte, „weil kurze Telomere mit verringerter Fruchtbarkeit“, Demenz, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und einigen Krebsarten in Verbindung stehen.

    Trotzdem beweisen diese Ergebnisse aktuell noch nichts, wie Carol Greider anmerkt. Die mit einem Nobelpreis ausgezeichnete Molekularbiologin war an der aktuellen Studie nicht beteiligt. „Wir wissen nicht, wie die Telomerlängen von Zwillingen auf der Erde korrelieren oder fluktuieren“, schrieb sie in einer E-Mail. „Daher haben wir keine Erwartungen an das, was wir vielleicht finden.“

    Auch einige Chromosomen-Inversionen blieben bestehen, wie Bailey sagt, „und könnten damit zur genomischen Instabilität beitragen, was das Risiko für eine Krebserkrankung erhöht“. In den Monaten nach Scotts Rückkehr bemerkten die Forscher eine bleibende Verringerung seiner kognitiven Leistungen.

    „Sie wurde nicht schlimmer, aber sie wurde auch nicht besser“, sagt der Co-Autor Matthias Basner vom Institut für Schlaf und Psychiatrie der University of Pennsylvania.

    Bedeutet das, dass ein Jahr im Weltraum Menschen krank und dümmer macht?

    Keineswegs. Das gesamte Forschungsteam betont, dass die extrem geringe Probengröße der Studie ein echter Nachteil ist.„Der große Vorbehalt ist hier, dass wir nur ein n von eins haben“, sagt Basner in Bezug auf die Abkürzung, die Forscher für die Anzahl von Studienteilnehmern verwenden. „Wenn man Mark mitzählt, hat man im besten Fall ein n von zwei.“ Bevor nicht noch viele weitere Testpersonen untersucht wurden, kann man unmöglich mit Sicherheit sagen, ob die gesundheitlichen Auswirkungen, die Scott erlebt, auf seine individuelle Physiologie zurückzuführen sind oder für die meisten Menschen unter ähnlichen Bedingungen repräsentativ sind.

    „Alle bleibenden Veränderungen waren sehr geringfügig und müssten bei weiteren Astronauten repliziert werden, bevor man sie auf den Weltraumaufenthalt zurückführen oder sie überhaupt auch nur zu einer Abweichung von der normalen Variation erklären kann“, sagt der Studienautor Andy Freiberg von der Johns Hopkins University.

    Hat die Studie noch andere Einschränkungen?

    Obwohl die Studie interessante Einblicke in das potenzielle Risiko längerer Aufenthalte gewährt, lässt sie nicht unbedingt darauf schließen, wie es Astronauten auf einer Marsmission ergehen würde. Das liegt zum Teil auch daran, dass sich die ISS noch nicht im erdfernen Weltraum befindet, sondern in einer erdnahen Umlaufbahn. Dort ist die Station noch durch das Erdmagnetfeld vor den schädlichsten Auswirkungen der kosmischen Strahlung geschützt.

    Die Astronauten Stephanie D. Wilson und Mark Kelly schweben 2006 an Bord des Space Shuttles Discovery, das zu diesem Zeitpunkt an der ISS angedockt war.
    Foto von NASA

    Außerdem ist die Logistik einer solchen Studie mit einem enormen Aufwand verbunden. Für ihre Analysen benötigen die Forscher frische Blutproben. Scott musste sich an jenen Tagen, an denen routinemäßige Versorgungsmissionen an der ISS eintrafen, Blut im Weltall entnehmen. Dieses wurde dann mit dem Frachttransport wieder zurück auf die Erde nach Russland geschickt und von dort aus an diverse Labore versendet.

    Ein anderes Problem war die geringe Menge jeder Probe, wie Feinberg sagt. Sie begrenzte den Umfang der Untersuchungen und Analysen.

    „Aus mehreren Gründen war die Menge an Blut, die uns Scott zur Verfügung stellen durfte, kleiner als die Menge, die man Kindern bei einem Krankenhausaufenthalt entnehmen darf“, sagte er in einer Pressemitteilung. „Manche dieser Gründe sind logistischer Natur, andere dienen einfach seiner Sicherheit.“

    Mark Kelly bereitet sich 2006 im Johnson Space Center der NASA auf einen Flug in einem T-38-Jet-Trainer vor.
    Foto von Robert Markowitz, NASA

    Was ist nötig, um die Risiken von Weltraumreisen wirklich abschätzen zu können?

    Um mehr über die Auswirkungen von Weltraumaufenthalten auf den menschlichen Körper zu erfahren, plant die NASA weitere Jahresmissionen auf der ISS sowie Studien auf der Erde. Im Idealfall sollten Astronauten bei künftigen Studien auch jenseits einer erdnahen Umlaufbahn leben und arbeiten, beispielsweise auf dem Mond oder noch tiefer im Weltall. Das Team hofft, künftige Astronauten mit Fähigkeiten und Technologien ausstatten zu können, die es ihnen ermöglichen, während der Mission ihre eigene DNA zu analysieren.

    Und natürlich würde es auch nicht schaden, wenn einige dieser künftigen Astronauten einen eineiigen Zwilling hätten.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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